Zum Neujahrsempfang der FDP ließ er neulich Parteifreunde sprechen, er selbst nahm den Hinterausgang. Beim Pressestatement am Dienstag ließ er keine Fragen zu. Am heutigen Mittwoch war die Chance da, aufzuräumen mit dem Bild, das viele in Deutschland vom gerade nominierten FDP-Spitzenkandidaten haben, seit der Stern vergangene Woche ein Porträt über Rainer Brüderle veröffentlichte. Das Magazin beschrieb ihn ziemlich unvorteilhaft als einen auch für schlüpfrige Bemerkungen anfälligen älteren Herrn. Was Brüderle zu später Stunde an einer Hotelbar von sich gab, wurde selbst dessen Pressesprecherin irgendwann peinlich, die ihn schließlich schlafen schickte.
Seither diskutiert die Öffentlichkeit über Sexismus in der Politik, der Öffentlichkeit, am Arbeitsplatz. Spitzen-Liberale warfen Magazin und Autorin vor, die FDP beschädigen zu wollen. Zehntausende Betroffene schilderten Erlebtes auf Twitter, kaum eine Kommentarseite und kaum eine Talkshow spart seither das Thema aus. Es geht um Macht über Frauen, mögliche Mittel der Gegenwehr, um Anstand.
Gewaltiges Medieninteresse
Nur Rainer Brüderle wollte sich daran bisher nicht beteiligen. Er schwieg konsequent, verweigerte jeden Kommentar. Am Mittwochmorgen lud er zu einem Pressegespräch, das die Fraktionsspitzen in allen Sitzungswochen des Parlaments veranstalten.
Das Medieninteresse ist gewaltig: Zügig füllt sich der Raum in der obersten Etage des Parlamentsneubaus im Regierungsviertel, auch die hintere Reihe ist besetzt, eine Agenturreporterin hockt am Boden. 70 Journalisten sind es, ein Drittel mehr als sonst. Die Autorin des Stern-Porträts sitzt wenige Meter von Brüderle entfernt, im Kreis mehrerer Redaktionskollegen.
Leicht gebeugt kommt der Fraktionschef, über das große Interesse witzelnd: "Bei der FDP findet jeder Unterschlupf." Er nimmt zügig vor der Fensterwand Platz, hinter der unter regnerischem Himmel die Flaggen des Reichstagsgebäudes wehen.
Ein Thema klammert er aus
Schnell wird klar: Auch heute will Brüderle nicht über den Vorwurf gegen ihn sprechen. Stattdessen redet er über den Besuch des ägyptischen Präsidenten in Berlin, über die Lage in Mali, den anstehenden Koalitionsgipfel, den Rentenstreit in der Regierung und über erneuerbare Energien.
Das Thema, weswegen die meisten hierher kamen, klammert er konsequent aus. Er wiederholt am Anfang nur kurz, was er dazu bereits gesagt hat: Dass er sich nicht äußern werde.
Am Ende, nach einem längeren Referat, erlaubt seine Mitarbeiterin, Fragen zu stellen.
"Nützen Sie der FDP noch, Herr Brüderle", fragt ein Journalist. Der entgegnet knapp, dass das die Partei entscheiden müsse, ob er noch nützlich sei. Auf dem Spitzenkandidaten ruht die Hoffnung der Liberalen, dass die FDP am 22. September mit Kanzlerin Merkel den Machterhalt sichert.
Entschuldigung oder nicht?
"Werden Sie bis zum Ende schweigen, Herr Brüderle?" wird er gefragt. Und, ob er sich nicht einmal mit der Autorin unterhalten wolle. Brüderle redet, aber er verweigert die Antwort.
Nach einigen Worten zur Lage in Afrika wagt einer einen neuen Versuch: Wie Brüderle denn die durch ihn und den Bericht ausgelöste Debatte einschätze. "Sexismus ist eine Debatte, die läuft und die sicherlich gesellschaftliche Relevanz hat", antwortet der Angesprochene vage. Dass sie geführt wird, gehöre zur Demokratie.
Brüderle als lachender Dritter
Die Sprecherin lässt eine letzte Frage zu, bevor Brüderle in den Plenarsaal aufbricht. Er habe ja registriert, dass die Stern-Autorin anwesend sei, hakt einer nach. Ob er sich nicht entschuldigen wolle – bei der Frau also, die Ziel seiner Ausfälligkeiten wurde.
Brüderle bleibt sich treu und verweigert auch dies. Dann geht er.
