Als in Israel die letzten beiden Male gewählt wurde, gingen die Menschen im vermeintlich sicheren Wissen ins Bett, Premier Benjamin Netanjahu habe die Wahlen verloren – um dann am kommenden Morgen aufzuwachen und zu erfahren, dass "Bibi" doch der strahlende Sieger war. Dieses Mal ist das israelische Wahlkomitee extrem vorsichtig.
Genaue Zahlen sollen erst sehr spät verkündet werden, deshalb muss man auch am Mittwochmorgen mit Bewertungen noch vorsichtig sein. Was nach der Auszählung von etwa 92 Prozent der Stimmen aber klar zu sein scheint: Netanjahu ist es nicht gelungen, zusammen mit seinen möglichen Koalitionspartnern 61 Mandate zu erreichen – und soviel bräuchte er, um sich in der Knesset mit 120 Sitzen eine Mehrheit zu sichern.
Seine Likud-Partei und die Partei seines Herausforderers Benny Gantz liegen gleichauf. Beide sollen jeweils um die 32 Mandate gewonnen haben. Doch auch Benny Gantz wird keine Mitte-Links-Mehrheit zustande bringen, selbst wenn die arabische Gemeinsame Liste diesmal auf rund zwölf Sitze kommt und das Anti-Bibi-Lager erst einmal stärken dürfte.
So könnte wohl das eintreten, was bereits vor der Wahl prophezeit wurde: dass der rechte Avigdor Lieberman mit seiner Partei Israel Beitenu (Unser Haus Israel) darüber entscheidet, wer Israel künftig regiert. Bei den Koalitionsverhandlungen im April hatte Lieberman Netanjahu noch abblitzen lassen und damit eine Koalition unter dessen Führung verhindert. Sein jetziger Wahlkampf, der sich gegen die Orthodoxen und gegen Bibi richtete, brachte ihn erfolgreich von fünf auf jetzt wahrscheinlich neun Mandate.
Sowohl er als auch Benny Gantz hatten vor der Wahl angekündigt, dass sie sich eine große Koalition mit dem Likud vorstellen könnten – aber ohne Netanjahu. Sie hoffen, dass die Partei des langjährigen Premiers ihn nach der Wahlniederlage absetzen werde, um den eigenen Machterhalt zu sichern.
Netanjahu gibt nicht auf
Wenn sich also das vorläufige Ergebnis bewahrheitet, dann hat Israel diesmal auf Netanjahus Wahlkampf mit einem Nein reagiert: Nein zum antiarabischen Rassismus, nein zur antiliberalen, demokratiefeindlichen Demagogie, nein zur Orthodoxie, nein zur Korruption, nein zu sozialen Verwerfungen eines Landes, in dem die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Und nein zu einem Premierminister, dem eine Anklage wegen Korruption und damit eine mehrjährige Haftstrafe droht.
Doch Netanjahu gibt nicht auf. Noch in der Nacht hielt er eine Kampfrede vor seinen Anhängerinnen und Anhängern. Nur er werde eine "zionistische" Regierung bilden, sagte er. Er werde eine antizionistische arabisch-linke Regierung verhindern, die Israel zerstören würde – und so weiter und so fort. Doch man sah Netanjahu die Niederlage an, man sah, dass ihm völlig klar war, dass ihm, dem großen Magier der israelischen Politik, die Ideen und Tricks ausgegangen waren.
Kommentare
Seine Ruchlosigkeit hört man sehr deutlich in seiner Wortwahl. Das riecht mächtig nach Spaltung und Krieg.
Das Ergebnis der Wahl in Israel zeigt, dass Benjamin Netanjahu nicht mit allem davonkommt. Doch in seiner Ruchlosigkeit darf man ihn nicht unterschätzen.
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Langsam aber sicher wird mir der erhobene moralisierende Zeigefinger deutscher Kommentare unheimlich. Israel wählt keine "ruchlosen" Politiker.
Warum soll sich Israel anders verhalten als andere Länder?
"Israel hat sich im letzten Moment von einer rassistischen, antiliberalen, autokratischen Politik verabschiedet."
Würde ich ja gerne auch so sehen, aber kann man das wirklich aus diesem Patt-Ergebnis ableiten? Wenn wir Netanjahu als Vertreter dieser Politik bezeichnen, müssen wir doch anerkennen, daß ca 50% für ihn gestimmt haben oder ihn zumindest als Regierungchef akzeptieren, in dem sie ihn tolerierende Kräfte wählten.
