CDU und CSU haben ihren Streit um eine Obergrenze für Flüchtlinge beigelegt und sich nach rund zehnstündigen Verhandlungen am Sonntag auf ein Paket zur Migrations-, Zuwanderungs- und Flüchtlingspolitik geeinigt – ohne alle Detailfragen bereits geklärt zu haben. So beschlossen die Spitzen beider Parteien, dass die Netto-Zuwanderung aus humanitären Gründen pro Jahr nicht mehr als 200.000 Menschen betragen soll. Die Gesamtsumme soll aus ankommenden und ausreisenden Personen berechnet werden, heißt es in dem am Abend verabschiedeten Text, in dem das Wort Obergrenze nicht auftaucht.
Zahl "nach unten oder oben" änderbar
Neu ist das Element, dass sich die genannte Zahl nicht mehr nur auf die ankommenden Flüchtlinge bezieht. Wörtlich heißt es in dem Papier: "Wir wollen erreichen, dass die Gesamtzahl der Aufnahmen aus humanitären Gründen (Flüchtlinge und Asylbewerber, subsidiär Geschützte, Familiennachzug, Relocation und Resettlement, abzüglich Rückführungen und freiwillige Ausreisen künftiger Flüchtlinge) die Zahl von 200.000 Menschen im Jahr nicht übersteigt." Zudem wurde eine Klausel vereinbart, dass Bundesregierung und Bundestag eine neue Entscheidung treffen können, mit dem der Richtwert "nach unten oder oben" geändert werden kann. Zudem wird betont, dass die Regeln des Asylrechts im Grundgesetz weiter gelten – damit kann auch weiter kein Asylsuchender an der deutschen Grenze abgewiesen werden.
Um dieses Ziel zu erreichen, soll es mehrere konkrete Schritte geben. Dazu gehört unter anderem, alle neu ankommenden Asylsuchenden in "Entscheidungs- und Rückführungszentren" unterzubringen. Als Vorbild dienen entsprechende Einrichtungen in den bayerischen Städten Manching und Bamberg sowie im baden-württembergischen Heidelberg. So wie dort sollen alle Asylverfahren künftig in den Zentren "gebündelt" werden, wo die Asylbewerber in dieser Zeit "bis zur schnellstmöglichen Entscheidung ihres Antrags" bleiben müssen. Bei ablehnendem Bescheid sollten sie auch direkt aus diesen Zentren "zurückgeführt" werden.
"Guter Tag für die Union"
Zu den weiteren Maßnahmen zählen unter anderem die Bekämpfung von Fluchtursachen, die "Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern nach dem Vorbild des EU-Türkei-Abkommens", den Schutz der EU-Außengrenzen sowie "die EU-weite gemeinsame Durchführung von Asylverfahren an den Außengrenzen sowie gemeinsame Rückführungen von dort". Darüber hinaus wolle man das sogenannte Dublin-System und das Gemeinsame europäische Asylsystem (GEAS) reformieren, die Maghreb-Staaten Algerien, Marokko und Tunesien zu sicheren Herkunftsstaaten erklären, die Grenzkontrollen vorerst beibehalten und die Aussetzung des Familiennachzugs für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz fortsetzen. Zusätzlich will die Union ein Zuwanderungsgesetz für Fachkräfte auf den Weg bringen.
"Guter Tag für die Union und guter Tag für Deutschland", sagte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer nach Abschluss der Beratungen. Die Begrenzung der Flüchtlinge sei "ein guter Kompromiss, eine gute Einigung und ganz nach unseren Vorgaben", sagte er später im ZDF-Morgenmagazin. Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt äußerte sich "sehr zufrieden". Die Kritik an der Einigung – auch aus der Spitze des möglichen künftigen grünen Koalitionspartners – wehrte er ab. "Die Grünen müssen endlich einmal zur Realität zurückkehren", sagte Scheuer. "Realitätsverlust mit offenen Grenzen, jeder kann zu uns kommen ohne Regel, wird es in einer nächsten Koalition nicht geben. Und das müssen sich die Grünen überlegen, ob sie da springen."
"Spielball der Union in der humanitären Asylfrage"
Grünen-Chefin Simone Peter hatte die Einigung der Unionsparteien zuvor kritisiert und betont, sie enthalte "weitere Punkte, die wir bisher klar abgelehnt haben", wie die Festlegung sicherer Herkunftsländer und Abschiebeeinrichtungen. "Es kann nicht sein, dass wir der Spielball der Union in der humanitären Asylfrage werden", sagte sie. "An Entrechtungsprogrammen werden wir Grüne uns nicht beteiligen." Weniger scharf formulierte es ihre Parteikollegin Katrin Göring-Eckardt. Die Fraktionschefin sprach im SWR von einer "Ausgangslage" und einem "Formelkompromiss", den man nun genauer anschauen muss. "Herr Seehofer hat seine 200.000 bekommen, Frau Merkel hat bekommen, dass niemand an der Grenze abgewiesen wird", sagte sie. Ihr mache aber Sorge, "wie man bei 200.000 einfach einen Cut machen kann".
Die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl nannte die getroffenen Regelungen "reine Willkür und damit grundgesetzwidrig". Eine Obergrenze sei ein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. "Menschenrechte kennen keine Obergrenze, niemand darf in einer Situation, in der Folter oder unmenschliche Behandlung droht, zurückgewiesen werden", argumentierte Geschäftsführer Günter Burkhardt. "Das ist ein menschenunwürdiges Geschachere, bei dem gesichtswahrend auf Kosten der Schutzbedürftigen eine menschenrechtswidrige Lösung der Öffentlichkeit präsentiert wird."
