Frank-Walter Steinmeier hatte sich einige Stunden Zeit genommen. Trotz seiner starken Beanspruchung durch die Krisendiplomatie im Ukraine-Konflikt und die Brandherde im Nahen Osten kam der Außenminister am Samstag nach Kiel, um vor und mit Mitgliedern des schleswig-holsteinischen SPD-Landesverbands über die deutsche Außenpolitik zu sprechen. Und staunte: Obwohl gleichzeitig die Kieler Woche und die Fußball-Weltmeisterschaft liefen, kamen rund 200 Genossen, um sich einen halben Tag lang mit dem sperrigen Thema zu beschäftigen.
Der Landesvorsitzende Ralf Stegner, zugleich stellvertretender SPD-Bundesvorsitzender und Anführer der Parteilinken, gab zu Beginn den Ton vor. Eine "Kultur der Zurückhaltung" sei auch künftig richtig für Deutschland, sagte er, gemünzt auf die Debatte über eine stärkere deutsche Verantwortung in der Welt, die Bundespräsident Joachim Gauck gemeinsam mit Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen Anfang des Jahres angestoßen hatte, und die Gauck jüngst mit einem Interview noch einmal befeuert hatte.
Viele SPD-Genossen irritiert daran, wie bei Diskussionsveranstaltung deutlich wurde, wie wohl auch andere Bürger, dass der Eindruck entstand, der Bundespräsident und die beiden Minister meinten damit vor allem eine stärkere Beteiligung an militärischen Auslandseinsätzen. Die Parteimitglieder beruhigte daher, dass Steinmeier fast ausschließlich über diplomatische Bemühungen zur Krisenprävention und Konfliktbeilegung sprach.
Der Minister nannte die SPD eine "Friedensbewegung". Er erinnerte daran, dass an diesem Tag vor 100 Jahren in Sarajevo das Attentat auf den österreichischen Thronfolger geschah, das den Ersten Weltkrieg auslöste. Außenpolitik und Diplomatie hätten damals versagt. Die Lehre von 1914 sei daher, "dass die Außenpolitik nie aufhören darf, Auswege aus einer Eskalation zu suchen". Dies sei auch jetzt das Gebot im Ukraine-Konflikt, der schwersten außenpolitischen Krise in Europa der letzten 25 Jahre.
"Nicht von der Seitenauslinie"
Steinmeier wiederholte seine Mahnung, dass sich Deutschland international stärker engagieren müsse. Das Land sei "ein bisschen zu wichtig, um die Weltaußenpolitik nur von der Seitenauslinie zu kommentieren". Er verwies allerdings darauf, dass nach einer vor Kurzem veröffentlichten Umfrage nur 37 Prozent dafür seien, dass Deutschland mehr internationale Verantwortung übernehme. 60 Prozent lehnten das ab. Hier klaffe ein "großer Graben" zwischen den hohen Erwartungen von außen und der Bereitschaft im Inneren.
Der Minister ließ keinen Zweifel, dass er von seiner Partei erwarte, daran mitzuwirken, diese Kluft zu schließen. "Als am stärksten vernetztes Land in der Welt können wir uns nicht heraushalten", ermahnte er die Genossen. Allerdings müsse man genau definieren, wie weit die Verantwortung reiche. Und es gehe nicht um eine militärische, sondern um "aktive" Außenpolitik, beruhigte er sie.
Stegner lobte denn auch ausdrücklich Steinmeiers "Friedensdiplomatie" in der Ukraine-Krise. Für ihn wie auch für die Parteimitglieder und Steinmeier selbst zeigen die intensiven Vermittlungsbemühungen zwischen der Führung in Kiew, Russland und den Separatisten in der Ostukraine, welche Rolle Deutschland künftig in der Außenpolitik spielen sollte: als Vorbild und Taktgeber für Konfliktlösungen ohne Gewalt. "Deutsche Außenpolitik muss immer Friedenspolitik sein, und Deutschland muss dabei Motor sein", sagte Stegner unter dem Beifall der Mitglieder. Steinmeier ergänzte, man müsse so handeln, "dass das Militär am Ende nicht notwendig wird".
Kommentare
Ich wünsche mir
den Schröder zurück. Der hatte wenigstens Eier in der Hose.
"Friedensmacht SPD"
Seit dem Kosovokrieg und Scharpings "Hufeisenplan" klingt solch eine Überschrift wie Hohn.
Aber man ist ja hier mittlerweile so einiges gewöhnt...