Also ich bin da noch nicht so entspannt wie Herr Schneider.
Entfernt. Auf eigenen Wunsch. Danke, die Redaktion/rc
Entscheidend ist nicht die Partei, sondern das Lager. Die Likudpartei hat 35 von möglichen 120 Mandaten, das sind weitaus weniger als 50%. Zusammen mit den Stimmen des rechtsnationalen Lagers und den Mandaten seiner üblichen Koalitionspartner ergibt sich immer noch keine Mehrheit.
Klar ist daher: Es wird keine rechtsnationale Regierung geben (es sei denn Libermann und Ultraorthodoxe werden miteinander koalieren, was natürlich eine Möglichkeit ist). Aber das Stimmenspektrum im Parlament ist diesmal wesentlich weniger rechtslastig als vorher. Das ist schon mal gut.
Ich würde auch nicht sagen, dass jeder, der Likud wählt, automatisch eine rechtsnationale Regierung möchte. Obwohl in den letzten Jahren immer konservativer geworden, ist der Likud nach wie vor eine Volkspartei in Israel. Vorstellbar wäre auch eine moderate große Koalition zwischen Likud und dem Parteienbündnis von Gantz. Da weder das linke noch das rechte Lager eine Mehrheit erzielt habt, scheint dies am ehesten dem Wählerwillen zu entsprechen.
Richtig, Benny Gantz und seine Blau-Weißen wollen zwar mit den Palästinensern verhandeln, bekennen sich aber auch nicht zur Zweistaatenlösung, wollen auch die Kontrolle über das Westjordanland und die Golanhöhen behalten, wollen Siedlungen nicht räumen, verlangen ganz Jerusalem als Hauptstadt usw. usf. Ein paar graduelle Unterschiede gibt es höchsten gegenüber den Ultraorthodoxen.
Vereinfacht gesagt sind die Blau-weißen so ähnlich wie Likud, nur ohne Korruption und mit einem Anführer mit etwas Integrität. Inhaltlich ist die Schnittmenge groß und deswegen kann man sich eben auch so gut eine Koalition mit Likud vorstellen, wenn denn Netanyahu gegangen wird. Laut einer aktuellen Umfrage sind übrigens auch 80% der Israelis für eine Annektion des Jordantales.
Korrekt ist also nur, dass Israel gegen eine autokratische Politik votiert hat. Das wie im Artikel behauptet gegen eine rassistische Politik votiert wurde, ist nicht zu erkennen.
“Laut einer aktuellen Umfrage sind übrigens auch 80% der Israelis für eine Annektion des Jordantales.“
Wer hat diese Studie durchgeführt und wer genau wurde da befragt? Wo wurde sie veröffentlicht? Irgendwas kann da nicht stimmen, denn das Wahlverhalten hat doch gerade gezeigt, dass es deutlich mehr sind, die keine Annektierung wollen.
Eine “linke“ Regierung dürfen wir in Israel nicht erwarten. Klar ist auch Gantz letzlich ein konservativer und steht für ein weiterführen des Status Quo, was ganz sicher nicht gut ist. Aber genau das macht ihn auch zur Alternative zu Netanjahu und ein vernünftiger, moderater Konservativer ist alle male besser als ein wild gewordener, um sich peitschender Konservativer.
Sehe ich auch so.
Was Netanjahu an Stimmen verloren hat ist noch weiter nach rechts gewandert. Insgesamt hat die radikale Rechte, zu der man den Likud leider zählen muss, weiterhin 40%. Dazu kommen über 13% Ultraorthodoxe, die nun per Selbstdefinition antiliberal sind und dann kommt Gantz mit gut 25%, der ebenfalls rechts steht, nur nicht rechtsaußen.
Das bedeutet, dass das Lager, dass irgendwo zwischen mitte und links steht, das also ein Interesse an Menschenrechten hat und nicht rein nationalistisch/religiös denkt in Israel etwas über 20% hat.
Israel steckt mittendrin in einer antiliberalen Politik, die in weiten Teilen auch rassistisch ist und der das Vöklkerrecht nichts gilt.
"..daß ca 50% für ihn gestimmt haben..", Wolfhuber ?
