Die Sache fängt jetzt an, ihr richtig Spaß zu machen. "Einen machen wir noch", ruft Christine Lieberknecht (CDU) ihrem Sprecher zu. Sekunden später steht Thüringens Ministerpräsidentin samt Wahlkreiskandidatin in einer Gasthausküche vor einem ziemlich überrumpelten Wirtsehepaar. Lieberknecht erfasst die Situation mit einem Blick. "Ach", ruft sie fröhlich, "gibt's Rouladen?"
Ein Samstag Ende August, Lieberknecht hat es auf Wahlkampftour in das malerische Örtchen Bibra in der südwestlichen Ecke Thüringens verschlagen. Schöne Fachwerkhäuser reihen sich aneinander, die Kirche trägt einen Zwiebelturm. Neben den Überresten einer mittelalterlichen Burg bindet die Dorfjugend Kürbiskränze für die anstehende Kirmes.
Im 16. Jahrhundert forderte hier der Prediger Hans Hut während der Bauernkriege dazu auf, "alle Oberkait totzuschlagen". Regierungschefin Lieberknecht traut sich trotzdem: Beherzt öffnet sie Gartentore und klingelt an Haustüren. "Ihnen geht es gut", ruft sie, sobald sie eine Schwelle überschreitet. Es klingt eher nach Feststellung als nach Frage.
Sie lobt den Geranienschmuck, freut sich über spielende Kinder. Dann greift sie zu ihren Flyern. Ganz oben solle man den Wahlzettel am 14. September bitte ankreuzen, zweimal. "Kreuzchen rechts, Kreuzchen links – dann stimmt’s", reimt sie – und ist auch schon wieder weg.
Keine Zeit für die Enkelin
Eigentlich sollte Lieberknecht an diesem Tag Zuckertütenfest feiern. Eines ihrer fünf Enkelkinder wird heute eingeschult. Doch die kleine Resi muss warten, für die Oma steht derzeit politisch zu viel auf dem Spiel. Der 14. September könnte nicht nur die Karriere der Christine Lieberknecht beenden, sondern auch 24 Jahre CDU-Herrschaft in Thüringen.
Deshalb zieht die Ministerpräsidentin nun durch das Ländchen und erzählt möglichst vielen der 2,2 Millionen Einwohner, Thüringen gehe es "so gut wie noch nie". Sie kann sich dabei auf Fakten stützen: Die Arbeitslosigkeit ist mit 7,5 Prozent die niedrigste in Ostdeutschland. 70 Prozent der Thüringer schätzen die wirtschaftliche Entwicklung als gut oder sehr gut ein. Seit zwei Jahren hat die Landesregierung keine neuen Schulden mehr gemacht und obwohl Hunderte Lehrer fehlen, hat Thüringen bei einem bundesweiten Schulvergleich gerade den zweiten Platz belegt.
Aber die Affären: Gegen Lieberknecht selbst wurde wegen Untreue ermittelt, weil sie ihren 37-jährigen Regierungssprecher Peter Zimmermann in den einstweiligen Ruhestand versetzte und ihm damit hohe Pensionsansprüche verschaffte. Das Verfahren wurde später eingestellt. Im vergangenen Juli trat auch noch ihr Staatskanzleichef Jürgen Gnauck nach nur einem halben Jahr im Amt wegen Untreuevorwürfen zurück – kein guter Start in den Wahlkampf.
Alles hängt an der SPD
Auch politisch blieb manches stecken: Aus einer großangelegten Verwaltungsreform wurde am Ende nur ein Reförmchen, von der eigentlich geplanten Gebietsreform distanziert Lieberknecht sich ganz, als der Widerstand in der eigenen Partei zu groß wurde.
Doch all das ist nicht der eigentliche Grund, weshalb die Frau, die 2009 die erste CDU-Ministerpräsidentin Deutschlands wurde, sich nun ernsthaft sorgen muss, bald nur noch einfache Landtagsabgeordnete zu sein. Schuld ist vielmehr der bisherige Koalitionspartner SPD. Anders als früher sind die Sozialdemokraten diesmal grundsätzlich bereit, einen Linken, namentlich den populären Bodo Ramelow, zum Ministerpräsidenten zu wählen. Offiziell hat sich die SPD allerdings noch nicht auf Rot-Rot festgelegt, entscheiden sollen nach der Wahl die Mitglieder.
