Ausgerechnet vier Wochen vor der Bundestagswahl steht Deutschland vor einer außen- und sicherheitspolitischen Herausforderung, in der es um Leben und Tod geht, um Standfestigkeit, um Verlässlichkeit gegenüber den Partnern und um deutschen Einfluss in der Welt. Mit starken Worten hat Bundeskanzlerin Angela Merkel den Giftgasangriff in Syrien verurteilen lassen und Konsequenzen verlangt. Ob ihre Regierung eine militärische Reaktion des Westens befürwortet oder sogar unterstützen würde, ließ sie allerdings offen.
Nach dem Angriff auf die UN-Inspektoren ist unklar, ob es die "letzte Gewissheit" über den Urheber des C-Waffen-Einsatzes geben wird, von der Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag sprach. London drängt zu einer schnellen Antwort. An welchen Leitlinien also kann sich die deutsche Entscheidung orientieren? Wenn die Wirtschaftsmacht im Zentrum Europas die außenpolitische Verantwortung ausfüllen will, die seine Politiker so gern beanspruchen, muss die Regierung eine Reaktion unterstützen, die Assad seine Grenzen aufzeigt und jeden anderen Despoten vom Einsatz von C-Waffen abschreckt. Nur wer den wichtigsten Nato-Partnern nun Bereitschaft zum Handeln signalisiert, kann deren Entscheidung selbst auch beeinflussen.
Jedem Verantwortlichen in Berlin ist bewusst, dass die deutsche Politik wegen ihrer Libyen-Enthaltung im Sicherheitsrat vor zwei Jahren nun unter ganz besonderer Beobachtung steht. Zwar hat sich manche deutsche Befürchtung von damals erfüllt. Doch die Bundesregierung wird nun gefragt, wie viel ihr die Verteidigung gemeinsamer Werte und Interessen wert ist. Da darf es schon als ein Fortschritt gelten, wenn Guido Westerwelle nicht auch bei dieser Gelegenheit schon wieder die deutsche "Kultur der militärischen Zurückhaltung" preist.
Allerdings begeben sich Berlin und seine Verbündeten auch mit einem begrenzten Militärschlag mit Marschflugkörpern gegen Stellungen des Regimes auf völkerrechtlich heikles Terrain: Mit der Schutzverpflichtung "Responsibility to protect" haben die UN zwar eine Grundlage für militärisches Eingreifen geschaffen. So lange Russland und China den Sicherheitsrat blockieren, scheitert seine Anwendung aber. Schon einmal hat eine Bundesregierung Sicherheits- und humanitäre Interessen höher gewichtet als das Völkerrecht – im Kosovo-Krieg 1999. Allerdings erscheint rückblickend die Lage im zerfallenden Jugoslawien zu der heute in Syrien geradezu als übersichtlich.
Noch etwas steht auf dem Spiel, das der Bundesregierung nicht anzulasten ist. Barack Obama hat mit seiner Verkündigung einer roten Linie hohe Erwartungen geweckt. Eine Weltordnungsmacht, die leere Drohungen in die Welt setzt, macht sich zum Gespött, was auch in Teheran genau registriert werden dürfte. Deshalb ist eine Reaktion, die Amerika stärkt, auch in deutschem Interesse.
Bleibt der Druck des Wahlkampfs: Wie angreifbar macht sich eine Regierungschefin, die den Einsatz von US-Marschflugkörpern verteidigt oder ABC-Spürpanzer an die türkisch-syrische Grenze schickt? Viel spricht dafür, dass sich die Wohlfühl-Kanzlerin in dieser Frage nun klarer positionieren muss als etwa auf dem Feld der Euro-Rettung, selbst auf die Gefahr hin, dass Sigmar Gabriel sie als willige Helferin der US-Militärmacht schmähen kann. Für die SPD wäre eine solche Attacke allerdings auch nicht ohne Risiko. Sie würde sich zum Komplizen eines Despoten machen, der offenbar sein eigenes Volk vergiftet.
Kommentare
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"Syrien-Dilemma"
Was für ein Dilemma soll das sein?
Die USA haben überhaupt kein Recht dazu, die Welt mit ihren Kriegen zu überschütten, vollkommen unabhängig davon, ob Giftgas eingesetzt wurde oder nicht.
Es genügt auch nicht, sich in dieser Frage zurückzuhalten, sondern man muss ganz eindeutig die USA auf ihr Fehlverhalten hinweisen und international ächten. Und das gilt auch und erst Recht für die Bundeskanzlerin.
Lieber sistoudi,
völlig richtig!
Es gibt bisher kein Syrien-Dilemma!
Es gibt bisher nicht mal den Nachweis eines Kampfstoffeinsatzes, es könnte sich genauso gut um bestimmte Insektizide gehandelt haben.
Es ist verantwortungsvoll sich hier nicht vor irgendeinen Karren spannne zu lassen!
Es ist zweckmäßig den chemisch - analytischen Befund der OPCW abzuwarten und kritisch zu würdigen!
[...]
Peter
Gekürzt. Bitte bemühen Sie sich um einen sachlicheren Kommentarstil. Danke, die Redaktion/sam
Beweise
Gibt es eigentlich schon irgendwelche Beweise, oder beschränken die sich auf dubiose Pressemeldungen und die "Beweisvideos", die man so im Internet zu sehen bekommt und die eigentlich gar nichts belegen?
Assad läßt sogar
Inspekteure der UN ins Land. Was lernt der geneiget Despot davon? Es ist egal ob du Inspekteure ins Land läßt oder nicht, wenn der moralisch höher Stehende bombardieren will dann bombardiert er eben.
Da lernt man ja gerade den Iran verstehen der keine Inspeteure ins Land lassen will.
kein Eingreifen
ohne UN-Mandat, ohne Beweis der Schuldfrage für den Giftgaseinsatz und ohne vernünftiges Konzept für die weitere Entwicklung Syriens.
Das sollte die Maxime der deutschen Politik sein, egal ob vor oder nach der Wahl.
Inwieweit sich diese Haltung auf Deutschlands künftiges internationales Ansehen und Einfluß auswirkt, wäre mir im konkreten Fall egal.