ZEIT ONLINE: Herr Albrecht, sie sitzen für die Grünen im EU-Parlament, ganz in der Nähe eines der Anschlagsorte. Wie ist die Stimmung heute im Gebäude?
Jan Philipp Albrecht: Es ist sehr leer hier, viele Mitarbeiter sind daheim geblieben, auch weil es ihnen ausdrücklich freigestellt war. Aber ich finde es wichtig, ganz normal meiner Arbeit nachzugehen, zumal mein Themenbereich, die europäische innere Sicherheit, betroffen ist.
ZEIT ONLINE: Es gab zahlreiche Hinweise darauf, dass Brüssel sehr gefährdet ist. Was sagen Sie denn zu dem Vorwurf, die belgischen Sicherheitsbehörden hätten versagt?
Albrecht: Solche einseitigen Schuldzuweisungen sind zu einfach. Belgien hat eine sehr schwierige Herausforderung zu bewältigen wegen der großen Islamistenszene im Land. Der Premier hat von Anfang an gesagt, dass er befürchtet, Anschläge nicht verhindern zu können. Wir müssen die örtlichen Behörden unterstützen bei ihrer Arbeit, denn dies ist ein Problem für ganz Europa.
ZEIT ONLINE: Die Anschläge von Paris wurden im Brüsseler Stadtteil Molenbeek geplant, dort gibt es eine offenbar gut vernetzte Terrorszene, dort konnte der Paris-Attentäter Salah Abdeslam untertauchen. Es wird untersucht, ob die Bombenattentate von Brüssel trotz großen Fahndungsdrucks zeitgleich dort geplant wurden. Da kann man schon von Versagen sprechen.
Albrecht: Ja, aber es ist unser aller Versagen. Solche Situationen kann es auch an anderen Orten in der EU geben. Auch in Großbritannien, auch in Deutschland und in Frankreich gibt es Stadtteile, wo Islamisten rekrutieren. Wir brauchen eine eng verzahnte europäische Polizei- und Sicherheitsarchitektur, die solchen Bedrohungen gezielt nachgehen kann.
ZEIT ONLINE: Sie haben bemängelt, dass eine europäische Zusammenarbeit der Geheimdienste derzeit durch die EU-Mitgliedsstaaten untersagt ist. Hat das nicht auch gute Gründe?
Albrecht: Die Verhinderung und Verfolgung von Terroranschlägen und anderen Straftaten ist zuallererst die Arbeit der Polizei und Strafverfolgungsbehörden. Deswegen ist es ein Problem, dass in manchen EU-Mitgliedsländern die Geheimdienst- und Polizeiarbeit verschwimmt. Dort wird Terrorabwehr gerne als Frage der "nationalen Sicherheit" bezeichnet, weil in den EU-Verträgen steht, dass die Staaten bei diesem Thema tun und lassen können, was sie wollen. Also gibt es keine europäischen Standards bei der Suche nach Terroristen, das ist untragbar für die aktuelle Herausforderung. Deshalb brauchen wir auch in diesem Bereich endlich gemeinsame Regeln.
ZEIT ONLINE: Wegen der Erfahrung mit der omnipräsenten Geheimpolizei in der Nazizeit wird in Deutschland seit Jahrzehnten streng zwischen polizeilicher und geheimdienstlicher Arbeit getrennt. Und jetzt sollen wir künftig Informationen an Länder geben, die es mit der Trennung nicht so genau nehmen?
Albrecht: Im Gegenteil, wir brauchen endlich EU-weite Regeln dafür, wie polizeiliche und geheimdienstliche Informationen ausgetauscht werden dürfen. Ich würde die Terrorismusbekämpfung gerne in jedem EU-Land klar der Polizeiarbeit zuzuordnen. Auch in Deutschland spielt der Verfassungsschutz hier eine größere Rolle, als er meiner Meinung nach haben sollte. Die Geheimdienste der Mitgliedsstaaten sollten sich künftig nach EU-weiten Regeln und gemeinsam um Auslandsaufklärung – also außerhalb der EU – kümmern. Die Ursachen des Terrors liegen auch in einer nicht funktionierenden Diplomatie, beispielsweise in Syrien und im Nahen wie Mittleren Osten. Innerhalb Europas aber müssen wir vor allem im Bereich Polizei und Justiz zusammenarbeiten. Informationen über Verdächtige müssen frühzeitig ausgetauscht werden.
ZEIT ONLINE: Wie soll das konkret funktionieren?
Albrecht: Ich wünsche mir gemeinsame Ermittlungsteams, zum Beispiel von Polizeistellen aus Molenbeek, Dinslaken und Kopenhagen, wo es jeweils islamistische Szenen gibt. Die Ermittler müssen an einen Tisch, mit Übersetzern zusammenarbeiten, gemeinsam ihre Schritte planen. Als Reaktion auf die Pariser Anschläge von November wurde ein europäisches Terrorabwehrzentrum bei Europol eingerichtet. Auch dem fehlt es an Geld und Personal. Außerdem liefert bisher nur eine Handvoll an Mitgliedsstaaten vorbehaltlos Informationen und Daten an das Zentrum. Andere Länder wollen sich nicht reinreden lassen in die Arbeit ihrer Sicherheitsbehörden.
ZEIT ONLINE: Vielleicht haben sie Datenschutzbedenken? Gerade die Grünen sind sie da doch sonst sehr kritisch.
