Die AfD wurde 2013 gegründet. Seither hat sie sich als rechtspopulistische Kraft im Parteiengefüge etabliert. Bei der Bundestagswahl 2017 erreichte sie 12,6 Prozent und bildete die größte Oppositionsfraktion. Davide Cantoni ist Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er hat untersucht, welche Faktoren den Erfolg der AfD erklären.
ZEIT ONLINE: Herr Cantoni, ist rechtes Denken erblich?
Davide Cantoni: Das Wort erblich suggeriert, es hätte etwas mit Genetik zu tun. Genetisch ist das natürlich nicht. Aber es gibt politische Traditionen in Familien. Entsprechend ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass Kinder politisch ähnlich ticken, wenn ihre Eltern rechtes Denken pflegen.
ZEIT ONLINE: Wie erhalten sich politische oder weltanschauliche Einstellungen über Jahrzehnte hinweg?
Cantoni: Politische Traditionen werden dann eher weitergegeben, wenn sich Menschen in einer Community bewegen, in der sie relativ wenig Kontakt zu anderen Leuten, anderen Denkweisen, anderen Lebensstilen haben. Deshalb sehen wir solche Kontinuität in der politischen Denkweise häufiger und stärker in kleineren Ortschaften im ländlichen Raum als in großen Städten.
ZEIT ONLINE: Geht diese Weitergabe politischer Einstellungen zwischen den Generationen über den engen Kreis einer Kernfamilie hinaus?
Cantoni: Sozialisierung findet auf vielen verschiedenen Wegen statt. Gut erforscht ist, dass es eine relativ hohe Korrelation gibt im Denken von Eltern und Kindern. Sie denken also oft sehr ähnlich. Auch wenn wir oft das Beispiel vor Augen haben, bei dem die Eltern Altnazis waren und die Kinder dann zu Achtundsechzigern wurden, sind solche oppositionellen Identitäten eher die Minderheit. Typischer ist es, dass Eltern und Kinder ähnliche Einstellungen haben.
ZEIT ONLINE: Sie haben Wahlergebnisse der NSDAP und der AfD miteinander verglichen. Warum?
Cantoni: Wir wollten wissen, ob sich politische Einstellungen, die Menschen schon in den Dreißigerjahren hatten, bis heute erhalten haben. Dazu haben wir die Ergebnisse der Bundestagswahl 2017 auf Gemeindeebene verglichen mit den Wahlergebnissen der NSDAP in den Dreißigerjahren – besonders mit der Wahl im März 1933, aber auch mit den anderen Wahlen 1928 und 1930, in denen die NSDAP erfolgreich war. Betrachtet haben wir die Ergebnisse auf der Ebene der rund 11.000 Gemeinden in Deutschland.
ZEIT ONLINE: Und das Ergebnis?
Cantoni: Man sieht, dass es eine starke Korrelation gibt zwischen den Orten, in denen in den Dreißigerjahren vermehrt NSDAP gewählt wurde, und Orten, in denen heutzutage stärker die AfD gewählt wurde.
ZEIT ONLINE: In Orten, in denen vor mehr als 80 Jahren stark die NSDAP gewählt wurde, wird heute also stark AfD gewählt?
Kommentare
Tja. Und jetzt lernen wir noch den Unterschied zwischen Korrelationen und Kausalitäten.
Ja, ich bin mir auch ziemlich sicher, dass die Studienautoren den nicht kennen. Vollkommen plausibel.
Wie heißt es so schön "Der Schoß ist fruchtbar noch..."
Ich war schon immer der Meinung, dass das "Vorleben bestimmter Tugenden" und die Erziehung einen eklatanten Einfluss auf die Bildung und die gesellschaftliche Integration der Kinder haben.
Das gilt m.E. für die positiven wie negativen Auswirkungen.
Und wenn das Umfeld eben entsprechend geprägt ist, fällt der rechte Apfel nicht weit vom Stamm.
Im diesem Fall nützt leider auch eine schulische Aufklärung nur rudimentär.
Ich habe eigentlich nichts anderes erwartet. Wenn braunes Denken in den Köpfen steckt, es in den Familien gelebt und somit weiter gegeben wird....
Und wie hieß es in den 60er Jahren? Und den Talaren..... wo wurde aufgearbeitet? Wer hat Ex-NAZIS zur Konsequenz gezogen? Sie ihrer gerechten Strafe zugeführt?
Was sowohl der Autor als auch sie geflissentlich ignorieren ist, dass die hohen Ergebnisse rechter Parteien nicht durchgängig erzielt worden, sondern erst seit relativ kurzer Zeit. Da greift die Erklärung "diese Leute sind halt so" deutlich zu kurz. Aber so kann man natürlich sehr gut davon ablenken, dass es da durchaus noch ein paar natürlich vollkommen unwichtigere andere Gründe gibt...
