Was bislang nur Gerede war, ist seit diesem Donnerstag entschieden : Deutschland steigt aus der Kernenergie aus. Der Bundestag hat es so beschlossen, mit breiter Mehrheit aus Koalition und Opposition.
Dieser Tag markiert eine historische Zäsur . Seit 1955 in Großbritannien das erste kommerzielle Atomkraftwerk ans Netz ging, galt die Kernkraft allen erfolgreichen Wirtschaftsnationen mindestens als wichtiger, manchen als zentraler Bestandteil ihrer Energieversorgung. Darauf gründeten sie ihren Wohlstand. Wer reich werden wollte, strebte diesem Vorbild nach, und noch heute planen Schwellenländer unverdrossen den Neubau von Atomkraftwerken.
Selbst als die Gefahren dieser Technik durch die Unfälle in Harrisburg, Tschernobyl oder Sellafield überdeutlich wurden und sich zumindest in der deutschen Bevölkerung ein breites Misstrauen gegen die Atomkraft bildete, war die Vorstellung, diese Technik könne eines Tages nicht mehr angewandt werden, eher eine utopische. Die Klimadebatte veränderte schließlich nochmals die Einschätzung, manch scharfer Gegner wurde sogar zum vorsichtigen Anhänger einer risikoreichen Technologie, die wenigstens kein Kohledioxid produziert.
Was der Bundestag nun beschlossen hat, ist deshalb der Auftakt zu einem groß angelegten Experiment . Kann eine der wichtigsten Wirtschaftsnationen der Welt ohne Atomkraft auskommen? Nicht zufällig beobachten andere Staaten diesen Versuch so kritisch. Denn wenn er gelingt, werden sie ihren Bürgern die Frage beantworten müssen, warum sie weiterhin ihre eigene Bevölkerung dieser gefahrvollen Energiegewinnung ausgesetzt und eine Verseuchung wie in Fukushima zumindest in Kauf genommen haben.
Noch ist die Versuchsanordnung nicht vollständig aufgebaut. In den kommenden Wochen wird im Bundestag über sechs weitere Gesetzesänderungen debattiert und abgestimmt, aberhunderte Details müssen bedacht und sowohl technisch wie politisch behandelt und abgewogen werden. Schon jetzt kann man erwarten, dass dabei reihenweise Fehler gemacht und faule Kompromisse geschlossen werden; und das dies alles viel Geld kosten kann.
Das nimmt der Entscheidung viel Glanz, ebenso wie ihre Geschichte vom Ausstieg vom Ausstieg vom Ausstieg. Denn schon einmal standen wir an demselben Punkt, 2001, und brachen dann doch mit dem großen Plan, um ihm nun wieder hinterherzulaufen.
Umso wichtiger ist es, sich wenigstens an diesem Tag einmal vor Augen zu halten, was hier geschieht: Deutschland bricht mit einem herrschenden Paradigma. Anders als 2001 steht dafür ein breiter gesellschaftlicher Konsens, und ebenfalls anders als damals gibt es einen weithin geteilten politischen Masterplan , was der Atomkraft folgen soll. Aus einem schleichenden Wandel ist ein umfassendes Infrastrukturprojekt geworden, das beispielgebend für die Welt sein kann. Darin liegt eine große Verantwortung, nicht nur für dieses Land. Und eine großartige Chance.
Kommentare
Geht es ohne AKWs?
Wenn die BRD erfolgreich sein wird und andere Staaten nicht erklären können, warum sie Strom aus Kernkraftwerken brauchen, dann könnten Deutsche Unternehmen, die im Bereich erneuerbare Energien Know How aufgebaut haben finanziell profitieren.
Verschiedene Dinge
Man sollte aber schon zwischen dem Ausstieg aus der Kernkraft und dem Einstieg in "erneuerbare" Energiequellen unterscheiden. Der erste bedeutet noch lange nicht den zweiten.
Die 20% der Gesamtstrommenge, die durch AKWs erzeugt wurden, kann man sicher recht schnell ersetzen, wenn der politische Wille da ist (und er ist da). Moegliche Ersatz-Szenarien (auch gerne in Kombination) sind dabei Atomstrom aus dem Ausland, Kohlekraftwerke, Gaskraftwerke, und zuletzt auch erneuerbare Energien, wenn das Speicherproblem (bezahlbar) geloest werden kann. Was kommt, wird leider weniger diskutiert, als dass Deutschland mal wieder mit gutem Beispiel die Welt rettet. Auch die Kosten des Atomausstiegs und der Strompreis haengen nicht wirklich vom Aussieg selber ab, sondern vom Einstieg in den Ersatz.