FÜR Netanyahu gestimmt haben bestenfalls 25% der Wähler, vermutlich eher weniger.
Bei den Aprilwahlen waren es nicht einmal 22%, was sich daraus errechnet,
wieviele Wahlberechtigte zur Wahl gingen, wieviele abgegebene Stimmen auf den Likud fielen und wieviele Stimmen "verloren gingen", weil sie fur Parteien abgegeben wurden, die am Ende nicht in die Knesset gelangten, so dass diese Prozentpunkte auf die verbleibenden Parteien verteilt wurden.
Die orthodoxen Wahler wahlen ihre orthodoxen Parteien, unabhängig davon mit wem diese dann koalieren. Die Nationalreligiösen wahlen ihre Vertreter, um Bibi Druck von Rechtsaussen zu machen. Die Regierungskoalition besteht/bestand also zu einem grossen Teil aus Nicht-Bibi-Wählern.
Lasst uns sehen, wie die neue Regierung sich formieren wird.
Genau und insgesamt bleibt das Gewicht von Nationalisten und Religiösen in der neuen Knesset so groß, dass man keine Wunder erwarten darf.
Den Likud als radikale rechte zu bezeichnen, verzerrt das Bild der Parteinlandschaft in Israel. Die Likud-Partei ist eine Volkspartei, die auch moderat-konservative Wähler anzieht. Sicher, der Likud kokettiert mit den rechtsnationalistischen Wählern, und will mit den Rechtsnationalisten gemeinsam regieren. Es muss aber dazu gesagt werden, dass Netanjahu bisher ebensoviele Vorhaben der Rechten vereitelt, wie er durchgewunken hat. Er ist quasi der konservative Torwächter, der den rechten nicht alles durchgehen lässt. Nicht umsonst war seine Wahlschlappe im April auch das Ergebnis einer Auseinadersetzung mit einigen Figuren im rechtsnationlistischen Spektrum.
Die Ultraorthodoxen Wähler widerum wählen nicht nach rechts/ links Aspekten, sondern wählen die Parteien, die ihre eigenen Interessen vertreten. Die ultraorthodoxen Parteien möchten aber nicht mit dem Mitte-links Lager koalieren, da sich dort anti-religiöse Parteien befinden und betrachten Netanjahu daher als "natürlichen" Koalitionspartner. Es ist alles sehr viel komplexer in einander verzahnt, als man meinen möchte und die strikte Unterteilung in rechts-nationalistisch und linksliberal ist eigentlich nicht möglich.
Wenn man nur die Parteien nimmt, die klar rechtsnationalistisch sind, dann muss man sagen: die große Mehrheit Israels hat sich GEGEN Rechtsnationalismus gestellt.
Zitat: "Israel hat sich im letzten Moment von einer rassistischen, antiliberalen, autokratischen Politik verabschiedet."
Ja, das halte ich auch fuer verfrueht - bzw. fuer eine Fehlinterpretation der Wahlergebnisse. Oder fuer Wunschdenken.
Ich bin mir ganz sicher, wenn Sie diejenigen Fragen, die die Opfer der rechtsnationalistischen Politik sind, nämlich die Palästinenser und arabischen Israelis, dann werden die Ihre Ansicht nicht teilen.
Der Likud ist eine Volkspartei wie die AfD in Sachsen. Deswegen ist dessen Politik dennoch weit rechtsaußen und dafür wird Bibi schließlich auch gewählt. Nicht ohne Grund sprechen die anderen rechtsradikalen Parteien gegenüber Netanjahu davon, dass er durch seine Kampagne gegen sie im eigenen Lager kanibalisieren würde.
Wo die von Ihnen genannte große Mehrheit gegen den Rechtsnationalismus ist, lässt sich nicht erkennen.
Sie schreiben erst:
"Nicht umsonst war seine Wahlschlappe im April auch das Ergebnis einer Auseinadersetzung mit einigen Figuren im rechtsnationlistischen Spektrum.
[...]
Es ist alles sehr viel komplexer in einander verzahnt, als man meinen möchte und die strikte Unterteilung in rechts-nationalistisch und linksliberal ist eigentlich nicht möglich. "
Klar gibt es mehr als nur zwei "Lager".
