Eine Woche hat Angela Merkel zugeschaut. Eine Woche, in der ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble für ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone warb, während sie doch mit der mühsamen Einigung mit Alexis Tsipras auf ein neues Finanzierungs- und Sparprogramm alles dafür getan hatte, um genau dies zu verhindern. Schäuble hat damit nicht nur für Aufruhr in Athen, Brüssel und Paris gesorgt, sondern auch für einen Koalitionsstreit mit der SPD.
Merkel sah sich nun gezwungen, zu einem Mittel zu greifen, das sie überhaupt nicht mag: ein Machtwort. Sie wünsche, dass die Diskussion um einen Grexit nicht weitergeführt werde, sagte sie im ARD-Sommerinterview, ohne einen Namen zu nennen. Doch klar ist, dass damit Schäuble gemeint war. Merkels Vorgänger Gerhard Schröder hatte regelmäßig Basta gesagt, um seine SPD und die Koalition auf Linie zu bringen. Merkel liegt das eigentlich nicht, sie führt nicht mit Krawall, sondern sucht für gewöhnlich die Übereinstimmung und wartet das Ende der Debatte ab.
Diesmal aber drohte sie die Kontrolle über die Diskussion zu verlieren. Schließlich ist Schäuble ihr wichtigster und mächtigster Minister. Sein Wort hat großes Gewicht in der Union und in der Bundestagsfraktion. Wenn er trotz der Einigung von Brüssel weiterhin einen Grexit anpreist, dann kann das nur diejenigen anstacheln, die weitere Milliardenhilfen für Griechenland ohnehin skeptisch sehen oder ganz ablehnen. 60 Unionsabgeordnete sagten bereits nein bei der Abstimmung über ein Verhandlungsmandat am Freitag im Bundestag. Beim Votum über das Finanzierungspaket selbst könnten es noch weit mehr werden. Erst recht, wenn sich Schäuble weiter auf die Seite der Kritiker stellt.
Dass die SPD gegen den Finanzminister auf die Barrikaden geht, wird Merkel verschmerzen können. Schließlich drückt sich darin auch die Unzufriedenheit mancher Genossen mit dem eigenen Vorsitzenden Sigmar Gabriel aus. Der hatte, genauso wie Merkel, vor dem entscheidenden Wochenende in Brüssel grundsätzlich die Verhandlungsoption gebilligt, der griechischen Regierung mit dem Grexit zu drohen, falls die einen Schuldenschnitt fordern würde. Nachdem Tsipras das aber nicht tat, hatte sich auch die Grexit-Drohung aus Sicht von Merkel und Gabriel erledigt. Nicht jedoch für Schäuble.
Er ist offenkundig überzeugt, dass ein weiteres Spar- und Finanzierungsprogramm Griechenland nicht helfen wird, auf die Beine zu kommen, und dass es stattdessen eines Schuldenschnitts bedarf. Der aber sei innerhalb der Eurozone rechtlich nicht zulässig. Von dieser Haltung will er sich nicht abbringen lassen. Und hat deshalb jetzt sogar mit dem Äußersten gedroht: seinem Rücktritt.
So wie einst von der Leyen
Merkel dagegen ist gegen einen Grexit, aus politischen Gründen. Sie fürchtet die möglichen Folgen für die gesamte EU, und sie möchte nicht als die Kanzlerin in die Annalen eingehen, in deren Amtszeit erstmals ein europäischer Desintegrationsschritt vollzogen wurde.
Für die Kanzlerin ist der Konflikt mit Schäuble auch deshalb ein schwer zu kalkulierendes Risiko. Auf der einen Seite will sie ihn als Stütze des Kabinetts nicht verlieren, schon gar nicht über einen Streit in einer so wichtigen Frage. Sein Rücktritt würde ihr selbst schaden in der Partei, man würde ihr vorwerfen, ihn für die Griechen geopfert zu haben, und Ersatz wäre auch nicht leicht zu finden. Auf der anderen Seite kann Merkel kaum hinnehmen, dass ein Minister – und sei er noch so beliebt in der Partei und Bevölkerung – sich offen gegen sie stellt.
Schon einmal gab es ein Kabinettsmitglied, das sich unbotmäßig verhielt: Ursula von der Leyen, damals noch Arbeits- und Sozialministerin, drohte in der Diskussion um eine Frauenquote in den Führungsetagen der Wirtschaft mit der Opposition zu stimmen. Das aber war ein kalkulierter Konflikt, für Merkel ärgerlich, aber durch einen Parteikompromiss rasch aus der Welt zu schaffen. Und von der Leyen ist politisch nicht so wichtig wie Schäuble. Dennoch wird Merkel ihr das nicht vergessen haben.
Kommentare
Ein merkwürdiges Demokratieverständnis
Es ist schon bemerkenswert, dass eine Kanzlerin meint, sie hätte das Recht, eine enorm wichtige Debatte per Dekret unterbinden zu können. Ich bin kein Schäuble-Fan und halte noch viel weniger von Zickzack-Gabriel. Aber in diesem Fall beglückwünsche ich ihn für seine Geradlinigkeit.
Die Kanzlerin
beendet keine parlamentarische und demokratische Diskussion per Dekret,wenn sie von ihrer Richtlinienkompetenz in Übereinstimmung mit dem GG Gebrauch macht. Sie übt ihr verfassungsmässiges Recht aus und dafür ist sie unter anderem gewählt.