Albrecht: Der Datenschutz ist kein Hindernis für eine effektive Ermittlungsarbeit, er ist die Voraussetzung. Die EU hat seit 2008 einen Rahmenbeschluss für den Datenschutz und Datenaustausch zwischen Polizeibehörden, aber die Mitgliedsstaaten haben ihn immer noch nicht vollständig umgesetzt. Auch Deutschland nicht. Nur wenn ein deutscher Beamter weiß, ich kann die Ermittlungsdaten ohne Probleme an den rumänischen Kollegen weitergeben, weil dort vergleichbare Standards gelten, nur dann wird es gelingen, den Datenaustausch über Verdächtige zu befördern. Die neue Datenschutzrichtlinie für Polizei und Justiz in der EU ist da ein wichtiger Fortschritt, den wir kürzlich erreicht haben. Aber auch die wird nur dann helfen, wenn sie nun auch konsequent und zügig von den Mitgliedstaaten umgesetzt wird.
Kommentare
" Das Problem ist doch, dass sich die europäischen Sicherheitsbehörden in den vergangenen Jahren vor allem auf anlasslose Sammlung millionenfacher Daten von Bürgern konzentrierten und offensichtlich notwendige Überwachungsmaßnahmen gegen konkrete Verdächtige zwischen den europäischen Grenzen versickerten. "
Algorythmen ersetzen nicht das Denken.
Algorythmen ersetzen nicht das Denken.
Brains on the ground.
"Die EU hat seit 2008 einen Rahmenbeschluss für den Datenschutz und Datenaustausch zwischen Polizeibehörden, aber die Mitgliedsstaaten haben ihn immer noch nicht vollständig umgesetzt. Auch Deutschland nicht"
eben. "EURODAC", das europäische, digitale "Fingerabdruck-Abgleich-System" funktioniert nach wie vor nicht. Den jeweiligen Polizeibehörden fehlen digitale Fingerscanner, die Software, die Computer. Die Daten werden nicht überall erhoben, nicht überall eingescannt, obwohl das so vereinbart wurde.
Und - last but not least - haben dann viele europäische Behörden, die z.B. mit der Erfassung von "Flüchtlingen" (Migranten, Zugereisten) zu tun haben, keinen Zugriff auf diese Datensammlungen, soweit sie schon existieren.
Es gibt innerhalb Deutschlands das System "Fast-ID" - dafür gilt genau dasselbe: auch hier hat nicht jede Behörde Zugriff darauf, das BAMF kann so nicht auf Fingerabdrücke zugreifen, die die deutsche Grenzpolizei vom "Flüchtling" längst erhoben hat.
So erklären sich dann bei einem Kleinkriminellen und Terrorattentäter 7 verschidene "Identitäten" quer durch Europa. Weil keine EU-Behörde merkt, wen sie vor sich hat...
Das hört sich so an, als die EU-Behörden noch im letzten Jahrhundert leben. wieso man da nicht nach 9/11 gemeisame Standards einführte ist für mich bezeichnend für die EU Demokraten aber in Deutschland scheint es ja auch nicht viel besser zu klappen zwischen den Bundesländern.
" Sie haben bemängelt, dass eine europäische Zusammenarbeit der Geheimdienste derzeit durch die EU-Mitgliedsstaaten untersagt ist. Hat das nicht auch gute Gründe"?
Nein, das hat keine guten Gründe. Teroristen, Islamisten und Verbrecher haben nun mal kein Recht auf Datenschutz.
Und Telefonate und eMails von ehrlichen Bürgern interessiert die Geheimdienste eh nicht die Bohne.
Wer pauschal und uneingeschränkt für alle (!) also auch für Islamisten etc. einen Datenschutz einfodert, der ist deutlich über das Ziel hinweg geschossen. Und nimmt damit zumindest billigend in Kauf, dass Islamisten nicht entdeckt werden und Anschläge verüben können.
Nur wer definiert, wo der Terrorist anfängt und wo der unbescholtene Bürger aufhört?
Klar ist sicherlich, dass solche Anschläge wie die in Brüssel verhindert werden sollten.
Aber die meiste Zeit sind Polizei und Geheimdienste eben nicht nur mit der Terrorabwehr beschäftigt. Und wenn man nunmal die ganzen Daten von Telefonaten und E-mails einmal hat, dann werden die auch zum Aufspüren anderer Verbrechen genutzt, das fängt dann bei normaler organisierter Kriminalität, Mördern und Kinderschändern an und geht dann über Aufspüren von Rassisten und Hasskommentatoren hinüber zu Steuerhinterziehern, Urheberrechtsverletzern, gemäßigtem Drogeneigenkonsum und Straßenverkehrsdelikten und selbst die normale Beleidigung und üble Nachrede ist vor der Ermittlung am Ende nicht sicher.
Es gibt bisher keine Stelle die explizit sagt, bis hierhin und nicht weiter, auch weil Gesetze und Moralvorstellungen in vielen Ländern unterschiedlich gehandhabt werden. Und ruckzuck wird auch der eigentlich unbescholtene Bürger wegen Minimaldelikten verdächtigt und er gerät ins Mahlwerk einer Hexenjagd.
Wen interessiert noch, was der Grüne will?
Mitglied der Partei, die mehr und mehr vor den Scherbenhaufen ihrer Ideologie stehen. Mitglied der Partei, die als Hauptverantwortliche für das Scheitern von Integration, interreligiösen und interkulturellen Zusammenlebens zeichnet.
"Mitglied der Partei, die mehr und mehr vor den Scherbenhaufen ihrer Ideologie stehen."
Baden-Württemberg?