Entfernt. Bitte formulieren Sie Kritik sachlich und differenziert. Danke, die Redaktion/km
Zitat: "Was sowohl der Autor als auch sie geflissentlich ignorieren ist, dass die hohen Ergebnisse rechter Parteien nicht durchgängig erzielt worden, sondern erst seit relativ kurzer Zeit. Da greift die Erklärung "diese Leute sind halt so" deutlich zu kurz. Aber so kann man natürlich sehr gut davon ablenken, dass es da durchaus noch ein paar natürlich vollkommen unwichtigere andere Gründe gibt..."
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Na, nicht weiter als bis zur ersten Seite beim Lesen gekommen? Ohje...
Wir wir wollen doch jetzt bitte nicht anfangen zu differenzieren bei dem Thema, oder? ;-)
Doch der Autor geht sehr wohl darauf ein.
Lesen sie mal die Antwort auf die Frage nach dem Wahlverhalten im Bezug auf die NPD.
"Wie erklärt man das Phänomen, daß es rechte Parteien auch außerhalb Deutschlands gibt?"
Ist die Frage ernst gemeint? Nationalismus und Antisemitismus sind keine exklusiv deutschen Tugenden.
>>dass die hohen Ergebnisse rechter Parteien nicht durchgängig erzielt worden, sondern erst seit relativ kurzer Zeit.<<
Auch dafür gibt es im Artikel eine Erklärung:
Vor dem Aufkommen der AfD haben etliche ihrer heutigen - extrem rechts gesinnten - Anhänger NICHT gewählt.
Es steht doch alles im Text, ich bitte Sie inständig, diesen nochmals zu lesen.
Die fehlende Kontinuität korreliert mit einer geringeren Wahlbeteiligung in den Gemeinden, oder aber mit einer erfahrenen Durchmischung etwa nach dem Zweiten Weltkrieg. Und es wird genauso erwähnt, dass es nur ein Faktor von mehreren sein kann.
Stimmt. Zudem viele im Sozialismus der DDR doch eher links gewählt haben. Und was ist mit den Ost- und Westpreussen, Pommern, Schlesien, etc.? Alles immer noch Nazis?
Ich helfe Ihrem Leseunwillen und -vermögen gerne nach.
"ZEIT ONLINE: Was haben diese Leute dann gewählt, bevor es die AfD gab?
Cantoni: Gar nicht. Ein großer Teil der AfD-Stimmen kommt von Nichtwählern."
"Unsere Hypothese, dass da eine kulturelle Tradition von rechtsgerichtetem, rechtspopulistischem Denken eine Rolle spielt, ist ein Teil zur Lösung dieses Puzzles. Nicht das größte Teil, aber ähnlich wichtig wie die anderen genannten Faktoren."
Gern geschehen.
Falsch. Das wurde doch im Interview angesprochen. Vor dem Erstarken der AfD waren das zum größten Teil Nichtwähler, etwa ab 2012 konnten die dann von der AfD rekrutiert werden. 2012 ist übrigens kein Vertipper, falls Sie mit Ihrem Geraune auf ein anderes Datum anspielen wollen.
Dass die meisten Rechtsextremisten in der BRD früher zum größten Teil entweder gar nicht oder zähneknirschend die Volksparteien gewählt haben, ist in der Politologie schon ewig bekannt. Die NPD sprach halt immer hauptsächlich Rechtsextreme vom Typ Bauernskin an, die AfD holt auch die brandstiftenden Biedermänner ab.
Hätten Sie den Artikel komplett gelesen, wüssten Sie, das der Autor auf Ihren Einwand durchaus eingeht.
Naja, der Autor sagt schon, dass sich die AfD-Wähler zum großen Teil aus ehmaligen Nicht-Wählern rekrutieren.
So gesehen, war das AfD-Potential schon immer vorhanden. Man kann es auch positiv sehen, dass sich die alten Rechten jetzt zeigen und man eine Diskussion führen kann. Das war lange Zeit nicht möglich, weil rechtes Gedankengut nur in rechten Kreisen öffentlich zugänglich war.
Und wenn man mit Rechten offen und ehrlich diskutiert und standhaft bleibt, kann man einen starken Einfluss auf diese haben.
Auch dies wird im Artikel erklärt. Einfach Mal zu Ende lesen!
(Tip: der Absatz mit den Nichtwählern)
Zitat: "Der Schoß ist fruchtbar noch..."
Bin ein Fan von Bertolt Brecht. Dennoch sehe ich starke Unterschiede zwischen damals und heute. Heute gibt es z.B. keine Schlägertrupps mehr, wie etwa die der NSDAP. Die Argumente in dem Artikel sind zum Teil aber wirklich verblüffend. Jedoch lassen sie oft auch viel Raum für andere, ja sogar entgegengesetzte Interpretationen. Wie im Artikel erwähnt wird, spielen ja noch viele andere Faktoren eine Rolle.
