Bevor wir jetzt fragen, wann der Service-Point am Flughafen wieder Auskunftsschalter heißt, wann statt der Bibel ein aktueller Duden auf dem Hotelnachttisch liegt und eine Parfümeriekette auf richterliches Geheiß ihren Werbespruch in "Komm rein und find’s raus" ändern muss, sollte man erzählen, was hier eigentlich los ist. Es ist nämlich so: Vertreter der CDU und FDP wollen unser Deutsch ins Grundgesetz bringen.
Den Verfall der deutschen Sprache beklagen längst nicht mehr nur Heimatschutzverbände und Hobbysprachpfleger. Selbst Politiker erklären sie inzwischen zum Sanierungsfall, sehen sie überflutet von Anglizismen, vom sogenannten Denglisch malträtiert, gegen das sie geschützt werden muss. Ein so gefährdetes Gut schafft es bisweilen in die Verfassung. Wie die Menschenwürde. Wie die Pressefreiheit. Ist die Sprache unserer Dichter und Denker nicht ebenso ein absoluter Wert?
Fragen wir Goethe und seinen Faust! Dessen "geliebtes Deutsch" brachte ihn einst in arge Not. Ihn drängt’s, die Bibel zu übersetzen, aber er stolpert gleich über den ersten Satz: "Geschrieben steht: 'Im Anfang war das Wort'! / Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort?/ Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen." Das ist nicht nur eines der schönsten Bekenntnisse zur deutschen Sprache, sondern zugleich die Frage nach deren Wesen und Einheit.
Wer die Sprache liebt, kann oft nicht umhin, sie als Einheit zu sehen. Im Faust erregt das Sprachskepsis und Zweifel. Die liebeskranken Sprachschützer indes verfallen dem Glauben, Sprache sei kartierbar, einzuzäunen innerhalb bestehender Grenzen. Doch wo will man die ziehen? Hinter allem, was nicht Englisch ist? Wo endet die Sprachgeschichte, die von grammatischen Überformungen und einverleibten fremden Wörtern nur so wimmelt?
Seit Jahrhunderten ist unsere Sprache ein Hybrid, eine wuchernde Wildnis, von der niemand behaupten kann, er habe sämtliche Trampelpfade schon betreten. Dialekte, Soziolekte, Idiolekte, herrje, was gibt’s nicht alles! Wer vom Verlust einer sprachlichen Einheit klagt, sollte sich ernsthaft fragen, welches Gespenst er verfassungsrechtlich adeln will. Denn er jagt der Vorstellung von einer reinen Sprache nach, die es so nie gegeben hat.
Welche Gefahr überdies von dieser gefühlten sprachlichen Einheit ausgehen kann, zeigt sich, wenn man ihren vorgeblichen Verfall mit dem der nationalen Identität verbindet. Auf ein treffliches Beispiel wies der Literaturwissenschaftler Peter von Matt hin: So zeigte der Dichter Hugo von Hofmannsthal, wozu die Gleichsetzung von Sprache und Geist führen kann. In Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation dröhnte er: "In einer Sprache finden wir uns zueinander, die völlig etwas anderes ist als das bloße natürliche Verständigungsmittel (...), wir ahnen dahinter ein Etwas waltend, das wir den Geist der Nation zu nennen uns getrauen." Derlei Sprachmystik hat in der Vergangenheit unzählige nationalistische Verirrungen dekoriert, in der Beschwörung eines Volksgeists, der sich in der Sprache spiegele.
Die heutige Politik ist davon zum Glück weit entfernt. Doch sollte sie sich darüber im Klaren sein, welchen finster gesinnten Gestalten sie mit ihrer Forderung das Wort redet. Freilich steht es jedem zu, über gegenwärtige Simplifizierungen unserer Sprache ("Ich bin grad Training Alexanderplatz") den Kopf zu schütteln. Doch das Gerede von einer Verankerung in der Verfassung klingt selbstbewusster, als es sein kann. Das Gesetz kann nicht das übernehmen, was den Sprechern obliegt. Denn es ist die Aufgabe jedes Einzelnen, die Zukunft der Sprache lebendig zu gestalten.
