Anfang der 1980er Jahre in Berlin. Der damalige Pfarrer Rainer Eppelmann war gerade aus dem Gefängnis entlassen. Der Oppositionelle, den das DDR-Regime wegen seines staatskritischen Berliner Appells mit Haft bestraft hatte, war zum Gespräch mit dem damaligen Konsistorialpräsidenten Manfred Stolpe und weiteren Kirchenleitungsvertretern geladen. Man legte ihm nahe, sich künftig zurückhaltender zu äußern. Die Runde vereinbarte Stillschweigen.
In seiner Stasi-Akte fand Eppelmann später ein Dokument, aus dem hervorging, dass nur kurze Zeit später Interna aus dem Gespräch an das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) gelangten.
Die Bedingungen, unter denen Kirchenverantwortliche mit dem MfS Kontakte pflegten, sind bis heute nicht aufgearbeitet. Stolpe ist einer, der besonders intensiven Umgang hatte. Bis heute blieb das für ihn ohne politische oder persönliche Konsequenzen. Der spätere brandenburgische Ministerpräsident und Bundesminister ist juristisch vom Vorwurf entlastet, informeller Mitarbeiter der Stasi gewesen zu sein. Moralisch aber ist sein Wirken höchst zweifelhaft.
Die Öffentlichkeit sieht ihn als Ehrenmann, Mann der Kirche, als glaubwürdig und verdienstvoll. Er gilt als einer der erfolgreichsten ostdeutschen SPD-Politiker. Das verhindert bis heute eine offene Debatte über seine konspirativen Stasi-Kontakte.
Die 2010 eingesetzte Enquete-Kommission des brandenburgischen Landtags hat sich verdienstvoll an der Aufarbeitung versucht. Doch sie läuft Gefahr, den Fall Stolpe auszuklammern: Ein jetzt neu erstelltes Gutachten widmet sich auf nur zweieinhalb von 129 Seiten dem früheren Ministerpräsidenten.
Dem Politiker Stolpe war es gelungen, eine völlig neue Sichtweise auf das MfS und ihre inoffiziellen Mitarbeiter durchzusetzen: Er habe seine Stasi-Kontakte aktiv genutzt, um anderen Menschen zu helfen, Konflikte mit dem Staat zu deeskalieren, die Opposition und die Kirche zu schützen, sowie innerdeutsches Verständnis zu befördern, argumentierte er. Der später eingesetzte Untersuchungsausschuss im Brandenburger Landtag schloss sich mehrheitlich dieser Sichtweise an.
Für die Stasi-Aufarbeitung wurde mit dem "menschlichen Maß" ein neues Kriterium gefunden, das durch seine Milde das faktische Ende der Stasi-Überprüfungen im öffentlichen Dienst bedeutet. Im Ergebnis gibt es im Vergleich zu anderen ostdeutschen Ländern in Brandenburg heute überdurchschnittlich viele Stasi-Zuträger in der Polizei, im Landtag, in den Gerichten und in den Schulen. Die Linkspartei, Koalitionspartner der SPD, ließ Stasi-Spitzel zur Wahl antreten.
Stolpe ist in Brandenburg ein lebendes Denkmal. Als Politiker vermittelte er mit pastoraler Attitüde Anerkennung und Sicherheit. Die Menschen luden ihre Unsicherheit bei ihm ab und vertrauten sich ihm an. Seine Fähigkeit, andere zu lenken, begünstigte Stolpes Zusammenarbeit mit dem MfS enorm.
Als die Intensität seiner Kontakte bekannt wurde, löste das unter Bürgerrechtlern Entsetzen aus. 1989/90 verhinderten der damalige Bischof Gottfried Forck und die Ost-SPD noch, dass Stolpe in der letzten DDR-Regierung einen Ministerposten erhielt oder Spitzenkandidat für die Volkskammerwahl wurde. Er hatte sich zu sehr auf die SED-Führung eingelassen, als dass er nach dem Ende der Diktatur die Demokratisierung der DDR maßgeblich hätte mitbestimmen dürfen. Nach der friedlichen Revolution setzte sich sein Machtwille wieder durch und verhalf ihm im Herbst 1990 zum Amt des Ministerpräsidenten.
