Am Dienstag ist Johannes Kahrs der Kragen geplatzt. Er konnte einfach nicht mehr anders, er musste "ein Zeichen setzen", wie der SPD-Bundestagsabgeordnete sagt. Ein Zeichen gegen die Berichterstattung über seinen Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, die er als ungerecht und "an Kampagnenjournalismus grenzend" empfindet.
Auslöser war die Berichterstattung des Handelsblatts, das Steinbrück angriff, weil er im Aufsichtsrat von ThyssenKrupp angeboten hatte, sich für eine industriefreundliche Energiepolitik einzusetzen. "Dabei ist das sogar offizielle Beschlusslage unserer Partei", sagt Kahrs. Das Handelsblatt stellte das auf eine Ebene mit dem Versagen des Berliner Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit, der kurz zuvor als Chef eines anderen Aufsichtsrats zurückgetreten war – dem des desaströsen Berliner Flughafenneubaus.
Für Kahrs schlug diese Meldung "dem Fass den Boden aus". Zusammen mit seinen Mitstreitern vom einflussreichen Seeheimer Kreis der SPD veröffentlichte er schon tags darauf, am Mittwoch, einen bemerkenswert wütenden Text. "Es reicht!", schreiben die Abgeordneten. Die zahllosen Vorwürfe gegen Steinbrück und die größtenteils negative Berichterstattung seien "heiße Luft", in Teilen "einfach nur lächerlich" und beförderten Politikverdrossenheit,"Profillosigkeit und Sprachnebel in der Politik".
"Das musste einfach mal raus, wenn man noch in den Spiegel gucken will", sagt Kahrs im Gespräch mit ZEIT ONLINE.
Medien haben sich auf Steinbrück eingeschossen
Ist Steinbrück wirklich Opfer einer journalistischen Kampagne, wie seine Genossen wütend behaupten? Erst Medienliebling als kantiger, inhaltlicher und stilistischer Gegenentwurf zu Kanzlerin Angela Merkel, dann genau aus diesen Gründen heruntergeschrieben?
Seit der Aufregung über die Nebenverdienste Steinbrücks als Redner steht dieser Verdacht im Raum. Doch ein gesteuertes, abgesprochenes Vorgehen gegen Steinbrück gibt es nicht. "Natürlich treffen sich da nicht drei Chefredakteure in einem Hinterzimmer und sprechen eine Linie ab", sagt selbst Kritiker Kahrs. Und Journalistikprofessor Stephan Weichert, der sich in Studien und Büchern mit der Entwicklung des Politikjournalismus beschäftigt, wiegelt ebenfalls ab: "Eine Kampagne ist das nicht, eher ein reflexhafter Vorgang. Die Medien haben sich eben auf Steinbrück eingeschossen."
"Gefühlte Wahrheiten summieren sich zu einem Skandal"
Große Steinbrück-Geschichten schreiben sich in diesen Tagen quasi von allein. Schließlich lässt sich jedes Mal die ganze Chronologie seiner Rückschläge und Probleme nacherzählen. Das füllt Zeilen. Die Erzählung von Steinbrücks Abstieg ist längst so reich an Kapiteln und hat eine solche dramaturgische Eigendynamik entwickelt, dass es verlockend ist, sie Woche um Woche weiterzustricken. Ob es sich dabei tatsächlich um Verfehlungen des Kandidaten handelt, ob das ganze "irgendeine Substanz" hat, wie Steinbrück-Anhänger Kahrs das nennt, ist längst egal geworden. "Gefühlte Wahrheiten summieren sich zu einem Skandal", beschreibt Experte Weichert diese Dynamik. "Hängen bleiben nur einfache Bilder und Aussagen wie: Steinbrück ist geldgierig. Egal, ob das so stimmt oder nicht."
Wenn der Spiegel auf seinem Titel fragt: "Warum macht Peer Steinbrück so viel falsch?", geht es ja schon längst nicht mehr darum, wo sich Steinbrück in der Sache Fehler oder Verfehlungen geleistet hat. Es geht nur noch darum, wie sein Verhalten wirkt – beziehungsweise darum, wie Medien entschieden haben, dass es wirkt. Politik und Journalismus werden zum Treibhaus, zur verschlossenen, klaustrophobischen Sphäre, die sich nur noch auf sich selbst bezieht und so ihre eigenen, völlig abgekoppelten Dynamiken schafft.
Kommentare
Ich würde sagen der Steinbrück ist ein Opfer...
...das freiwillig mit einer Zielscheibe durch die Gegend läuft...
Der Wähler will beschissen werden
Genauso ist es. Der Wähler will beschissen werden. Warum hat die FDP 2009 über 14% Stimmen bekommen? Doch nicht, weil der Anteil der gutverdienendenn Selbständigen, Ärzte, Rechtsanwälte ect. plötzlich rapide angestiegen ist oder die FDP ihre soziale Ader entdeckt hatte.