Abgesehen davon: der vermeintliche Vorsprung der deutschen Industrie in erneuerbaren Energien ist schon ziemlich am schrumpfen. Solarzellen kommen inzwischen aus China, Windkraftwerke auch gerne aus Daenemark. So schrechlich high-tech ist das alles nicht.
Beispielgebend für die Welt?
Und wenn es nicht klappt, dann war dieser freiwillige Selbstversuch im Sinne Morgenthaus zumindest gut gemeint, Deutschlands energiepolitische Reparationsleistung an den Rest der Welt.
Russisches Roulette für unseren Industriestandort
Mag sein. Allerdings ist es in meinen Augen (und nicht nur dort) eher russisches Roulette, welches wir mit unserer Wirtschaftnation spielen. Wir produzieren und leben für den Exportmarkt und Energiekosten sind nunmal ein Standortfaktor, besonders bei der energieintensiven Fertigung (und bevor jetzt wieder jemand von Effizienzsteigerungen redet, bei gewissen chemischen und physikalischen Prozessen ist es mit der Effeizienzsteigerung schwierig) sind wir weltweit am obersten Limit. Zudem die Politik grundästzlich die schlechtesten Entscheidungen aus Angst und Druck trifft. Naja, macht ja nichts. Unsere Solarmodule kommen überwiegend eh schon aus Fernost. Unsere Windkraftanlagen wohl bald auch, und wie es weitergeht kann niemend sagen.
Klar ist aber folgendes... Wenn wir es schaffen unser Wohlstandsniveau zu halten bei dieser Wende (wovon ich nicht überzeugt bin), könnten wir davon immens profitieren und wirklich erfolgreich diese Technologien exportieren (falls wir sie, wie in vielen anderen Fällen nicht blos entwickeln und die Kommerzialisierung dann wieder anderen überlasen, bsp. MP3, LED-Fernseher usw...).
Falls dies allerdings nicht gelingt, dann könnte durch unsere Politik und unsere Technologieangst der Plan von Hernry Morgenthau wirklichkeit werden; dann aber gute Nacht Deutschland...
eine aussagekräftige Überschrift
"Wir produzieren und leben für den Exportmarkt und Energiekosten sind nunmal ein Standortfaktor,"
immer das gleiche: Sie implizieren, dass die herkommliche Energieerzeugung billiger wäre als die Energieerzeugung aus regenerativen Quellen. Sie vergessen dabei, dass wir nicht die tatsächlichen Kosten unserer Lebensweise bezahlen.
Die herkömmlichen Energien, also Kohle, Öl oder auch Atom werden von den Kosten, also den offenen oder versteckten Subventionen aller Art, z.B. Folgekosten wie Entsorgung, Umweltschädenbeseitigung bis zum Klimawandel, immer teurer werden. Die regenerativen Energien werden im Vergleich immer günstiger werden. Und dann gäbe es natürlich auch noch die theoretische Möglichkeit, Energie einfach zu sparen.
Gehts noch ne Nummer größer?
Historisches Experiment, dass ich nicht lache. Hier wird einfach nur hässliche Politik betrieben. Experten könnten doch problemlos berechnen, wie viel Strom wir brauchen und ob der Bedarf ohne Kernkraft gedeckt werden kann oder nicht. Aber es hört ja niemand auf Experten, stattdessen wagt man einen Blindflug und bezeichnet ihn als historischen Versuch, verkauft sich einfach besser bei der nächsten Wahl.
Expertenberechnungen
Ich glaube Sie überschätzen die Berechnungs- und Vorhersagekompetenzen der "Experten". Klar können wir vieles ermitteln und berechnen, aber der entscheidende Punkt ist doch gerade nicht berechenbar:
Dass nämlich durch einen politischen Beschluss eine Technologieentwicklung voran getrieben wird. Und dass diese neuen, verbesserten Technologien (die wir eben nicht berechnen können, weil es sie noch gar nicht gibt und niemand exakt weiss, wie sie aussehen werden) die Erzeugung und den Verbrauch von Energie massiv beeinflussen.
Heutzutage macht sich jeder Experte lächerlich, der versucht, technische (und übrigens auch ökonomische) Entwicklungen für die nächsten 10 Jahre im Detail vorherzusagen. Gute Vorhersagen gibt es vielleicht noch für das kommende Jahr, danach ist alles grobe Schätzung.
Daher ist es auch nur richtig, die Entscheidung über den Atomausstieg als Experiment zu bezeichnen. Es ist ein Wagnis! Aber wieso sollten wir nicht auch mal Wagnisse eingehen, wenn man bedenkt, was es zu gewinnen gilt?