100 Jahre nach Eröffnung der Weimarer Nationalversammlung haben führende Politiker an ihre historische Bedeutung erinnert. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte beim Festakt in Weimar, dort habe "die erste echte Volksvertretung der deutschen Geschichte" getagt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) rief zu mehr Engagement für die Demokratie auf. "Jede Generation muss wieder für Demokratie kämpfen".
Das heutige Grundgesetz sei auf der Grundlage der Weimarer Verfassung aufgebaut worden, sagte Merkel. Damals seien wichtige Bürgerrechte wie das Wahlrecht für Frauen umgesetzt worden. Auch das heutige Europa sei als Lehre aus der Weimarer Republik und "der schrecklichen Periode des Nationalsozialismus und des Holocausts" entstanden.
Die Nationalversammlung kam nach der Novemberrevolution 1918 und dem Sturz der Monarchie zusammen, um eine Verfassung für die Weimarer Republik auszuarbeiten. Am 6. Februar 1919 trat sie erstmals zusammen. Zum Festakt im Deutschen Nationaltheater fanden sich etwa 800 Gäste ein, unter ihnen auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, die Ministerpräsidenten mehrerer Bundesländer und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle.
Mehr als "nur die Vorgeschichte des Nationalsozialismus"
Die Weimarer Republik sei mehr gewesen "als nur die Vorgeschichte des Nationalsozialismus, und sie war keine Einbahnstraße in die Barbarei", sagte Bundespräsident Steinmeier weiter. Die Ideale von "Freiheit und Demokratie, Rechts- und Sozialstaatlichkeit" seien nicht gescheitert, sondern "fester und wehrhafter eingelassen in das Fundament unserer Republik." Heute mache man sich bewusst: "So viel demokratische Verfassungsgebung war in Deutschland nie – weder vor 1919 noch danach!"
Trotz des Grundgesetzes gebe es aber keinen Grund, sich zurückzulehnen, solange Parlamente als "Quatschbuden" verunglimpft und politisch Engagierte mit Worten oder gar mit Gewalt angegriffen würden und solange Menschen den Glauben an den Wert der Demokratie verlören. "Demokratie gelingt oder scheitert nicht auf dem Papier der Verfassung, sondern in der gesellschaftlichen Realität". Das sei heute nicht anders als vor 100 Jahren.
Eine Demokratie sei "angewiesen auf Loyalität und Vertrauen, vor allem auf das Engagement derer, die in ihr leben". Ein demokratischer Patriotismus könne angesichts der deutschen Geschichte aber "immer nur ein Patriotismus der leisen Töne und gemischten Gefühle" sein. Es sei historisch absurd, wenn die schwarz-rot-goldene Fahne heute am auffälligsten von denen geschwungen werde, "die einen neuen nationalistischen Hass entfachen wollten". Schwarz-Rot-Gold seien immer die Farben von Einigkeit und Recht und Freiheit gewesen. "Überlassen wir sie nicht den Verächtern der Freiheit".
Bischof warnt vor aggressivem Ton in Parlamenten
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) betonte, die Essenz der Weimarer Verfassung präge Deutschland heute noch und werde auch die Weichenstellungen der nächsten Jahrzehnte beeinflussen. Thüringens Landtagspräsidentin Birgit Diezel (CDU) hob die Bedeutung des Föderalismus für das heutige demokratische Deutschland hervor. Länder und Regionen blieben eine "Kraftquelle unserer Entwicklung".
Bei einem ökumenischen Gottesdienst in der evangelischen Herderkirche kritisierte der Bischof des Bistums Erfurt, Ulrich Neymeyr, eine Verschärfung der Debattenkultur in den Parlamenten. "Im Herzen der Demokratie, in den Parlamenten, wird der Ton aggressiv und polemisch", sagte der katholische Geistliche. Ein demokratisches Miteinander sei mitunter mühsam, sagte die Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Ilse Junkermann. Dazu gehöre auch fairer Streit.
Die im 31. Juli 1919 verabschiedete Weimarer Verfassung schrieb ein freies und gleiches Wahlrecht unabhängig von Geschlecht und Stand, die Gewaltenteilung sowie die Trennung von Staat und Kirche fest. Auch betriebliche Mitbestimmung, Schulpflicht, Gleichberechtigung von Mann und Frau waren dort verankert sowie eine Wirtschaftsordnung, die der Grundsätze der Gerechtigkeit entsprach.
Kommentare
Mehr Demokratie würde ich mir auch wünschen von der Politik. Aber 4 Jahre einmal wählen und dann machen die was sie wollen, im Hinterzimmer beschließt die Parteiführung, wer Bundespräsident wird, wie die eigentlich nur ihrem Gewissen verantwortlichen Abgeordneten gefälligst zu wählen haben bei Abstimmungen,sonst gibts Ärger Parteiintern, dass alles ist meilenweit weg von richtiger Demokratie.
Der Lobbyismus lähmt unsere Demokratie. Dass Minister quasi ungestraft gröbste Fehler begehen dürfen - ohne Einsicht -, dass mehr als offensichtliche Lobbypolitik (Scheuer) nicht geahndet werden - das sind nur kleine Splitter, die die jetzige Politik die Bürger abschrecken und eher von der Demokratie wegführen. Das Erstarken der Rechten ist ein untrügliches Zeichen dafür.
Die Demokratie ist leider auch ihr eigener schlimmster Feind. Wenn sie nämlich zuläßt, daß zutiefst demokratiefeindliche Parteien in die Parlamente überhaupt kommen. Hatten wir in Weimar, und haben wir seit der letzten Bundestagswahl auch in Berlin. Wenn die Demokratie gegen solche Parteien nicht Zähne zeigt, kann es schneller mit der Demokratie zuende sein, als man bis Drei zählen kann.
Eigentlich dürfte es gar keine Partei außer den Grünen geben.
CDU und FDP sind schon grenzwertig genug.
Ich weiß nicht was das über unsere Demokratie oder mich aussagt, aber ich habe schon seit einer Weile das Gefühl das meine Wählerstimme noch nie so wertlos war.
Dieses Gefühl teilen Sie vermutlich mit vielen Wählerinnen und Wählern.
Auch die Mehrheit der Nichtwähler/innen werden dieses Gefühl kennen.
"Das heutige Grundgesetz sei auf der Grundlage der Weimarer Verfassung aufgebaut worden, sagte Merkel."
Sehr richtig! (Man darf Merkel auch mal loben.)
Lange und oft genug mußte man sich den Unsinn anhören, gottgleiche westalliierte Messiase hätten nach 1945 "den Deutschen die Demokratie beigebracht".
"Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte beim Festakt in Weimar, dort habe "die erste echte Volksvertretung der deutschen Geschichte" getagt."
Nana, das geht nun ein wenig zu weit.
Was war am Paulskirchenparlament von 1848 und am Parlament des Kaiserreichs (Reichstag) denn "unecht"?
Ok, beim Weimarer Parlament war zum ersten Mal Frauenwahlrecht. (In den USA, Großbritannien und Frankreich kam das übrigens später!)
Oder meint er, daß das Parlament die Regierung wählt?
Dann sähen alle Länder mit Präsidialverfassung allerdings alt aus und hätten bis heute keine "echte Volksvertretung", auch Frankreich und die USA wären da grenzwertig...
Auch sehr beliebt: die Demokratie habe in Deutschland Migrationshintergrund...
So gesehen ein schönes Jubiläum, das so manche Klitterung durch die altbundesdeutsche Geschichtspolitik gerade rückt.