Die Medien sind dankbar um jedes Fettnäpfchen, in das Steinbrück tappt und schlachten das Thema genüsslich aus. Gut für Steinbrück ist, es passiert jetzt. Es braucht manchmal nur ein paar Tage und schon wird eine neue Sau durchs mediale Dorf gejagt. Themen werden heute ausgeschlachtet, bis der Leser es nicht mehr ertragen kann. War bei Guttenberg so, war bei Wulff so und ist jetzt bei Steinbrück so. Wenn er durchhält, ist das Thema im Februar durch. Wenn Merkel allerdings bis zur Wahl keine Fehler macht, ist die Wahrscheinlichkeit gering, das Steinbrück gegen Merkel gewinnt. Denn Merkel macht für gewöhnlich keine Fehler.
Ich wage die Prognose, die CDU gewinnt die meisten Stimmen, die FDP ist sicher im Bundestag (der Wähler vergisst schnell) und es bleibt wie gehabt.
Ich weiß, wie ...
Steinbrück das ändern kann. Mir ist es völlig egal, was Frau Merkel heute verdient (ich weiß es nicht!) und was sie oder Steinbrück morgen verdienen sollte. Mich interssiert meine Rente, meine Krankenversicherung, was der Strom im nächsten Jahr kosten wird. Es interessiert mich nicht mal, ob er sich für irgendwelche Beraterverträge Geld in die Tasche gesteckt hat.
Es gibt Probleme noch und noch, denn Deutschland ist keine ruhige Insel in Europa. Die Probleme sind noch nicht angekommen, nur das unterscheidet uns von Spanien, Griechenland oder Portugal. Dazu soll er endlich etwas sagen.
Wenn er nicht bald sagt, was er will, dann passiert genau das, was schon oft passiert ist - die Menschen wählen das kleinere, aber bekannte Übel. Schwätzer in der Politik gibt es genug. So einen als Bundeskanzler braucht Deutschland nicht.
Gekürzt. Bitte achten Sie auf Ihre Wortwahl. Danke, die Redaktion/jz
Hat er zum Teil schon.
> Die Probleme sind noch nicht angekommen [...]
> Dazu soll er endlich etwas sagen.
Siehe seine Vorschläge zum zukünftigen Umgang mit der Finanzwirtschaft.
Allerdings war die Reaktion darauf vielerorts im Wesentlichen nur ein fast schon patziges "Glaub' ich nicht, weil er selbst hat doch damals als Finanzminister...".
Solange Medien und offenbar auch weite Teile der Wahlberechtigen seinen früheren und aktuellen, tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen Verfehlungen mehr Augenmerk widmen als dem, was er inhaltlich "zu bieten hat", solange wird es Steinbrück sehr schwer haben. Wie er sich in diese Zeit verhält, ist da fast schon egal - genau das ist ja auch die Kernaussage des obigen Artikels, dem ich insoweit übrigens nur vorbehaltlos zustimmen kann.
Perzeption
"Wenn der Spiegel auf seinem Titel fragt: "Warum macht Peer Steinbrück so viel falsch?", geht es ja schon längst nicht mehr darum, wo sich Steinbrück in der Sache Fehler oder Verfehlungen geleistet hat. Es geht nur noch darum, wie sein Verhalten wirkt – beziehungsweise darum, wie Medien entschieden haben, dass es wirkt. Politik und Journalismus werden zum Treibhaus, zur verschlossenen, klaustrophobischen Sphäre, die sich nur noch auf sich selbst bezieht und so ihre eigenen, völlig abgekoppelten Dynamiken schafft."
Finde ich sehr schön formuliert. Politikwissenschaftler reden hierbei von der sogenannten 'Medienwirklichkeit'.
Wer schon einmal einen Journalisten im Zug telefonieren gehört hat, weiß, wovon ich rede.
naja...
aber ganz so clever hat er sich bisher im Großen und Ganzen nicht angestellt, nicht war?
Wie ihm das mit dem Kanzlergehalt nüchtern rausrutschen konnte(ich habe das Gesamte Interview gelesen, trotzdem!)ist mir schleierhaft.
Eigentlich ist es sowieso völlig schnurz, weil die SPD diese wahl nicht gewinnen wird...
Wenn das Handeln mit dem Quasseln Übereinstimmen würde?
Dann bräuchte der Kanzlerkandidat gar nix tun, und die Presse würde auch nicht So, über Ihn schreiben können!
Aber die wirkliche Einsicht, das es den meisten Menschen unter einem Steinbrück dann besser gehen würde, kann Dieser eben nicht Vermitteln!
Wo Er halt noch Mitgestalten konnte, hat Er zu viel Mist gebaut, in den Augen der meisten Menschen!