Kommentare
Person, Partei und Demokratie
Nichts gegen Frau Lieberknecht, aber sie vertritt eine Partei, die mit aller Kraft gegen Volksabstimmungen steht. Was spricht dagegen, bei Themen über die EU- oder Euro-Politik und z.B. bewaffnete Auslandeinsätze das Volk direkt zu befragen?
Das Volk hat nicht immer Recht, genauso wie Politiker. Nur, das Volk als Mehrheit hat in einer Demokratie nie Unrecht.
Mitbestimmung.
Sie haben recht. Die Union glaubt in diesem neuen Jahrhundert, es reicht, wenn alle 4 Jahre gewählt wird, und dann können wir 4 Jahre machen was wir wollen. Nein, dem ist nicht mehr so. Das gilt für alle Altparteien, die man locker an ihrer Politik messen kann. Da ist die Stimme bei der AfD viel besser aufgehoben: Da gibt es ein konservatives Programm, was Millionen Bürger wünschen, und die AfD setzt sich für Volksentscheide ein. Da bekommen die Altparteien meine Stimme nicht mehr.
Jaja, die Predigerin ...
Hätte man unter Mohring einen Neustart gewagt, wäre vielleicht was zu reißen gewesen. Aber so geht's nur darum, sich die angenehmen Pfründe zu sichern. Nein danke. Schon lange nicht mehr. Aber diesmal auch keine SPD mehr; die ist in der Thüringer GroKo unter Matschie sang- und klanglos in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Und die übermotivierte Frau Taubert wird das nicht ändern, zumal bekannt ist, daß sie mit Frau Lieberknecht eigentlich gar nicht kann.
Ich werde wohl diesmal was machen, was ich nie gedacht hätte, und nicht drauf setzen, ob jemand gebürtig aus Thüringen kommt oder nicht. Plumpe Kampagne übrigens, niveaulos.
hinterfragen statt nachplappern wäre schön
"Thüringen gehe es "so gut wie noch nie"
Sehr geehrte Frau Schuler,
Haben Sie als Journalistin eigentlich irgendwann einmal gelernt solche Aussagen zu hinterfragen statt nachzuplappern bzw. mit fragwürdigen statistischen Angaben (methodisch fragwürdige Umfragedaten, offizielle Arbeitslosenquote versus prekäre Beschäftigung usw.) zu rechtfertigen?
Mal was Neues ausprobieren...
In diesem Jahr kann ich auch in Thüringen wählen und werde meine Stimme wohl testweise mal Herrn Ramelow und den Linken geben. Thüringen mag es in manchen Zentren sicher ganz gut gehen, aber ich bezweifle, dass das überall so sein wird. Aber selbst wenn hier bisher eine gute Bilanz vorherrscht, so ist durch die CDU doch ein ganz schön eigenartiges Politikverständnis vorhanden, welches ich spontan als "konservativ-durchwurschtelnd" beschreiben würde. Braucht man das? Eher nicht. Die Landespolitik wirkt genauso schläfrig wie anderswo durch diese Partei auch.
Von einer starken linken Partei erhoffe ich mir auch einfach ein bundespolitisches Signal. Das gesamte linke Lager muss sich wieder etwas mehr zusammenschließen sofern sie überhaupt wieder eine Machtoption haben wollen. Zudem hoffe ich, dass damit auch mal wieder ein etwas anderer, alternativer (und damit nicht: "alternativloser") politischer Weg ermitteln lässt. Wenn es dann mal einen Ministerpräsident der Linken gibt, wäre das einfach mal ein sehr interessanter Testfall.
Ach ja: Ich bin übrigens kein gebürtiger Thüringer und finde es sehr bedenklich, wenn wirklich jemand ernsthaft danach geht...