Was wäre das für ein Ausstellungsstück gewesen! Doch leider musste das Lügenmuseum im brandenburgischen Kyritz im vergangenen Jahr schließen. Ansonsten hätten die Betreiber ihre Sammlung mit einem interessanten Exponat erweitern können: Ein hellblaues Buch, 475 Seiten stark und trotz des unspektakulären Titels Verfassung und Verfassungsvertrag momentan so gefragt, dass es in den meisten Bibliotheken vergriffen ist.
Der Autor, Karl-Theodor zu Guttenberg , zählt zu den beliebtesten Politikern des Landes . Er sagt gerne Sätze wie "Verantwortung bedeutet vor allem Verpflichtung, Vertrauen und Gewissen" oder "Politik braucht klare Werte". Mit solchen Parolen, seinem selbstbewussten Auftreten, Manieren und Dank der adeligen Herkunft und der Bilderbuchfamilie stieg Guttenberg zur Hoffnung der Christsozialen auf. Kaum ein politisches Amt, das ihm von den Medien und der Öffentlichkeit nicht zugetraut wurde.
Doch die vermeintliche Lichtgestalt der deutschen Politik misst die Wahrheit mit zweierlei Maß. Von Untergebenen erwartet er Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit . Bei sich selbst zeigt er sich da großzügiger – nicht erst, seitdem seine Doktorarbeit von Rechercheuren durchleuchtet wird . Guttenberg hat mehr als einmal in seiner Karriere die Wahrheit so gedehnt, dass seine politischen Gegner von Lügen sprachen. Zahlreiche Hinweise gab es, dass die Vorwürfe nicht übertrieben waren. Doch jetzt bei seiner Doktorarbeit wird es offensichtlich. Niemand außer dem Verteidigungsminister trägt für die zahlreichen von anderen Autoren übernommenen und nicht ausgewiesenen Textstellen die Verantwortung.
Bereits zum Beginn seiner Amtszeit als Wirtschaftsminister strapazierte er die Wahrheit: "Ein teilwirtschaftliches Fundament durfte ich mir in der Zeit vor der Politik bereits aneignen durch die Verantwortung, die ich im Familienunternehmen getragen habe", sagte er damals. Das klingt erfahren und seriös. Guttenberg führte tatsächlich die Guttenberg GmbH, ein Unternehmen mit drei Mitarbeitern, das 2000 einen Jahresumsatz von gerade einmal 25.000 Euro erwirtschaftet haben soll. Der CSU-Politiker berichtete zudem, er habe von 1996 bis 2002 dem Aufsichtsrat der Rhön-Klinikum AG angehört. Aktiv oder engagiert soll er in dem Gremium jedoch nie gewesen sein, berichteten andere Mitglieder. Die Familie Guttenberg hielt 26,5 Prozent der Stammaktien und war deswegen im Kontrollgremium vertreten. Eine eigene Leistung des Freiherrn war mit der Berufung nicht verbunden.
Das Magazin Panorama des NDR-Fernsehens spießte darüber hinaus 2009 auf, wie Guttenberg seine Berufserfahrung in der freien Wirtschaft darstellte. "Ich durfte im Zuge dessen mit teilnehmen an einem Gang, den die Familie mit begleitet hat – und zwar federführend mit begleitet hat – eines großen Konzerns, der an die Börse geführt wurde, und der ein M-Dax Unternehmen wurde. Ihnen werden die Rhön-Kliniken etwas sagen", verkündete der Minister Anfang 2009 verschwurbelt. Die Rhön-Kliniken gingen allerdings bereits 1989 an die Börse. Das war wenige Tage vor Guttenbergs 18. Geburtstag. "Andere lernen in diesem Alter gerade Autofahren", stellte die Panorama -Redaktion süffisant fest.
In seinem Lebenslauf finden sich weitere Belege dafür, wie Guttenberg mit der Wahrheit umgeht: "Freier Journalist bei der Tageszeitung Die Welt ", steht dort. Doch beim Axel-Springer-Konzern, dem Verlag der Welt , heißt es, Guttenberg sei Praktikant in der Redaktion gewesen. Mehr könne nicht bestätigt werden. Auch weitere Stationen scheint der Politiker aufgehübscht zu haben: So berichtet die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung , dass aus Praktika als Student in der Vita "berufliche Stationen in Frankfurt und New York" wurden.
Bisher konnte der Beliebtheit von KTG, wie ihn mancher Bewunderer nennt, nichts anhaben, nicht einmal sein fragwürdiger Umgang mit der verheerenden Tanklaster-Bombardierung bei Kundus . Vergeblich hatte die Opposition im Kundus-Untersuchungsausschuss versucht, Guttenberg der Lüge zu überführen. Den Vorwurf, der Minister sage die Unwahrheit, hatten Ex-Staatssekretär Peter Wichert und der ehemalige Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan erhoben. Beide hatten vor dem Ausschuss ausgesagt, dass bei einem Gespräch vor ihrer Entlassung fünf Personen im Ministerbüro anwesend gewesen seien. Doch Guttenberg beteuerte, es seien vier gewesen. Zwei gegen einen, so sah es zunächst aus. Dann folgte Guttenbergs Büroleiterin der Version ihres Chefs. Eine Gegenüberstellung der Zeugen verhinderten Union und FDP mit ihrer Mehrheit im Ausschuss. Eine Klage der Opposition dagegen scheiterte vor Gericht. Guttenberg konnte bei seiner Version bleiben.