Placebo für die Basis
Die Diskussion der "Genossen" in Kiel mit dem Außenminister Steinmeier ist eine überflüssige Diskussion und dient letztlich nur als Placebo für die SPD-Basis. Die grundlegenden Entscheidungen diesbezüglich sind längst in Washington gefallen und die werden auch umgesetzt, da besteht kein Zweifel. Deutsche Soldaten werden in Zukunft noch aktiver in aller Welt in den Konfliktherden mitmischen, die deutsche Bevölkerung wird gerade darauf vorbereitet. Kriegstrommler Gauck und die Oberbefehlshaberin der deutschen Truppen rühren gerade die Werbetrommel. Man glaube doch nicht, dass der SPD-Vorsitzende und Atlantikbrücke-Mitglied Gabriel vom Kurs abweichen wird...
Wen interessiert, was das Volk will?
Das wird mitgenommen, das Parteivolk zuerst, aber wohin, das bestimmt die Führung. Und was die bestimmt, bestimmt der Himmel weiß wer.
Nicht, dass man den Standpunkt, Deutschland müsse seiner Größe entsprechend Verantwortung übernehmen, nicht einnehmen kann. Es hört sich durchaus vernünftig an. Und das dumme Volk muss ja nun wirklich nicht in allem Recht haben. Aber das sagt leider wenig darüber aus, ob das, was sich so vernünftig anhört auch vernünftig gemeint ist.
Bedenklich ist, dass diese "Einsicht" nicht einem transparenten Diskurs oder überhaupt vielleicht sogar gar keinem Diskurs entsprungen ist.
Der Augenschein sagt, dass dies eine orchestrierte Kampagne ist, die auf der Münchener Nato-Konferenz lanciert wurde, wo Gauck, Steinmeier und von der Leyen zeit- und wortgleich mit dieser Neuausrichtung der deutschen Politik aufwarteten.
Und nun wird nicht etwa diskutiert darüber, sondern es wird gleichgeschaltet.
Es wird klargestellt, dass, wer in der SPD noch etwas werden will, der sollte hier nicht aufmucken (bei allem Verständnis für "berechtigte" "Ängste" natürlich). So baut man den "Doofen" die goldene Brücke zur Eintracht.
Die SPD ist nicht mehr die Partei Brandts und Schmidts.
" "Frieden ist nicht alles. Aber ohne Frieden ist alles nichts." Bahr, Brandts engster Vertrauter, leitete daraus ab, dass Frieden vor Demokratie, Freiheit und Menschenrechten gehe".
Bahr, Brandt und Schmidt haben erfahren, was Krieg heißt und haben deshalb dem Frieden Priorität eingeräumt, ohne deswegen Pazifisten zu sein. Deren politische Enkel kennen Krieg nur vom Hörensagen und aus dem TV, also abstrakt und haben ihn nicht am eigenen Leib erfahren. Deshalb nehmen diese Enkel Krieg zur Durchsetzung von Menschenrechten und Demokratie durchaus in Kauf. Es wäre mal interessant zu erfahren, ob beispielsweise die syrischen Zivilisten, die den Krieg nun jahrelang erleiden, ebenfalls so denken. Oder ob sie einfach nur Frieden haben wollen, weg von den Schrecken des Krieges, egal ob unter einer Demokratie oder Assad-Diktatur. Was nützen einem Volk Freiheit, Demokratie und Menschenrechte, wenn das Volk durch den Krieg zum großen Teil vernichtet wird?
Es scheint so, dass mit zunehmendem zeitlichen Abstand von der Hölle des letzten Krieges hierzulande der Krieg als ultima ratio der Politik wieder salonfähig wird.
Was lernen wir aus der Geschichte? Wir lernen, dass wir nichts draus lernen.
ohne Titel
Nun, ich denke, dass wir durchaus mehr aus der Geschichte gelernt haben, als es jemals zuvor in der Weltgeschichte der Fall war. Das ist doch zumindest in erster Linie nichts negatives.
Wir sind jetzt nun einmal eine Generation, die den Krieg selbst nicht erlebt hat. Aber ich glaube, auch da kann man durchaus Vorteile drin sehen.
Dieser alte Mythos der Taufe des Menschen durch Krieg oder Wehrerziehung ist doch eigentlich ein bisschen schade, finden Sie nicht? Im Übrigen hat genau dieser auch die zwei Weltkriege verursacht. Darum sollte man sich davor hüten, ihn ungeschickt zu perpetuieren.