Kommentare
-------Die Unionsparteien haben sich nach jahrelangem Streit über eine Flüchtlings-Obergrenze beim Thema Zuwanderung geeinigt. Der Kompromiss sieht vor, dass jährlich maximal 200.000 Menschen als Flüchtlinge einreisen sollen, mit einer Ausnahme für Sondersituationen.-------
Sondersituationen !
Eine neue Worthülse um den Wähler zu verarschen !
Liebe Grünen, hier ist doch euer Einstieg in die Koalitionsverhandlungen.
Legt diesen Begriff für Euch aus und es gibt nur Gewinner:
- CSU hat die Obergrenze
- CDU und Grüne haben die "Sondersituationen"
Nur der Wähler wurde mal wieder hinters Licht geführt.
Gut erkannt.
Ich stimme Ihnen mit einer Ausnahme zu.
Ich sehe nicht, dass der Wähler hinters Licht geführt wurde.
Es musste doch jedem klar sein, dass die Parteien die vor der Wahl die Schleusen geöffnet und sich dabei gegenseitig unterstützt haben, jetzt nicht plötzlich eine andere Politik machen würden.
"Die Wähler" wollten genau DAS.
Jetzt bin ich wirklich mal gespannt, wie da noch Jamaika zusammenkommen soll? Wenn die Grünen das akzeptieren, geben Sie sich selbst auf. Akzeptieren Sie es nicht und Jamaika kommt trotzdem zustande, gibt sich die CSU auf.
Da haben sich alle Beteiligten inzwischen viel zu weit aus dem Fenster gelehnt, als das sie da noch soweit zurückstecken könnten ohne auch noch den letzten Rest an Glaubwürdigkeit zu verlieren.
Das ist in der Tat ein Problem. Stimmen die Grünen zu, würden Sie ihrer Glaubwürdigkeit schweren Schaden zufügen. Stimmen sie nicht zu, wird Schwarz-Gelb wohl kaum einen Koalitionsvertrag unterschreiben. Es können nicht 9% der Wähler insgesamt 56% auf der Nase herumtanzen. Keine Ahnung, wie man das lösen will.
Ich war ja zuerst skeptisch bei dem Kompromiss. Aber nach den letzten Jahren ist es bei mir schon so weit gekommen, dass ich Empörung von ProAsyl und dem linken Flügel der Grünen als Qualitätsmerkmal sehe.
Kompromiss? Der [...] hat sich doch auf ganzer Linie durchgesetzt. Ich fordere ein Abspaltungsreferendum für Bayern von der BRD. Und wahlberechtigt sollten alle Deutschen sein, wir müssen uns schließlich auch seit 12 Jahren Merkel die Politik einer bayrischen Partei aufdrücken lassen, die wir nie gewählt haben.
Gekürzt. Bitte bleiben Sie sachlich. Danke, die Redaktion/rc
Jetzt wird sich zeigen, wie Standhaft die Grünen sind. Wenn sie damit in eine Koalition gehen, dann bin ich mir nicht mehr sicher, ob sie nächstes mal noch im Bundestag sitzen...
Klar ist die Zahl 200.000 willkürlich gewählt.
Anders geht es aber realistisch gesehen nicht.
Auch 1 oder 10 Millionen wären willkürlich. Und eine unendliche Aufnahme aller Bedürftigen, die wollen, noch dazu in sehr kurzer Zeit, ist rein praktisch unmöglich.
Es seid denn, ProAsyl oder Grüne beherrschen einen Zaubertrick, um in einen Eimer mit endlichem Fassungsvermögen, sagen wir 100l, zum gleichen Zeitpunkt 1000l Wasser einzufüllen, ohne dass etwas herausläuft.
Was mich an Grünen und ProAsyl immer wieder stört, ist, dass beständig mit maximalen moralischen Imperativen ohne Realismus gearbeitet wird. Denn es glaubt wohl keiner, dass Simone Peter oder Günter Burkhardt höchstpersönlich Sprachunterricht geben, anderen Unterricht, sich mit äußerst starr konservativen Zuwanderern auseinandersetzen etc. ;-)
Machen sollen das immer Andere.
Sie unterscheiden nicht zwischen Flüchtlingen und normalen Migranten.
Und sie befassen sich auch nicht mit den realen Herausforderungen und Anstrengungen von Integration, vom Ermöglichen des Zusammenlebens äußerst stark unterschiedlicher Menschen.
,,Wir achten nicht auf Unterschiede, wir betonen Gemeinsamkeiten", könnte ein Spruch aus dieser Ecke sein.
Die Unterschiede sind trotzdem da und sie sind oft fundamental.
Sie zu verleugnen verhilft nicht zum erfolgreichen Zusammenleben.
Grüne und Co. haben keine besseren, realistischen Lösungen als ,,Obergrenze" und Einwanderungsgesetz.
"Sie unterscheiden nicht zwischen Flüchtlingen und normalen Migranten."
Sie unterscheiden auch nicht zwischen normalen Migranten, Flüchtlingen und Asylanten.
Da gibt es nämlich nochmals wesentliche Unterschiede.