Hildegart Stellmacher hat es nicht übers Herz gebracht, ihren tschechischen Gästen die Wahrheit zu sagen. Es war im vergangenen Sommer, da hatte Stellmacher – sie ist Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Dresden – Tomáš Kraus und Martin Prudky zu einer Diskussion in die sächsische Landeshauptstadt geladen. Der eine ist Vorsitzender der Föderation der Jüdischen Gemeinden der Tschechischen Republik und Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses, der andere Theologe und stellvertretender Dekan der Karls-Universität in Prag. Beide sprachen damals in der Dresdner Dreikönigskirche über das christlich-jüdische Verhältnis in Tschechien.
Das Geld für die beiden Referenten kam aus dem sächsischen Demokratieprogramm "Weltoffenes Sachsen" – doch genau das ist das Problem. Der Freistaat verlangt seit 2011, dass zivilgesellschaftliche Institutionen, die Geld aus sächsischen Demokratieförderprogrammen bekommen wollen, sich schriftlich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen und sich dazu verpflichten "keine Aktivitäten" zu entwickeln, die ihr widersprechen. Das gilt in Sachsen grundsätzlich auch für ihre Kooperationspartner und externe Referenten. Diese Extremismusklausel oder Demokratieerklärung, wie sie offiziell heißt, ist schwer umstritten.
Hildegart Stellmacher hätte ihren Gästen also ein schriftliches Bekenntnis zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit abverlangen müssen, das empfand sie als unglaublich beschämend. Tomáš Kraus sei das Kind von Holocaust-Überlebenden, die Tschechen hätten die Verbrechen der Nazis und später die Niederschlagung des Prager Frühlings auch mithilfe von NVA-Truppen erlebt. "Wie soll ich vor diesem Hintergrund tschechischen Staatsbürgern erklären, dass sie uns erst noch beweisen müssen, dass sie Demokraten sind?", fragt Stellmacher fassungslos.
Das Innenministerium macht keine Ausnahme
Beim sächsischen Innenministerium hat sie darum gebeten, in diesem Fall auf die Erklärung zu verzichten. Im Antwortschreiben des Innenministeriums heißt es: Ausnahmen könne es nicht geben und der Verein müsse die Unterschriften der beiden Referenten nachreichen. Auf Nachfrage von ZEIT ONLINE wollte ein Sprecher des Ministeriums wegen "datenschutzrechtlicher Belange" keine Angaben zum Förderverfahren machen.
Stellmacher will nun das bereits ausgezahlte Geld aus dem Demokratieprogramm zurückgeben. Auf keinen Fall wird sie den Referenten diese Erklärung vorlegen – wenngleich 500 Euro für den kleinen Verein in Dresden viel Geld ist.
Zuletzt hatte die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit sogar den Bundespräsidenten gebeten, sich der Sache anzunehmen. Hatte Joachim Gauck nicht kürzlich bei seinem Besuch in Tschechien betont, wie wichtig ihm ein gutes Verhältnis zwischen den beiden Nachbarländern ist? Doch die Antwort aus dem Bundespräsidialamt fiel ernüchternd aus: Dem Bundespräsidenten stünde es nicht zu "Angelegenheiten zu kommentieren oder gar zu kritisieren, die originär in der Zuständigkeit eines Bundeslandes wurzeln", hieß es darin. Stellmacher hingegen glaubt, es könne das Verhältnis zwischen den beiden Ländern trüben, sollte sie von Kraus und Prudky eine Demokratieerklärung fordern.
Rechtlich umstritten
Auch der sächsische Landtagsabgeordnete Henning Homann (SPD) wünscht sich vom sächsischen Innenministeriums "mehr internationales Fingerspitzengefühl" und fordert eine grundsätzliche Streichung der Demokratieerklärung. Der Vorfall zeige einmal mehr, dass sie Demokratie nicht fördert, sondern behindert. Die Grünen-Landtagsabgeordnete Eva Jähnigen sieht in dem Fall eine "typische Blüte der sächsischen Demokratie", die Erklärung sei ohnehin verfassungswidrig und erst recht könne man nicht ausländische Gäste auf das Grundgesetz verpflichten.