Missverständnis
Da haben Sie mich gründlich missverstanden. 'Per Dekret' war natürlich nicht wörtlich gemeint. Die Äußerung der Kanzlerin ist trotzdem ein Versuch, eine unliebsame öffentliche Debatte zu verhindern, die ihr höchst unangenehm ist. Und ich halte das nach wie vor für ein Symptom ihres mangelhaften Demokratieverständnisses.
@ Dieterf
"Ich bin kein Schäuble-Fan und halte noch viel weniger von Zickzack-Gabriel. Aber in diesem Fall beglückwünsche ich ihn für seine Geradlinigkeit."
Menschen mit Geradlinigkeit sind zu beglückwünschen, steht Geradlinigkeit doch mit Ehrlichkeit, Redlichkeit und Anstand in einer Reihe.
Wenn ich nun an den Puert-Rico-Vergleich denke oder daran, dass die Griechen einfach nur faul seien oder nerven, finde die o.g. Reihe nicht mehr auf, insbesondere die Anständigkeit läßt sich in diesen Kontexten nicht finden.
Mit fällt dazu eher eine andere Beschreibung ein: Unnachgiebigkeit, die eher mit Sturheit, Recht-haberei und Unbelehrbarkeit in einer Reihe steht.
Alles eine Frage der (Fein-)Analyse und des Standpunktes.
Die DM war 54 Jahre lang eine Erfolgsgeschichte...
... der Euro war von Anfang an eine Schrottgeschichte. Wenn also der Wunsch nach Stabilität wie er bei der DM gegeben war, der Ausdruck von Sturheit ist, dann bin ich genauso stur wie die weit überwiegenden Deutschen und auch der Europäer.
Auch die griechischen Bürger wollen eine harte Währung, nur können deren Regierungen damit nicht umgehen.
Und in der ganzen Angelegenheit werden immer die Seiten verwechselt und den Deutschen Schuld zugeschoben wo es keine gibt. Noch einmal zur Erinnerung:
Griechenland will Geld haben weil es das vorherige Geld blödsinnig verdummt hat. Wir entscheiden nur darüber, ob wir es den Griechen geben wollen.
Und wenn Gabriel, Hollande, Gysi und sonstige Sozialisten sich der sozialistischen Internationalen mehr verpflichtet fühlen als dem eigenen Volk, dann sollen die schauen wo sie das Geld für Griechenland auftreiben. Die meisten Europäer fühlen sich der sozialistischen Internationalen nämlich nicht verpflichtet.
Nicht Schäuble ist das Problem...
Schäuble ist lediglich unhöflich, arrogant und besserwisserisch. Im Kern hat er allerdings das erkannt, was jeder aber auch wirklich jeder Ökonom, die griechische Regierung und verantwortungsvolle Politiker weiß.
Griechenland hat in der aktuellen Situation selbst bei einer vollkommenen Rosskur und der plötzlichen Entwicklung zum bürokratischen Vorzeigestaat nicht den Hauch einer Perspektive. Nicht erst seit Syriza sondern bereits seit 2010. Dieser Schuldenberg ist weder durch härteste Sparmaßnahmen noch durch das massivste schuldenfinanzierte Investitionspaket in irgendeiner Weise beherrschbar.
Die Griechen machen jetzt also wie in den letzten fünf Jahren irgendwelche Reformen oder setzen diese halbherzig um, wohlwissend, das man in drei Jahren keinen Schritt weiter ist.
Merkel ist das Problem. All die Bürgschaften dürfen ihr vor Ende ihrer Amtszeit nicht auf die Füße fallen. Deshalb gibt es keine tragfähige Lösung, sei es ein verantwortungsvoller Grexit oder eben ein Schuldenschnitt. Es gilt die formale Abschreibung von 100 Mrd. zu vermeiden, Geld das effektiv verbrannt ist.
Und für die Vertuschung ihrer Verantwortung gefährdet sie das europäische Projekt und versperrt den Griechen - gleich welche - Perspektive. Ein Armutszeugnis. Irgendwann wird nicht mehr die ihr wohlgesonnene Presse sondern die Geschichte diese "Politik" beurteilen. Und dieses Urteil wird desaströs...
@14Schuldenschnitt beiseite! Welche Perspektive hat den Griechen
.
land nach Ihrer Auffassung?
Denn ein Schuldenschnitt bringt kurz- und mittelfristig eh keine Vorteile!
Der Grexit ist noch lange nicht vom Tisch.
Und aus dem Grund darf man ihn auch nicht unter den Tisch fegen. Im Gegenteil: Er muss als reale Option im Spiel bleiben.
Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter. Wir sollten zwischen den Zeilen den Dexit mit allen Konsequenzen (zurückweisen der Bürgschaften) ins Gespräch bringen. Damit Südeuropa endlich aufatmen kann und uns niemand mehr die teutonische Eroberung Europas vorwerfen kann. Tun wir uns doch mit GB zusammen.
Die Meinungsmache
ist so intensiv wie nie.
Wenn diese Wähler wüssten, dass sie die nächsten nach diesem neoliberalen Feldversuch sind! Wie immer merkeln sie das vermutlich zu spät.