Ein bisschen könnte er sich in diesem Moment wie ein lachender Dritter fühlen, weil das Thema zwischenzeitlich auch die Medienvertreter entzweite: Ein Journalist hatte seine Frage zur aktuellen Politik mit der Bemerkung eingeleitet, dass er jetzt wieder zu ernsthaften Themen kommen wolle. Sein Vor-Fragesteller fühlte sich düpiert und sagte das auch in das Raunen der Kollegen hinein, deutlich vernehmbar. Sein Kontrahent erwidert: Jeder produziere sich eben, wie er will.
"Können wir das hier sachlich halten?", bittet die Mitarbeiterin des Spitzenkandidaten. Diesmal muss die Pressesprecherin nicht Brüderle maßregeln, sondern die Journalisten.
Kommentare
Bravo !
Eigentlich sollte sich erst einmal diese Dame öffentlich
bei Brüderle entschuldigen:
1. hat sie ihn implizit als "alten Sack" angesehen mit ihrer
"Frage", ob er es sich in seinem fortgeschrittenen Alter noch
zutraue, die Partei zu führen,
und
2. hätte sie vor einem Jahr schon verbal oder per Artikel im Stern
oder per Strafanzeige zurückschlagen können.
Aber nichts dergleichen geschah.
Ich mag eigentlich weder Brüderle - und die F.D.P. schon gar
nicht, aber wo er recht hat, hat er recht. (Und eine 4-Augen-Entschuldigung kommt schon gar nicht in Frage; wer weiß, was dann wieder geschehen oder geschrieben würde.)
Immer drauf
Ah, und weil sie damals möglicherweise falsch reagiert hat, hat sie jedes Recht auf anständige Behandlung verwirkt? Ist Brüderles Verhalten von damals weniger schmuddelig, weil sie damals nicht gleich Krach geschlagen hat?
Was wäre übrigens passiert, hätte sie so reagiert, wie Sie es jetzt vorschlagen? Dann wäre doch sicher was in Richtung "Soll sich nicht so anstellen, das war doch harmlos, die muss es ja nötig haben" gekommen.
Wer sexistische Übergriffe publik macht, braucht offenbar ein dickes Fell. Man könnte sich genausogut auf den Marktplatz stellen mit einem Schild "Freiwild".
Wer dagegen Übergriffe begeht, kann sich zurücklehnen. Das Shitstürmchen sitzen Leute wie Brüderle auf einer Backe ab. Sie müssen sich mit den Folgen ihres Verhaltens bisher fast nie auseinandersetzen. Es ist gut, das sich das jetzt ändert.
er verweigert die Antwort
Auch schweigen ist eine Antwort, in diesem Fall sagt es sogar mehr als tausend Worte.
@2. er verweigert die Antwort
"Auch Schweigen ist eine Antwort, in diesem Fall sagt es sogar mehr als tausend Worte."
Völlig richtig, denn: Egal was er sagt, geschrieben wird darüber doch aus der Sicht, die man selbst darüber hat.
Gut, daß wir keine anderen Probleme mehr haben
Ein überflüssiger zotiger Satz braucht ein Jahr um Empörung bei der Adressatin zu erwecken. Jetzt paßt er halt ganz gut in die politische Landschaft. Nicht das ich den Hern Brüderle besonders mag, aber dies alles ist künstlich aufgeblasen. Eine Meldung in der Zeitung ist ok, aber dieses ewige wiederkäuen nervt.
Wenn immer solche Petitessen wochenlang die Ersten Seite füllen, fragen ich mich was wir im Windschatten dieser Luftnummern alles an wesentlichen Meldungen verpassen, weil die auf Seite 3 landen. Ein Politiker, der etwas unpopuläres umsetzen willen braucht nur auf solche Momente zu warten.
was für ein vermeintlich großes wort
Petitesse? Welche Sprache gibt dieses Wort wieder und welche Sichtweise es doch vom Verfasser verrät.
Verzicht worauf?
Die Überschrift ist tendenziös. Brüderle bleibt Brüderle - das wusste man/frau vorher und weiß man jetzt. Die Sexismus-Debatte wird erst dann einen Sinn machen, wenn sie die anonyme Spielwiese des Internets verlässt - und gesellschaftliche relevante Gruppen sich daran ernsthaft beteiligen. Das Beispiel "Occupy" hat gezeigt, dass es dazu einen langen Atem braucht und nicht nur Empörung. Doch wie sagte man früher so schön? Des Menschen Wille ist sein Himmelreich! Hasta la victoria siempre!
Venceremos!