Sachsen ist das einzige Bundesland, das die Mittelvergabe bei Demokratieförderprogrammen und die Unterstützung von Initiativen gegen Rechts von der Unterzeichnung der sogenannten Demokratieerklärung abhängig macht. Vertreter von SPD, Grünen und der Linken sowie Verbände wie der Zentralrat der Juden kritisieren die Extremismusklausel seit ihrer Einführung scharf. Auch rechtlich ist die Erklärung umstritten. Nach einer Klage des Alternativen Kultur- und Bildungszentrum AKuBiZ e.V. aus Pirna erklärte das Verwaltungsgericht die einst von Familienministerin Kristina Schröder auf Bundesebene eingeführte Erklärung Anfang vergangenen Jahres für rechtswidrig. Gegen dieses Urteil legte die Bundesregierung Berufung ein und das Verfahren liegt nun beim sächsischen Oberverwaltungsgericht.
Auch Hildegart Stellmacher hofft, dass die Demokratieerklärung bald Geschichte ist. Vorerst ist sie aber damit beschäftigt, Geld zu sammeln, das sie laut sächsischem Innenministerium zu Unrecht an die Referenten ausgezahlt hat. Ihre Gäste von damals sollen davon nichts erfahren.
Kommentare
Stichwort Föderalismusreform
Sachsen hat sich soeben freiwillig als erster Eingliederungskandidat gemeldet. Wohin tun?
Also ehrlich, das ist sowas von p e i n l i c h!
Skandalös
ist doch eher, dass solche Events auch noch mit Steuergeldern finanziert werden sollen. Ich war nicht dort, kann mir aber gut vorstellen, wer da vorgefahren ist! Sicher treffen sich viele von diesen Besucher auch häufig in der Semperoper und der Frauenkirche bei diversen anderen ähnlichen Events wider.
Die 1000 Euro für die beiden Gastredner kann man problemlos bei den Gästen abgreifen, denn für die ist das ein kurzer Einkaufsbummel weniger. (Oder sich sowas gleich schenken, aber das wird sicher nicht passieren, man muss ja seine "Sozial"-Kontakte pflegen.)
Viel sind 1000 Euro für die sozialen Vereine in Dresden, die massiv verkleinert werden. Für Kinder aus sozial schwachen Familien, die einfach nur die gleichen Chancen haben sollten..
dont get me started..
Achso?
Sie sehen also kein Problem darin, eine Gesinnungsprüfung zu machen? Aber das war ja auch vor 40 Jahren in Dresden nicht anders. Da musste man sicher auch "für die Freiheit" und "den großen Bruder" sein, bevor es Untersützung gab. Wären sie denn auch dafür, das von allen Bürdern zu fordern und die, die nicht wollen einfach einzusperren? Brauchen wir ihrer Meinung vielleicht nicht auch wieder eine Stasi die sich um sowas kümmert? IMs (äh V-Leute) gibt es ja in Sachsen auch schon einige...
EV...
Ist schon sehr bedenklich das ein "Eingetragener Verein" einem Land Vorschriften machen will, wie und was es zu tun hat, oder warum....
Ist das Verhalten von diesem Verein nicht "verfassungswidrig"?
zu 3. EV...__falsch!
Der Verein macht dem Land keine Vorschriften, er wendet sich gegen Vorschriften!
Mag sein, dass Sie diesen Unterschied nicht verstehen können oder wollen, er ist aber bedeutend.
Übrigens tut dieser Verein mehr für die Demokratie als die Landesregierung, die rechtsextremen Auswüchsen in ihrem Hoheitsgebiet nicht energisch und engagiert entgegentritt und über V-Leute auch noch sponsert.
Es stellt sich also die Frage, von wem hier die Abgabe einer 'Demokratieempfehlung' verlangt werden sollte!
Kafka läßt grüßen
So hirnrissig das Ganze auch ist, hätte ich den beiden dennoch das Formular in die Hand gedrückt. Ich kann mir nämlich sehr gut vorstellen, dass sie darin nichts anderes gesehen hätten, als typisch deutschen Bürokratismus.