"Wir müssen einander Ost- und Westgeschichten erzählen", fordert Marianne Birthler, die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, gern. Das nütze der Vergangenheitsaufarbeitung und schaffe Vertrauen. Doch für Hans Altendorf, den Direktor ihrer Behörde und den nach Birthler höchsten Stasi-Aufarbeiter der Republik, galt das offenbar neun Jahre lang nicht.
Altendorf, Sozialdemokrat aus Hamburg, ist seit 2001 Birthlers Verwaltungsleiter und damit Herr über alle Stasi-Akten und über rund 2000 Mitarbeiter. In seiner Jugend engagierte sich der heute 61-jährige – wie viele seiner Generation – in der damaligen linken bis linksextremistischen Studentenbewegung, die teilweise offen mit den kommunistischen Regimen im Osten sympathisierte. Ganz neu ist das nicht. Lückenhafte Meldungen dazu gab es schon zu seinem Amtsantritt. Aber eine Debatte beginnt erst jetzt. Vor zwei Wochen hatte die Welt berichtet, dass Altendorf nicht nur langjähriger Multifunktionär des Sozialistischen Hochschulbundes (SHB) war, sondern er war auch in Tarnorganisationen wie dem Weltfriedensrat aktiv, die von der DDR und Sowjetunion infiltriert und beeinflusst wurden.
Birthler reagierte darauf mit einer kurzen Erklärung: Altendorf habe aus seiner bewegten Jugend "nie einen Hehl" gemacht. Sie habe weiter volles Vertrauen zu ihm. Doch DDR-Opferverbände reagierten empört. Und Kulturstaatsminister Bernd Neumann mahnte eine "Klärung" an. Am Dienstagnachmittag tagte wie von ihm erbeten der Beirat der Birthler-Behörde zum Thema. Dort, endlich, erzählte Altendorf seine ganz persönliche Westgeschichte.
Ja, er stand als Funktionär im erst Sozialdemokratischen, später Sozialistischen Hochschulbund für eine Zusammenarbeit mit der kommunistischen Organisation MSB Spartakus. Ja, er habe damals versäumt, sich kritisch mit Menschenrechtsverletzungen im Osten auseinanderzusetzen. Ja, er sei mehrfach mit West-Delegationen in die DDR und die Sowjetunion gereist. Ja, er war im Weltfriedensrat aktiv, der von der KPdSU gesteuert wurde. Doch all das solle heute bitte nicht "derartig aufgeblasen" werden. Ja, er bedauere seine damaligen Aktivitäten "ausdrücklich" und halte sie rückblickend für einen "politischen Fehler". Aber, nein, sein langes Schweigen dazu sei kein Versäumnis – schließlich habe "keine (Rechts-)Pflicht" bestanden, sich zu "offenbaren".
Dass keine "disziplinarrechtlichen Tatbestände" vorlägen, stellte – wenig überraschend – auch der Behördenbeirat nach stundenlanger Sitzung einstimmig fest. "Es wäre allerdings aus heutiger Sicht besser gewesen", heißt es weiter, "dass Herr Altendorf bereits bei seiner Einstellung im Jahre 2001 ein vollständiges Bild seiner Biografie und aller seiner politischen Aktivitäten gezeichnet hätte".
Vielleicht nicht juristisch, wohl aber moralisch habe sich Altendorf durch sein langes Schweigen für sein Amt disqualifiziert, halten ihm Vertreter von DDR-Opferverbänden vor. Ein "aktiver Sympathisant der DDR in der Bundesrepublik" wie er sei als "führender Sachverwalter" der DDR-Aufklärung "nicht tragbar", kritisieren die ostdeutschen CDU-Bundestagsabgeordneten in einer gemeinsamen Erklärung. Das Leipziger Bürgerkomitee zur Stasi-Auflösung wirft Altendorf sogar ein "bewusstes Vertuschen" seiner Vergangenheit vor.
Tatsächlich blockte die Pressestelle der Birthler-Behörde Nachfragen zur politischen Biografie des Direktors jahrelang ab. Wolfgang Stock, der 2001 als Redakteur der Welt am Sonntag zum Thema arbeitete, erinnert sich an die Versicherung, Altendorf sei beim SHB ausgetreten, als dieser sich zum Bündnispartner der Kommunisten wandelte und damit auch aus heutiger Sicht inakzeptabel wurde. Heute sagt Altendorf etwas anderes.