Kommentare
Ach Gottchen, zeit.de,
welches Deutsch ist wohl gemeint? Ob Du in diesem Leben noch drauf kommst...?
Gute Idee!
Ich befürworte den Vorschlag, unsere geschätzte Sprache ins Grundgesetz aufzunehmen. Besonderen Schutz benöätigen meiner Meinung nach interessante Wörter wie Firlefanz, Schelm, "Obacht!" etc. die gesondert direkt im Grundgesetz aufgelistet werden sollten und von jedem guten Deutschen mindestens einmal die Woche genutzt werden sollten.
Auch das ursprünglich berlinerische Wort "Muchel" sollte aufgenommen werden. Es muss jedoch gewiss öfter genutzt werden, bezeichnet es doch Jugendliche im Alter zwischen 12 und 20, die neuerdings einen Vokuhila tragen, mit Handys laut Musik hören und ihre Mützen nur auf den Kopf legen.
Perferkt!
Mein Vorschlag für gesondert im Gesetz aufgeführte Wörter ist: Handy! Ein urdeutsches Wort, das in einer Welt des Denglish vom 'mobile' erdrückt wird. Retten wir es!
EKNW (Deutsch für SCNR ;-)
Haha! Super! Da wird deutlich was Sprache ist: lebendig, fließend und veränderbar.
Nun ja, als es um die Rechtschreibreform ging war die Zeit ganz damit einverstanden, dass solchermassen in die deutsche Sprache eingegriffen würde, soll nun - völlig folgenlos - Deutsch als Landessprache in das Grundgesetz aufgenommen werden, wie es in anderen Ländern seit langem Brauch ist, ist die Empörung hingegen gross, und unter einem Verweis auf de facto den Nationalsozialismus, auch wenn man sich dann doch schämt, es so offen zu sagen
"Derlei Sprachmystik hat in der Vergangenheit unzählige nationalistische Verirrungen dekoriert, in der Beschwörung eines Volksgeists, der sich in der Sprache spiegele."
geht es natürlich auch nicht. Abgesehen davon kommt in der Sprache eben doch der Charakter eines Volkes diskret zum Vorschein, das ist ja gerade der Reiz dabei, sich eine Fremdsprache anzueignen und sich bei der Gelegenheit der charakterprägenden Unterschiede zur eigenen Sprache und zum eigenen Wesen bewusst zu werden.
Offenbar kommt der Vorschlag aus der falschen Richtung, oder aber man hat sich die Sichtweise von Kenan Kolat (scheinbar ein türkischer Nationalist, möchte man meinen) zueigen gemacht (traut sich aber nicht, das zu sagen, sondern fabuliert lieber herum), welcher die Demokratie in Gefahr sieht:
"Wir verstehen dieses Vorhaben als Assimilierungsdruck und mit demokratischen Gepflogenheiten nicht vereinbar."
Ergänzung zu 4
Der (auch) türkische Staatsbürger Kenan Kolat (die doppele Staatsbürgerschaft war seiner Integration also nicht förderlich) sieht hingegen kein Problem darin, dass in der Türkei eine entsprechende Festlegung bzgl. der Landessprache in der Verfassung steht (aber er hat ein Problem damit, den türkischen Völkermord an den Armeniern in deutschen Lehrplänen zu sehen, da er "türkischstämmige Schüler „unter einen psychologischen Druck“ setze und den „inneren Frieden“ gefährde." http://de.wikipedia.org/wiki… , vielleicht sollte man es da mit den deutschen Verbrechen während des Nationalsozialismus einmal genauso halten, Herr Kolat, übernehmen Sie, schliesslich haben Sie ja auch einen deutschen Pass) - das sagt eigentlich schon alles.