Ist Deutschland das Flüchtlingsheim Europas oder gar der Welt? Innenminister Thomas de Maizière versucht gerne, diesen Eindruck zu erwecken. "Wir sind das Land mit den meisten Asylanträgen weltweit", sagt er. Auch Entwicklungsminister Gerd Müller baut ein Bedrohungsszenario auf,
wenn er sagt, dass die deutschen Kommunen nicht alleine die weltweiten
Flüchtlingskrisen
lösen können. Das müssen sie auch gar nicht. Denn die Politiker verzerren das Bild. In Wahrheit tut Deutschland in der Flüchtlingskrise viel weniger als andere Länder. Und Deutschland tut viel weniger, als es könnte und als es früher getan hat.
Zwar suchte 2014 jeder dritte der mehr als 626.000 Asylbewerber in der Europäischen Union Zuflucht in Deutschland. Am Freitag beraten Bund und Länder im Kanzleramt, wie mit der steigenden Zahl von Flüchtlingen umgegangen werden soll. Im Ländervergleich stand die Bundesrepublik im vergangenen Jahr mit mehr als 200.000 Asylsuchenden tatsächlich an der Spitze. Setzt man die Zahlen aber ins Verhältnis zur Bevölkerung des jeweiligen Landes, befindet sich Deutschland in der Rangliste in Wahrheit weit hinter Schweden, Ungarn, Österreich und Malta erst an neunter Stelle.
Die Asylbewerberzahlen sagen außerdem nichts darüber aus, wie viele Menschen in dem jeweiligen Land bleiben, denn im Asylverfahren wird kräftig ausgesiebt. Mehr als 200.000 Menschen beantragten 2014 Asyl in Deutschland, entschieden wurden in dem Jahr aber nur etwas mehr als 97.000 Anträge, rund 40.500 Menschen durften bleiben. Das entspricht lediglich 20 Prozent der Menge der Asylbewerber. Ein Beispiel könnten wir uns an Schweden nehmen: Dort beantragten 2014 mehr als 81.000 Menschen Asyl, fast 40.000 Anträge wurden entschieden, mehr als 30.000 Menschen konnten bleiben. Das sind fast 40 Prozent.
Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl geht das deutsche Engagement in der Flüchtlingsfrage nicht weit genug: Deutschland – immerhin eines der reichsten Länder der Welt – müsse bereit sein, mehr Flüchtlinge als andere EU-Staaten aufzunehmen. Von Bund und Ländern fordert Pro Asyl etwa neue Aufnahmeprogramme für Syrer und Iraker. Diese zählten zwischen 2005 und 2014 zu den größten Gruppen der Asylbewerber in Deutschland. Aber auch zunehmend viele Serben beantragten in den vergangenen zehn Jahren Asyl in der Bundesrepublik. Das will die Bundesregierung beenden. Seit November stuft sie den Balkanstaat wie auch Mazedonien und Bosnien und Herzegowina als "sicheres Herkunftsland" ein. Menschen aus diesen Ländern haben damit keine Chance mehr, dass ihr Asylantrag angenommen wird.
Aber die Zahlen steigen doch immer weiter, immer mehr Menschen wollen hier her, sagen Asylgegner. Ja. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat seine Prognose für 2015 von 300.000 auf 400.000 Flüchtlinge korrigiert, weil die Syrien-Krise anhält
und sich die Situation im Irak weiter verschlechtert. Damit wäre die Zahl
der Asylbewerber doppelt so hoch wie im vergangenen Jahr. Aber das ist nichts Neues: Schließlich
lösten die Kriege auf dem Balkan in den neunziger Jahren schon einmal eine so große Flüchtlingswelle aus. 1992 suchten 438.191 Menschen Schutz in
Deutschland.
Kommentare
Deutschland ist eines der am dichtesten besiedelten Ländern in der EU. Warum soll ausgerechnet Deutschland überdurchschnittlich viele Flüchtlinge aufnehmen?
Rumänien, Bulgarien, Ungarn, etc. nehmen so gut wie keine Flüchtlinge auf.
http://mediendienst-integ...
Diese Lastenaufteilung ist höchst ungerecht!
Wieso gehen SIe....
... wie selbstverständlich davon aus dass es eine Last ist? Vielleicht wartet dort ihre große Liebe auf Sie.
