Die bisherige Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles ist zur neuen Vorsitzenden der SPD-Fraktion im Bundestag gewählt worden. Nach Parteiangaben wählten die
Abgeordneten die 47-Jährige mit 137 von 152 abgegeben Stimmen. 14 Abgeordnete stimmten gegen Nahles, es gab eine Enthaltung. Das entspricht einer Zustimmung von rund 90 Prozent. Es ist das erste Mal in der Parteigeschichte, dass eine Frau die SPD im Parlament anführt.
In der konstituierenden
Sitzung der neuen SPD-Fraktion wurde demnach zudem der Thüringer
Haushaltsexperte Carsten Schneider zum neuen Ersten
Parlamentarischen Geschäftsführer gewählt. Schneider bekam 117 von 152
abgegebenen Stimmen. 22 Parlamentarier votierten gegen ihn, 13 enthielten sich. Zunächst war die SPD noch davon ausgegangen, dass 13 Parlamentarier gegen ihn gestimmt hatten. Der 41-Jährige aus
Erfurt gehört zum konservativen Seeheimer Kreis der SPD. Er bekommt damit den zweitwichtigsten Posten nach Nahles.
Nahles schaltete schnell in den Angriffsmodus der Opposition. Auf die Frage, wie sie sich nach ihrer letzten Kabinettssitzung mit den Unionskollegen fühle, sagte sie: "ein bisschen wehmütig – und ab morgen kriegen sie in die Fresse!". Nach der Wahlniederlage bei der Bundestagswahl hatte die SPD-Führung den Gang in die Opposition angekündigt. Nahles sprach zudem von einem Erneuerungsprozess, der jetzt beginne. "Wir gehen nicht in die Opposition, um in der Opposition zu bleiben", betonte sie. In vier Jahren wolle die SPD mit neuer Kraft um die Regierung kämpfen.
Als ein Thema, um das sie sich besonders kümmern will, nannte Nahles den "digitalen Kapitalismus". In Deutschland werde die "gesamte soziale Marktwirtschaft von denen infrage gestellt, die (...) Arbeitskräfte einstellen, aber keine Steuern zahlen". Auch die ländlichen Regionen und die Sicherheitsbedürfnisse der Menschen würden für die SPD eine größere Rolle spielen. Alle Themen müssten zudem "europäisch mitgedacht" werden. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron habe mit seiner Rede am Dienstag "einen wichtigen Aufschlag" gemacht: "Das ist ganz in unserem Sinne."
Nahles und Schneider waren zuvor vom Fraktionsvorstand einstimmig nominiert worden. Nahles löst den bisherigen Fraktionschef Thomas Oppermann ab, der auf eine neue Kandidatur verzichtet hatte. Sie habe Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gebeten, sie aus ihrem Amt zu entlassen, sagte Nahles am Mittwoch vor Journalisten. Bis zur Bildung einer neuer Koalition soll ihr Ministerium danach von SPD-Familienministerin Katarina Barley mitgeführt werden.
Der Neubeginn in der SPD nach dem Wahlabsturz läuft indes nicht so
geräuschlos an, wie es sich Parteichef und Kanzlerkandidat Martin Schulz nach dem Wahldebakel gewünscht hatte.
Drohungen aus dem rechten Flügel
Nur wenige Stunden, nachdem Schulz und Nahles ein Personalpaket für den Neuanfang
geschnürt hatten, verkündete Generalsekretär Hubertus Heil am Dienstag seinen Rückzug. "Ich habe entschieden, nicht mehr zu kandidieren", sagte Heil mit Blick auf den Parteitag Anfang Dezember, auf dem eine neue Parteiführung gewählt wird. Bis dahin werde er seiner
Verantwortung als Generalsekretär gerecht werden und danach in der
Bundestagsfraktion seinen Wahlkreis vertreten, sagte Heil. Er hatte das Amt kommissarisch übernommen und die Organisation des Wahlkampfes geleitet.
Heil wollte eigentlich ebenfalls Parlamentarischer
Geschäftsführer der Fraktion werden. Der rechte Flügel hatte aber mit
Widerstand gegen die Wahl von Nahles an die Fraktionsspitze
gedroht, wenn niemand aus dem Seeheimer Kreis der SPD in
der künftigen Fraktionsführung präsent ist. Darum ging dieser Schlüsselposten nun mit Schneider an einen Vertreter des konservativen SPD-Flügels. Die Parteilinke Nahles war am Montag von SPD-Chef
Schulz vorgeschlagen worden, um als Oppositionsführerin wieder für ein
schärferes soziales Profil zu sorgen.