Kommentare
Ein akademischer Fälscher
kann kein Minister bleiben.
http://carta.info/38447/ein-…
Vielleicht ist ein Gutteil der Bevölkerung für einen Verbleib
des Herrn von Guttenberg, weil sie ahnen, daß es sich hier um eine Kampagne handelt.
Nichts was er mit seiner Diss tat rechtfertigt diese Empörung.
Doch, die Empörung ist gerechtfertigt.
Wenn jemand, der sich Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit derart auf seine Fahnen geschrieben hat, nun dabei erwischt wird, wie er sich aus Prestigegründen eine Doktorarbeit erschleicht, kann man sich ruhig empören.
Schon aufgrund allgemeiner ethischer Maßstäbe, und erst recht gemessen an denen, die er selbst propagiert.
Er tut mir leid. Was er gerade durchmacht, möchte ich meinem ärgsten Feind nicht wünschen. Aber im Amt ist er nicht mehr haltbar und würde durch ein Festkleben nur weiteren Schaden anrichten.
Kampagne? Ja, aber...
@Hräswelger
Sie schreiben "Nichts was er [Herr Guttenberg] mit seiner Diss tat rechtfertigt diese Empörung", und ich kann da nur teilweise zustimmen.
Zunächste einmal nur das Thema gefälschte Doktorarbeit:
- für jeden, der eine Promotion angestrebt hat (ob erreicht oder nicht), ist es ein Schlag ins Gesicht, wenn ein Fälscher den akademischen Grad zugesprochen bekommt.
- man muss als Wähler davon ausgehen, dass Politiker die Wahrheit sagen (auch wenn sie sie durch ihre eigene "Brille" betrachten), anderenfalls werden Wahlen sinnlos. Durch ein Plagiat in diesem Umfang haben wir es schriftlich, dass man diesem Herren nicht glauben sollte.
Davon abgesehen ist sein Umgang mit der Geschichte für mich bezeichnend: vor einigen Tagen waren die Vorwürfe "absurd", dann war kurze Zeit später von "Zitatfehlern" die Rede, nun spricht der Herr Minister selbst von "groben handwerklichen Fehlern"; gehen wir davon aus, dass sein aktuelles Statement der Wahrheit entspricht, hat er uns doch vorher gezielt in die Irre geführt (oder sich selbst belogen).
Natürlich nutzt der politische Gegner jede sich bietende Zielscheibe. Herr Minister Guttenberg bietet derzeit eine besonders grosse, weshalb ihn auch viele Pfeile treffen.
Mir fällt es schwer, einer Regierung zu vertrauen, die einen Minister stützt, der so offensichtlich für sich selbst andere Regeln formuliert als für den Rest der Bevölkerung.
Kampagne ?
Jeder Richter wird bei einer derartigen Häufung unterlassener aber erforderlicher Zitierstellen zum Schluß kommen: Vorsätzliche Täuschung.
Dazu kommt ein weiterer Straftatsbestand: Betrug. Denn 6 Beiträge des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages fügte er unerlaubt und unzitiert in seine sogenannte Dotorarbeit ein.
Hochmut auch, daß er seinen "Doktortitel ruhen läßt". Das kann keiner: der Titel wird ihn zuerkannt und ggf. auch aberkannt. Die Entscheidung liegt in jedem Fall bei Anderen.
Im übrigen bin ich dafür, daß von Guttenberg solange wie möglich im Amt bleibt. ... Um so mehr Schaden nimmt Frau Merkel, denn diese hat offensichtlich Guttenbergs Maßstäbe von Ehre und Anstand. Mal abgesehen von den strafrechtlich relevanten Fakten die gegen von Guttenberg sprechen.
Dr. strg. c. zu Guttenberg
...es ist einfach nur noch peinlich - wie kann man da guten Gewissens noch wählen gehen???
Rücktritt verpasst
Den Zeitpuckt für einen halbwegs anständigen Rücktritt hat zu Guttenberg jetzt schon verpasst. Angesichts der von Tag zu Tag sich mehrenden Lügen und Falschaussagen dürfte es keine Alternative geben.
Zudem er offenbar (es scheint noch nicht ganz geklärt) den wissentschaftlichen Dienst des Bundestages für seine Doktorarbeit missbraucht hat. Ein Skandal im Skandal. Aber schon bei Sarrazin hat es kaum jemanden gestört, dass die Ressourcen der Bundesbank für private Zwecke eingestzt wurden. Es scheint in dieser Funktionärskaste gängiges Denken zu sein, dass der staatliche Apparat für alle Zwecke zur Verfügung steht.
Auch deshalb: Rücktritt!
Aber auch: Wird die Bundeskanzlerin jemanden finden, der den Job besser macht? Mit Grausen denkt man an den unsäglichen Herrn Jung, der der Bundeswehr in schwieriger Zeit die Führung versagte und damit zu Guttenberg große Probleme hinterließ. Ein paar davon hat er immerhin ganz ordentlich gelöst. Das nützt jetzt aber auch nichts mehr.