Und die "Asylantenfamilie" in unserer Nachbarschaft arbeitet härter und länger als die ganzen Klugscheisser in der Kneipe.
Soviel also zur Asylantenschwemme -
vergleicht man die Zahlen mit dem Zeitraum um 1990, ist noch nicht einmal die Hälfte erreicht.
Übrigens hat der kleine Libanon wesentlich mehr Flüchtlinge aufgenommen, im Verhältnis zur Bevölkerung, steht aber nicht in der Liste, da nicht zu Europa gehörig.
Die Xenophobie in Deutschland, die auch noch von Politikern geschürt wird, ist zum K.....n. (Max Liebermann).
Jeder, der hier meint, Deutschland würde morgen überrannt, sollte sich erst mal mit den Fakten auseinandersetzen.
Ja und?
"Vergleicht man die Zahlen mit dem Zeitraum um 1990, ist noch nicht einmal die Hälfte erreicht."
Ist es etwa ein erstrebenswertes Ziel die Zahlen von 1990 zu erreichen?
Wenn Sie schon Statistik bemühen...
...dann sagen Sie uns doch bitte, wie viele abgelehnte (= ausreisepflichtige) Flüchtlinge tatsächlich widerrechtlich hier bleiben?
Das wissen Sie nämlich nicht. Und so bekommt die ganze Argumentation etwas Schiefes, ja Verlogenes, Betroffenheits-Rührseliges.
Allein 2013 gab es in Deutschland rund 30.000 abgelehnte Asylbewerber (nicht miteingerechnet die "Formellen Entscheidungen", bei denen Asylbewerber in die EU-Staaten geschickt werden, in denen sie zuerst angekommen sind).
30.000 abgelehnte Asylbewerber, d.h. 30.000 ausreisepflichtige Einwanderungswillige. Abgeschoben wurden aber nur etwa 10.000.
Jetzt die große Frage: was ist mit den übrigen 20.000 passiert? Sind sie freiweillig ausgereist? Extrem unwahrscheinlich. Und was ist mit denen passiert, die per "Formelle Entscheidung" hätten ausreisen müssen - 2013 waren das noch einmal ungefähr 30.000.
Wie hoch ist diese Dunkelziffer 2014?
Wie hoch 2015?
Wer (von ProAsyl zum Beispiel) traut sich, dazu Stellung zu beziehen?
Schweigen im Walde.
Sie bringen da ganz schön was durcheinander
Es hielten sich zum Stichtag am 31.12.2013 sogar 533.561 rechtskräftig abgelehnte Asylsuchende in Deutschland auf.
Abgelehnt schlussfolgert aber nicht, dass sie just ausreisepflichtig sind - ein befristeter oder unbefristeter Aufenthaltsstatus macht es möglich.
2,2 Mill Personen hielten sich in Deutschland sich zum Stichtag ohne Aufenthaltstitel, Duldung oder Aufenthaltsgestattung auf. Darunter befanden sich 2 Mill EU- und EWR-Bürger, die keinen Aufenthaltsstatus benötigen. 37000 von den 2,1 Millionen waren von einer unmittelbaren Ausreisepflicht betroffen - wovon 28000 auch ausgereist sind oder wurden.
Das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut veröffentlicht regelmäßig Zahlen für Deutschland, die auf dem europäischen Projekt "Clandestino" basieren. Es schätzt, dass in Deutschland zwischen 100.000 und 400.000 irreguläre Einwanderer leben – darunter zwischen 1.000 und 30.000 schulpflichtige Kinder.http://irregular-migratio...
Alles in allem noch erträglich. Die Zahl der anerkannten Flüchtlinge halbierte sich fast innerhalb der Jahr 1997 - 2012, vor allem infolge massenhafter Asylwiderrufe, Einbürgerungen und Ausreisen. Die Zahl der nicht anerkannten, geduldeten und asylsuchenden Flüchtlinge sank noch stärker um 78%. Man darf auch nicht vergessen, dass über 214000 Menschen seit Anfang der 90er als "jüdische Kontingentflüchtlinge" aufgenommen wurden.
Entfernt. Bitte verzichten Sie auf pauschale Stimmungsmache. Danke, die Redaktion/sam
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