Kommentare
Prognose
Innerhalb kürzester Zeit werden sich Kommentatoren finden, die Spitzeltätigkeit für den Unrechtsstaat DDR verharmlosen werden. Oder es wird ganz totgeschwiegen.
Konzentration auf strafrechtlich relevantes Handeln notwendig
Wir haben eine Kanzlerin, bei der es auch einen hinreichenden Verdacht gibt, dass sie bei der Bespitzelung Robert Havemanns als IM für das MfS gearbeitet hat. Dies wurde seltsamer Weise bei der Kampagne gegen Gregor Gysi bekannt - noch seltsamer war, dass CDU und CSU die Kampagne gegen Gysi sofort wie eine heisse Kartoffel fallen liesen...
Wie sollten wir nun mit ehemaligen IMs umgehen: ich meine, wir sollten uns implizit um diejenigen kümmern, die im Rahmen ihrer Tätigkeit STRAFTATEN begangen haben - und zwar STRAFTATEN nach DDR-Recht. Hier gibt es noch jede Menge aufzuarbeiten - etwa im Rahmen der Vorfälle in den Jugendheimen der DDR...
Brandenburg, die letzte Bastion der DDR?
ich hoffe, der Wähler läßt sich das nicht gefallen,
es ist eine unsäglicheSchande für die SPD, das sie da mit macht
idioten
doch der waehler liess und laesst das mit sich machen. wir haben in den 50er jahren zuwenig aufarbeitung der nazi-zeit gefordert und 30 jahre spaeter das gleiche, in ostdeutschland, wiederholt. wir deutschen sind eben ein volk von obrigkeitshoerigen und duckmaeusern. uns muss das wasser schon ueber dem kopf stehen bevor wir auf die strasse gehen.
Wie gehabt
Die CDU/CSU hatte "echte Demokraten" wie Filbinger........die SPD hat eben 40 Jahre später "echte Demokraten" wie Stolpe........nicht schlimm."Pack schlägt sich, Pack verträgt sich" .......altbewährte deutsche Politikerweisheit!Und als Strafe hat die BRD nun zusammenfassend eine "Mutti" als demokratische " Kanzleuse".......
Andere Zeiten, andere Sitten
//Die CDU/CSU hatte "echte Demokraten" wie Filbinger........die SPD hat eben 40 Jahre später "echte Demokraten" wie Stolpe........nicht schlimm//
Wobei Filbinger von seiner Partei als MP abgesägt wurde. Die lupenreinen Demokraten von der SPD konnten sich bei Stolpe zu diesem Schritt nicht durchringen.
Geschichte - erlebt oder gemacht
In der DDR im Umfeld der Kirchen zu leben brachte Freiheit im alltäglichen Leben. In diesem Umfeld entstand maßgebliche die Bewegung, die letztendlich den Umbruch 1989 auslöste. Allen, die dieses Umfeld schaffen konnten, bin ich auch heute noch dankbar.
Wie jene dieses Umfeld schaffen konnten, habe ich damals nicht gewusst. Ich habe damals auch nicht danach gefragt - vielleicht manches erahnt. Ich habe es aber dankbar vollumfänglich genutzt.
Jetzt daher zu kommen und mit heutigen Maßstäben zu urteilen, ist unredlich. Geschichte muss in ihrem zeitlichen Kontext gesehen werden. Alles andere steht im Verdacht, aus populistisch-politischem Kalkül heraus geäußert worden zu sein.
Ein - andersgeartetes - Beispiel: Ist Günter Grass zur Persona non grata erklärt worden, weil er seine Zugehörigkeit zur Waffen-SS eingestand? Nein! Ihm wurde eine differenzierte Betrachtungsweise gewährt. Nicht jeder Mensch hat dieses Glück!
Der Vergleich hinkt
doch schon ganz gewaltig. Man wird kaum die Handlung eines jungen Menschen in Kriegszeiten und denen eines doch schon damals gesetzteren Herren vergleichen können.
Insgesamt ist es aber richtig, dass man die Zeitumstände beachten muss. Sicherlich war es in der Funktion Stolpes keine Option, den Dialog mit dem Staat zu verweigern und die Stasi war faktisch der Staat.