Ministeramt für einen Imagewechsel
Als
Arbeits- und Sozialministerin hat Nahles in den vergangenen vier
Jahren umfassende Reformen auf den Weg gebracht, etwa die Einführung
des Mindestlohns in Deutschland, mehrere Rentengesetze wie die
abschlagsfreie Rente mit 63 sowie eine Neuordnung des Rechts für
behinderte Menschen. Dabei diente ihr das Ministeramt auch für
einen Imagewechsel nach ihrer Zeit als SPD-Generalsekretärin von 2009
bis 2013. Als sie vor der Wahl 2013
im Bundestag das Pippi-Langstrumpf-Lied anstimmte und damit die damalige
schwarz-gelbe Koalition kritisierte, erntete sie hämische Kommentare.
Die studierte Germanistin und Politologin war
Juso-Chefin, Bundestagsabgeordnete und Partei-Vizechefin. Nun kommt auf die Parteilinke die
schwierige Aufgabe zu, der am Boden liegenden SPD gemeinsam mit SPD-Chef
Martin Schulz neue Hoffnung zu geben.
Die SPD will in den nächsten Wochen in mehreren Regionalkonferenzen gemeinsam mit der Parteibasis den Absturz auf ihr schlechtestes Nachkriegsergebnis von 20,5 Prozent aufarbeiten. Abzuwarten bleibt, welche Dynamik der Ausgang der vorgezogenen Niedersachsen-Wahl am 15. Oktober in der SPD möglicherweise auslöst. Die Parteiführung hatte sich am Wahlabend geschlossen hinter Schulz gestellt
Altkanzler Gerhard Schröder bemängelte die rasche Festlegung der SPD auf die Oppositionsrolle. "Ich weiß nicht, ob es vernünftig war", sagte der einstige SPD-Chef. "Trotzdem, es ist entschieden worden." Nach Lage der Dinge werde es wohl eine Regierung von Union, FDP und Grünen geben.
Kommentare
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Über Seilschaften und jahrelange Klüngelei zum Parteivorsitz, hat Frau Nahles jemals ein Direktmandat gewonnen?
So wird das nix mit SPD reloaded.
Zitat: "Über Seilschaften und jahrelange Klüngelei zum Parteivorsitz, hat Frau Nahles jemals ein Direktmandat gewonnen?"
Wenn das Ihr Kriterium für die individuelle politische Fähigkeit einer Person ist, dann sieht es düster aus. In parteipolitisch einseitig stark geprägten Landstrichen gewinnt immer der Kandidat der dort dominierenden Partei, sei es die CDU, die CSU oder die SPD. Ergo würde jeder der dort gewählten Ihrem Kriterium zufolge herausragende politische Fähigkeiten besitzen.
Frau Nahles ist im Wahlkreis Ahrweiler beheimatet, der seit 1949 von der CDU dominiert ist.
Im übrigen wären Ihrem Postulat zufolge fast alle sämtliche Abgeordnete der FDP, der Grünen und der Linken unterqualifiziert, weil diese keine Wahlkreise gewinnen können.
Ich finde es schade, wie mit Hubertus Heil umgegangen wird. Von wegen "wir gewinnen zusammen, wir verlieren zusammen." Nichts da.
Stattdessen wird er einmal mehr nach engagierter Leistung abgeschoben. Das ist unsolidarisch.
Dass Frau Nahles die Retterin in Not sein wird, halte ich für eher unwahrscheinlich.
Aber gut, vielleicht hilft ihr ihre Fantasiebegabung ja in Zukunft, kommende Wahlniederlagen zu moralischen Siegen umzudeuten, wie Schulz das schon ausreichend üben durfte.
https://www.youtube.com/watc…
Immer noch wedelt der Seeheimer Schwanz mit dem Hund. Immer noch bewahrheitet sich damit der Satz eines übrigens recht konservativen Mannes, auch für die SPD, wo es am meisten schadet:
"Die privaten Mächte der Wirtschaft wollen freie Bahn für ihre Eroberung großer Vermögen. Keine Gesetzgebung soll ihnen im Wege stehen. Sie wollen die Gesetze machen, in ihrem Interesse, und sie bedienen sich dazu eines selbstgeschaffenen Werkzeugs, der Demokratie, der bezahlten Partei."
Großartig. Damit wäre dann auch die "2" vor dem nächsten Wahlergebnis hinfällig.
Das kann schon sein mit dieser Dame, die immer noch sehr hinter alten Arbeiter-Bewegungs-Ideologie steht. Das hat keine Zukunft. Ich sah sie mal in einer Diskussion zum BGE. Verzweifelt versuchte sie dort den Arbeiterethos zu vertreten. Wenn die SPD nicht aufpasst und solche Figuren in Entscheiderpositionen platziert wird sie von der Digitalisierung einfach weg gefegt, wie einst die Dinos von einem Meteor.