Der Schriftsteller und Fernsehmoderator Jörg Thadeusz hat die Kapitänin des deutschen Seenotrettungsschiffs Sea-Watch 3 jüngst beschuldigt, aus moralischer Überheblichkeit gegen italienische Gesetze verstoßen zu haben. Carola Rackete war im Juni trotz eines strafbewehrten Anlandeverbots mit 40 Migranten und Flüchtlingen an Bord in den Hafen von Lampedusa eingelaufen und hatte dabei ein Schiff der italienischen Finanzpolizei gestreift.
"Mit ihrer Rettung von Flüchtlingen aus dem Mittelmeer", schrieb Thadeusz in der Berliner Morgenpost, "hat sie gelehrt, was moralisches Handeln im 21. Jahrhundert bedeutet. Mit ihrem Schiff in den Hafen von Lampedusa einzufahren, verstieß zwar gegen geltendes Recht, aber eben nur italienisches Recht." Das sei, so Thadeusz, "eine nagelneue Auffassung von Recht, die selbstverständlich aus der geistigen Führungsnation Deutschland kommt".
Der Vorwurf, die deutsche Kapitänin habe sich selbstherrlich über italienisches Recht hinweggesetzt, ist völlig falsch. Die Rettung Schiffbrüchiger ist nicht nur ein Gebot der Menschlichkeit, sondern auch eine Rechtspflicht. Weil Europas Regierungen ihre Schiffe fatalerweise zurückgezogen haben, springen zum Glück private Hilfsorganisationen wie Sea Watch oder seit Neuestem auch wieder SOS Mediterranée und Ärzte ohne Grenzen in die Lücke. Das ist richtig und wichtig – und kann nicht oft genug gesagt und geschrieben werden.
Gleichwohl treffen Tadeusz im Kern zwar falsche Äußerungen einen wunden Punkt. Denn Carola Racketes Äußerungen nähren den Verdacht, dass es der Kapitänin um weit mehr als um die Erfüllung einer humanitären Rettungspflicht geht, nämlich um einen politischen Auftrag, so viele Not leidende Menschen wie möglich aus Afrika nach Europa zu bringen.
"Wir hören von einer halben Million Menschen, die in den Händen von Schleppern sind oder in libyschen Flüchtlingslagern, die wir rausholen müssen", sagte Rackete in einem Interview mit der Bild-Zeitung. "Ihnen müssen wir sofort helfen bei einer sichereren Überfahrt nach Europa." Und weiter: "Der Zusammenbruch des Klimasystems sorgt für Klima-Flüchtlinge, die wir natürlich aufnehmen müssen."
Hinter diesen Forderungen steckt zwar keine moralische Überheblichkeit, sondern eher politischer Leichtsinn. Doch leistet Carola Rackete damit der enorm unter Druck gekommenen privaten Seenotrettung einen schlechten Dienst.
Noch einmal ganz grundsätzlich: Die Rettung Schiffbrüchiger, das sollte auch Jörg Thadeusz inzwischen wissen, ist seit Langem Völkergewohnheitsrecht und wurde außerdem in zahlreichen internationalen Vereinbarungen festgeschrieben. Dieser Pflicht ist Carola Rackete nachgekommen – wie auch dem Gebot, die Geretteten so schnell wie möglich an einen "sicheren Ort" zu bringen. Dabei stieß sie allerdings auf italienischen Widerstand, denn kein Küstenstaat ist rechtlich verpflichtet, Schiffbrüchige in seine Häfen einfahren und an Land gehen zu lassen – es sei denn, das Rettungsboot selbst steckt in einer Notlage. Zum Beispiel weil es manövrierunfähig ist oder weil die Besatzung oder die Geretteten unverzüglich Hilfe brauchen. In einem solchen Fall muss ein Hafen in der Regel Einlass gewähren.
Kommentare
Teile des Artikels wirken auf mich etwas widersprüchlich.
Zum Einen heißt es Rackete hätte natürlich nicht gegen geltendes Recht verstoßen, da es ihre Pflicht Menschen in Seenot zu retten und an einen sicheren Ort zu bringen. Zum Anderen wägt der Autor dann doch auf einmal ab ob die Lage auf dem Schiff so kritisch war, dass ein Einlaufen in den italienischen Hafen trotz Verbots rechtens war, zumal Kranke und Schwangere vorher aufgenommen wurdrn. Ed wirkt als wolle man erst die moralische Richtigkeit ihres Handelns über alles stellen, nur um dann doch wieder Einschränkungen zuzugehen... und damit dem Erstausage, dass sie nicht gegen Recht verstoßen hat wieder entkräftet....was denn nun?
Natürlich sollte man diese Aktion im Nachgang beurteilen. Was die italienische Justiz auch getan hatte. Da sind die Betrachtungen aber durch die Gesetze schon vorgegeben.
Hier stand doch dass die Verträge, die zwischen flüchtenden und schleppen geschlossen, über Voodoo abgeschlossen werden. Wenn der Mensch nicht bezahlt wird seine Familie verflucht bzw. ihr so schlecht gehen, dass sie sterben.