Vieles erscheint mir aber auch plausibel, was dann wiederum zu dem Brecht'schen Zitat passen würde. So zum Beispiel die Tatsache, daß es in kleineren Siedlungen weniger Vermischung, weniger Zuwanderung und eine geringere Ansiedlung von Kriegsflüchtlingen gegeben hat.
Ich persönlich glaube, überall da wo weniger Austausch stattfindet, weniger fremde Meinungen von außen hinzukommen und ein geringerer Informationsfluß zu erkennen ist, eine höhere Neigung zu rechtsextremem Gedankengut besteht. Das ist aber natürlich allenfalls eine Tendenz, und keine Regel.
"Da greift die Erklärung "diese Leute sind halt so" deutlich zu kurz. "
Na ja, der Autor springt schon weiter:
"Unsere Hypothese, dass da eine kulturelle Tradition von rechtsgerichtetem, rechtspopulistischem Denken eine Rolle spielt, ist ein Teil zur Lösung dieses Puzzles. Nicht das größte Teil, aber ähnlich wichtig wie die anderen genannten Faktoren. "
Und erklärt weiter:
„Ein großer Teil der AfD-Stimmen kommt von Nichtwählern. Auch da sehen wir eine Korrelation. Orte, die in den Dreißigerjahren Nazihochburgen waren, hatten lange Zeit eine eher niedrige Wahlbeteiligung. In diesen Orten ging die Wahlbeteiligung dann zwischen 2013 und 2017 hoch, zugunsten der AfD, während in Deutschland als Ganzes die Wahlbeteiligung eher abnahm.“
kann eigentlich nicht sein, dazwischen lagen 40 Jahre DDR, Sozialismus und Kampf der Arbeiterklasse gegen den Klassenfeind. Als alles ziemlich links. Nach der Wende wurde die PDS /SED gewählt.
Im diesem Fall nützt leider auch eine schulische Aufklärung nur rudimentär.
Ich denke schon, dass die Schule helfen kann, den Horizont zu erweitern.
Das setzt natürlich engagierte Lehrer & aufnahmebereite Schüler voraus.
Ich z.B. habe entschieden Wert darauf gelegt, mir meine politische Meinung selbst zu bilden, und käme im Traum nicht auf die Idee, sie von meinen Eltern zu übernehmen (keine Nazis, damit wir uns richtig verstehen).
In meinem Artikel stand das eindeutig drin: Die braun-blauen waren vorher Nichtwähler. Lesen Sie einfach nochmal nach.
"Ich war schon immer der Meinung, dass das "Vorleben bestimmter Tugenden" und die Erziehung einen eklatanten Einfluss auf die Bildung und die gesellschaftliche Integration der Kinder haben.
Das gilt m.E. für die positiven wie negativen Auswirkungen.
Und wenn das Umfeld eben entsprechend geprägt ist, fällt der rechte Apfel nicht weit vom Stamm.
Im diesem Fall nützt leider auch eine schulische Aufklärung nur rudimentär."
Das halte ich ebenfalls für evident.
Man wundert sich nur, dass viele Menschen dies bei AfD-Anhängern logisch finden, ihnen aber keine Transferleistung auf andere problematische Weltanschauungen gelingt.
Es steht auch im Artikel, dass viele Leute früher nicht gewählt haben.
Das war auch mein erster Gedanke...
+++Heute gibt es z.B. keine Schlägertrupps mehr, wie etwa die der NSDAP.+++
Als 'moderate Form' heißen die jetzt in manchen Gegenden 'Bürgerwehr' und tragen Fantasieuniformen um Wichtigkeit vor zu schützen. Den Bildern nach zu Urteilen alles tendenziell gewaltbereite Schrate.
wobei ich annehme, dass nicht notwendig das rechtsgerichtete Denken selbst direkt tradiert wurde. Wohl aber eine Denkart, die dazu neigt, sich in rechtsgerichtetem Denken zu manifestieren.
Zitat:
"Als 'moderate Form' heißen die jetzt in manchen Gegenden 'Bürgerwehr' und tragen Fantasieuniformen um Wichtigkeit vor zu schützen. Den Bildern nach zu Urteilen alles tendenziell gewaltbereite Schrate."
Hm! Gut! Aber da sehe ich Recht und Rechtdurchsetzung in der heutigen Bundesrepublick doch als erheblich gestärkt an. Die Bürgerwehren mögen ja finstere Gesellen sein, aber kämen sie auf die Idee, mich verprügeln zu wollen, um mich für die nächste Wahl einzuschüchtern, säßen sie schneller vor dem Kadi, als ihnen lieb sein kann. Hierbei spielen sicher auch grundlegende Unterschiede zwischen den Konstitutionen der Weimarer und der Bonner Republik eine Rolle.