Aber es bleibt eben die Beobachtung, dass die Religiösen und die Rechtsnationalen (das sind mindestens ZWEI Lager) zusammen (ohne ein gemeinsames Lager zu bilden) so viele Stimmen haben, dass es (angesichts anderer, weiterer Unvereinbarkeiten im restlichen Spektrum) keine Mehrheit ohne die gibt (also eine Regierung wird endweder Rechtsnationale, Religiöse oder gar Beide miteinbeziehen müssen).
Dass sich aus den Koalitionspartnern im "Mitte-rechts-Lager" in der Summe eine rechtsnationalistisch eingestellte Regierung ergibt, ist klar und mus auch nicht klein geredet werden. Eben deswegen ist es gut, dass nun endlich die Möglichkeit bestehen könnte eine Regierungsbildung aus dem "Mitte-Links-Lager" heraus zu bilden.
Aber alle mit dem rechten Lager assoziierten Parteien in einen Topf zu schmeißen und zu sagen, die Israelis hätten mehrheitlich rechtsnationalistisch gewählt, stimmt auch nicht.
Die Ultraorthodoxen Parteien (immerhin zusammen 17 Mandate nach aktueller Zählung) haben gar keine Agenda in der Sicherheitspolitik, sondern kümmern sich um die Belange der Ultraorthodoxen Wählerschaft. Damit fallen sie im Grunde schon aus der klassischen Kategorisierung von links und rechts heraus. Sie haben bisher einen Koalition mit Netanjahu bevorzugt, können aber theorethisch auch mit Gantz koalieren.
Liberman, der klar als rechter Politiker zu werten ist, hat eher einen anti-Netanjahu und anti-reigiösen Wahlkampf, als einen nationalistisch-rechten Wahlkampf gemacht. Sein Stimmenzuwachs ist sicher auch in dieser Ursache zu sehen.
Dazu kommt nach wie vor die Tatsache, dass die als klassisch-rechtsnationalistisch eingestuften Parteien weniger Mandate als vorher haben (inklusive dem Likud, wenn Sie diese Partei unbedingt als rechts-nationalistisch definieren wollen). Bleiben in der Summe also doch weniger Leute, die rechtsradikal motiviert gewählt haben.
Sie
"Die Ultraorthodoxen Parteien (immerhin zusammen 17 Mandate nach aktueller Zählung) haben gar keine Agenda in der Sicherheitspolitik, sondern kümmern sich um die Belange der Ultraorthodoxen Wählerschaft. Damit fallen sie im Grunde schon aus der klassischen Kategorisierung von links und rechts heraus."
Das kommt darauf an, was für Sie die "klassische Kategorisierung" ist. Im Allgemeinen zieht man ja nicht allein die Sicherheitspolitik heran sondern auch Positionen bzg. Gleichberechtigung, Liberalismus, Wirtschafts- und Sozialpolitik usw.
Religion in die Politik zu tragen (insbesondere - dagegen setzt ja Liebermans Wahlkampf an - der Allgemeinheit religiös motivierte Regeln aufzudrücken) ist ungefähr so "klassisch rechts" wie die Anektion besetzter Gebiete. Deswegen scheint (wenn man diese Kategorien unbedingt überhaupt anführen will) letzterer auch kaum einzuordnen zu sein (bzgl. der Religionspolitik vertritt er ja geradezu linksliberale Positionen - während auf der Wirtschaftsachse "links" und "liberal" bisweilen gar als Gegensätzliche Pole erscheinen).
Im Ergebnis bin ich bei Ihnen:
So ein eindimensionales Schema taugt nicht. Aber das ist keine bloße Besondersheit Israels.
" Das Ende der Ära Netanjahu ist nah. Und: Israel hat sich im letzten Moment von einer rassistischen, antiliberalen, autokratischen Politik verabschiedet. Das allein ist ein gutes Signal und zeigt, daß die israelische Demokratie lebendiger ist, als man dies zuletzt vermuten konnte. "
Sehr optimistisch.
Noch ist nichts entschieden.
Selbst wenn Liebermann zu seinem Wort steht.
Netanjahu und seine korrupten Politk ist nicht zu trauen.
Und dann gibt es noch die USA , die fest hinter Netanjahu stehen.
Bleibt zu hoffen, dass die Vernunft siegt.
„Bleibt zu hoffen, dass die Vernunft sieg“
Auf die „Vernunft“ setzen beide Lager.