In diesem Kontext (klar sind nicht alle Verträge auf diese Weise geschlossen) ist es einfach nur ziemlich überraschend, dass da dann jemand mit Suizid droht.
Die Dame hat sich instrumentalisieren lassen und sieht dies aus dem moralischen Turm aber nicht.
Im ersten Moment hatte ich mir aber schon gedacht, da nehme ich echt dieses unmenschliche unterfangen auf mich um doch am Ende, garantiert nicht wenn ich schon auf dem Schiff liege, aufzugeben.
Hier wird niemand eine Antwort finden, wenn wir nicht anfangen das Thema in all seinen Facetten zu verstehen.
Politik lebt vom Kompromiss. Hier muss man den Ausgleich suchen zwischen verschiedenen Teilen unseres Systems.
Einerseits ist das Asylrecht ein Säule dieses Systems, da es Ausdruck von Menschenwürde, Schutz Schwächerer und grenzüberschreitender Verantwortung ist.
Auf der anderen Seite ist das Gesamtsystem, also Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Solidarität, nicht so stabil, wie viele denken. Die Tatsache, dass gut eine Millionen Menschen zu uns kamen, hat uns an den Rand des Nervenzusammenbruchs geführt.
Der Eindruck des "Dschungel von Calais" hat sicher nicht geholfen, als es um den Brexit ging. Europaweit wird der Rechtspopulismus gestärkt.
Außerdem sind jahrzehntealte Integrationsprobleme in Deutschland, Frankreich und anderen Ländern ungelöst, obwohl es auch millionenfach positive Beispiele. Unsere Schulen trennen Kinder nicht von der Bildungsherkunft der Eltern. Einwanderung, die zur Dauerbelastung des Solidarsystems wird, reduziert die Akzeptanz und belastet das Miteinander weiter.
Selbst Länder wie Schweden oder Dänemark haben an den Stellschrauben gedreht. Um die Befürworter einer Migration wie sie Frau Rackete vorschwebt, wird es einsam.
Statt Idealismus auf der einen Seite und Populismus auf der anderen wünsche ich mir als dritten Weg: Realismus.
+++Statt Idealismus auf der einen Seite und Populismus auf der anderen wünsche ich mir als dritten Weg: Realismus.+++
Gute Einschätzung.
Realismus wäre eigentlich der Job der Regierungen.
Da Sie auf die EU anspielen, die ja ein Zusammenschluss von Nationalstaaten ist:
Was ist eigentlich der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich möglichst viele Staaten verständigen könnten?
Wurde dies in der EU mal diskutiert und hat danach mal jemand gefragt?
Kapitänin Rackete hat offen über ihre Motive und politischen Ziele gesprochen. Damit hat sie der Diskussion über die private Seenotrettung einen guten Dienst erwiesen.
Über Fakten muss man nicht mehr spekulieren. Es ist allerdings schon erstaunlich, dass Kapitänin Rackete für ihre offenen Worte gerade von denen kritisiert wird, die ansonsten die Aktivitäten von NGOs in den höchsten Tönen loben.
Ich bin Kapitänin Rackete jedenfalls dankbar dafür, dass sie bezüglich der Motivation und der Ziele bei der Seenotrettung im Mittelmehr die Wahrheit gesagt hat. Diese Wahrheit war zwar auch schon vor dem BILD Interview kein Geheimnis.
Aber es ist trotzdem schön, eine "offizielle" Bestätigung dafür zu haben.
"Ich bin Kapitänin Rackete jedenfalls dankbar dafür, dass sie bezüglich der Motivation und der Ziele bei der Seenotrettung im Mittelmehr die Wahrheit gesagt hat."
Nur sind die höheren Ziele und Absichten von Frau Rackete zur Zeit in Europa nicht ansatzweise mehrheitsfähig, polarisieren extrem und werden einen kräftigen Gegenwind entfachen. Im Artikel wird treffend angemerkt, dass dieser Widerstand die Seenotrettung gleich mit treffen kann.
Ein anderer Forist hat es weiter oben gut ausgedrückt: er wünscht sich statt Idealismus und Populismus mehr Realismus. Mit Idealismus allein helfen sie vorübergehend ein paar Tausend, aber versagen kläglich, wenn es um die Hilfe für Millionen geht.
Eine treffende Analyse, die jedoch sicher nicht jedem gefallen wird. Danke!
Bedauerlicherweise streift die Analyse einen Punkt, ohne ihn zu vertiefen.
Die "geistige Führungsnation Deutschland" stellt ihre Ansprüche an Politik und Moral über die Gesetze anderer Länder, so habe ich die Zitate Jörg Thadeusz' jedenfalls verstanden.
Ob das stimmt oder nicht, ist eine Sache.
Aber es wird so wahrgenommen und diese Wahrnehmung ist eine Tatsache die Fakten schafft.
Wenn wir eine europäische Einigung wollen, müssen wir uns an Fakten orientieren und die deuten darauf hin, dass wir gezwungen sind uns zu entscheiden: moralischer Imperativ oder Europa, was soll es sein?