"Ich persönlich glaube, überall da wo weniger Austausch stattfindet, weniger fremde Meinungen von außen hinzukommen und ein geringerer Informationsfluß zu erkennen ist, eine höhere Neigung zu rechtsextremem Gedankengut besteht. Das ist aber natürlich allenfalls eine Tendenz, und keine Regel."
Man kann das auch verallgemeinern.
Es sind Vorurteile im Allgemeinen, die sich so besser halten.
Die können politischer, weltanschaulicher oder auch religiöser Art sein.
Wo wenig Kontakt mit der Aussenwelt stattfindet, neigen Menschen dazu sich in ihren Blasen einzurichten.
Aber schauen sie sich doch mal den SED-Kommunismus an.
So groß war der Unterschied zu den braunen nicht.
Der Hauptunterschied ist mMn die Netzwerkstruktur: Also dass die AfD gar nicht versucht, eine ideologisch und organisatorisch geschlossene Bewegung zu sein wie die NSDAP, sondern dass sie stattdessen Verknüpfungen vom bürgerlichen Lager bis weit an den rechtsextremen Rand schafft. Dementsprechend braucht sie auch keine eigenen Saalschläger, sondern ist einfach für autonom agierende rechte Schlägertrupps attraktiv. Sie braucht keinen NS-Studentenbund, sondern ist einfach für Identitäre und nationalistische Korporierte attraktiv. Sie braucht nicht mal eine offizielle Verbindung zu den GIDA-Bewegungen, sondern baut auch hier einfach auf ideologische Nähe und zwar zahlreich vorhandene, aber durchweg informelle und im Bedarfsfall abstreitbare Bande.
Die NSDAP hätte das allein schon deshalb nicht gekonnt, weil sie mit der DNVP einen starken Konkurrenten hatte, der der AfD einfach fehlt. Alles, was sich sonst in diesem Teil des Parteienspektrums tummelt, ist einfach zu unwichtig, um Konkurrenz zu sein.
Die meisten anderen Unterschiede, die man sehen mag, beruhen hauptsächlich auf dem Fehler, die AfD mit der NSDAP NACH der Machtergreifung zu vergleichen. Das ist aber inkomensurabel.
Furchtbar noch - immer diese Schreibfehler...
Artikel nicht gelesen oder verstanden. Wird nämlich angesprochen.
"Was sowohl der Autor"
Der Autor? Nicht jeder versteht das Medium Interview ...
"als auch sie geflissentlich ignorieren ist, dass die hohen Ergebnisse rechter Parteien nicht durchgängig erzielt worden, sondern erst seit relativ kurzer Zeit. Da greift die Erklärung "diese Leute sind halt so" deutlich zu kurz."
Cantoni betont, dass die von ihm untersuchte regionale Verteilung nur *ein* Faktor unter mehreren ist, und nichtmal der wichtigste ...
Aber das ist Herrschaftswissen. Das wissen nur Leute, die den Artikel gelesen haben (statt ihn bloß zu "kommentieren").
Also ich wüßte nicht das die AFD gerade ein 2. Münchner Abkommen aushandeln will oder liegen Ihnen andere Informationen vor lieber Mitforist, dann lassen Sie uns alle daran teilhaben.!
Ihre Theorie, wonach die AfD, im Unterschied zur NSDAP seinerzeit, heute nicht mehr auf eine Gliederung mit festen Strukturen bauen muß, finde ich vor allem wegen der Beschreibung des historischen Hintergrunds stimmig. Es macht die Bekämpfung dieser Partei nicht einfacher, daß sie auf freiwilligen Anschluß ähnlich Gesinnter und auf ideologische Nähe baut. - Gut begründet!
wenig überraschend. Es wurde ja auch keine ernsthafte Aufarbeitung betrieben...
Können Sie "Aufarbeitung" mal näher definieren?
Was genau soll man sich darunter vorstellen?
"Wir wollten wissen, ob sich politische Einstellungen, die Menschen schon in den Dreißigerjahren hatten, bis heute erhalten haben."
Aha und wieso vergleicht man dann NSDAP-Ergebnisse mit der AfD?
Will der Herr die beiden Parteien etwa gleichsetzen? Das wäre dann wohl eine ziemlich dreiste (und falsche) Behauptung, Relativierung der NS-Verbrechen und extrem dumpfes Denken.
So einer lehrt an einer Uni?
Auf Seite 2 haben Sie die Antwort auf Ihre Fragen: "Ein direkter inhaltlicher Vergleich der AfD mit der NSDAP ist extrem problematisch, sogar falsch. Die Frage ist eher: Wenn wir eine Korrelation sehen, woran kann das liegen?"