Als im vergangenen Jahr zwei Buchautoren durch Archivrecherchen belegten, dass Altendorf tiefer und länger aktiv war als bis dahin bekannt, wurde ihre Nachfrage im Hause Birthler eigenen Angaben zufolge mit diesen Worten beschieden: "Aktivitäten einzelner Behördenmitarbeiter im parteipolitischen, religiösen oder auch schlicht privaten Bereich werden von der Pressestelle grundsätzlich nicht zum Gegenstand öffentlicher Erörterungen gemacht."
Ähnliche Antworten, mündlich und schriftlich, erhielt über die Jahre immer wieder auch die ZEIT. Als beispielsweise nach dem Verhältnis Altendorfs zu zwei enttarnten Stasi-IM in der Hamburger SPD gefragt wurde, hieß es: "Ihre Interviewanfrage an Herrn Altendorf können wir leider nicht realisieren. Die Behördenleitung nimmt grundsätzlich zu konkreten Einzelfällen und IM-Aktenlagen keine Stellung. Ich bitte dafür um Verständnis." Nun erst, nach den neuesten Rechercheergebnissen der Welt, hat Hans Altendorf über all das zu erzählen begonnen – auch über die Enttarnung der beiden Hamburger Weggefährten als Stasi-IM, und dass ihn dies sehr erschüttert habe.
Kommentare
Natürlich wird es wieder eine Kampagne
Ein erneuter Beweis der Primitivität unserer Rasse, unserer Spezies. Gefundenes Fressen für die Selbstgerchten, die immer nur die Fehler der anderen sehen, die eigenen aber nicht wahrnehmen. Wird ein "Linker" erwischt, "hetzt" die Springer-Presse und Focus, wird ein "Rechter" erwischt, "hetzt" die liberalere Presse (oft nicht ganz so intensiv wie die anderen, die können die Betroffenen besser medial hinrichten).
Immer wieder dasselbe Spiel. Wie primitiv.
Wir sollten danach streben, anders miteinander umzugehen.
Die typische Karriere eines STASI-IM
Zitat: "Im Frühjahr 2005 löste Altendorf die Forschungsgruppe Rosenholz auf, die die Personenkartei der Stasi-Westabteilung HV A untersuchte – und zwar kurz nachdem ihm und Birthler vom zuständigen Wissenschaftler vorgetragen worden war, dass es für mehr als 40 Bundestagsabgeordnete der sechziger und siebziger Jahre untersuchenswerte Registrierungen gebe"
Da bräuchte es die STASI-typische Vergangenheit gar nicht mehr. Wer an der Spitze der dafür zuständigen Behörde die Aufdeckung der STASI-IM im Westen gezielt behindert, handelt in einer Weise, die nicht hinnehmbar ist. Altendorf und Birthler gehören unmittelbar abgelöst.
Vergangenheitsaufklärung, einmal anders
wäre, wenn man sich auch einmal die Fehlleistungen der BRD und ihrer Verfassungsschutz-IMs vornähme. Gesinnungsschnüffelei, Radikalenerlass, Rechtsbruch (Celler Loch, Traube etc.) und Nazitradition lassen grüßen. Wie sagte Fillbinger doch so schön: "Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein".
In einem Punkt kann man unsere Ostdeutschen Brüder und Schwestern beneiden. Die dürfen ihre Stasi-Akten einsehen; wir Westler würden auch gerne mal wissen was der "Verfassungsschutz" so alles über uns gesammelt hat.
Jetzt tun ...
... alle so überrascht.
Kann sich niemand mehr erinnern, wie die BRD-Linke den "Marsch durch die Institutionen" angekündigt hatte.
Hier, wie auch in vielen andern Fällen, hat das bestens funktioniert. Anstandshalber hätte es vielleicht nicht unbedingt diese Institution sein müssen, allerdings war sie gut gewählt: Kaum eine andere Stellung bietet so viele Möglichkeiten in "Dienste der Sache" so viel Schaden anzurichten.