Falls sich die SPD erhofft hatte, dass sie nach ihrem Mitgliederentscheid für das demokratische Wagnis einer Urwahl ihrer Spitze gelobt würde: Ging so. Viele der ersten Reaktionen waren konsterniert bis hämisch. Viele der zweiten und dritten auch. Die SPD, schrieb am Samstagabend ein Journalist, der wohl viel Zeit im Regierungsviertel verbringt, sei tot. Christian Lindner war "baff". Und Twitter und Facebook sind voller spöttischer Abgesänge, seit Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken zu den Siegern der Mitgliederbefragung ernannt wurden.
Das ist ganz witzig. Denn es sind oft dieselben Politiker und Journalisten, die von der CDU verlangen, dass sie endlich wieder ihren "Markenkern" entdecken müsse. Viele von ihnen sagen und schreiben seit Jahren, dass die Zukunft der deutschen Demokratie davon abhänge, dass das angeblich heimatlose, angebliche Bürgertum endlich wieder in der CDU seinen Platz bekomme.
Aber jetzt, wo die SPD-Mitglieder den Versuch unternehmen, ihrerseits nach 20 Jahren Tristesse dem linksbürgerlichen Lager endlich einmal wieder so etwas wie ein politisches Vibrieren zu verschaffen, wird das Ende der SPD herbeigeredet. Als sei ein Parteivorsitzender Olaf Scholz, als wäre das weitere Verabreichen des seit 20 Jahren wirkungslosen Rezepts für eine Wiederbelebung der SPD nicht mindestens ebenso riskant gewesen.
Wer nichts wagt, der nichts verliert
Scholz' Umfeld wies in den letzten Wochen immer mal wieder darauf hin, dass er in der Kanzlerfrage bei den Deutschen vorn läge. Als sei die Lösung der SPD-Krise einfach, den Kanzler zu stellen. Dahinter steckt eine Sichtweise auf Politik, die wahrscheinlich einer der wichtigsten Gründe für den Niedergang der Partei ist. Große, grundstürzende Ideen bergen in dieser Vorstellungswelt vor allem das Risiko neu enttäuschter Wähler und weiterer Stimmverluste. Motto: Wer nichts wagt, der nichts verliert.
Nur spricht wirklich wenig dafür, dass die Wählerinnen und Wähler sich von der SPD abgewandt haben, weil sie zu viele linke Visionen hat. Schon eher, weil kaum irgendwo der Versuch zu sehen ist, das erst mal undenkbar Erscheinende in den Bereich des Möglichen holen. Nicht weniger, das ist mittlerweile auch in der Mitte angekommen, wird es aber brauchen, um den Klimawandel zu verlangsamen, die soziale Spreizung einzuhegen oder auch nur um die Explosion der Mieten in den Ballungsräumen zu stoppen. Wer braucht eine Partei, die in Anbetracht dieser Brandherde nur bedauert, dass der Feuerlöscher leider hinter einer Glasscheibe hängt?
Die wechselnden SPD-Führungen der vergangenen Jahrzehnte waren offenbar von dem Gedanken getrieben, dass die Wähler, stünden sie vor der Wahl zwischen einer wirklich rechten und einer wirklich linken Alternative, sich im Zweifel eher für rechts entscheiden würden. Anders ist es nicht zu erklären, dass sie angesichts wachsender sozialer Spannungen immer wieder vor einer dezidiert linken Politik zurückschreckten – auf der Suche nach einer gesellschaftlichen Mitte, die vielleicht längst linker und grüner ist, als Olaf Scholz es glaubt.
Eine Art Ersatzmannschaft für die CDU
Die größte Gefahr für die SPD besteht nicht darin, dass sie ihre letzten verbliebenen konservativen Wählerinnen und Wähler verlieren könnte. Sondern dass sie untergeht, weil sie weiterhin als der Motor der gesellschaftlichen Linken ausfällt. Woher kommt die unausgesprochene Vorstellung, die SPD müsse eine Art Ersatzmannschaft für die CDU sein? Die vielen Arbeiter und Angestellten, die nicht mehr SPD wählen – sind sie wirklich unzufrieden, dass es zu wenig Hardliner in der Partei gibt? Oder ist es doch eher die Frustration darüber, dass ihr Spitzenpersonal keinen glaubwürdigen Plan entwickelt hat, wie ihre Kinder es einmal besser haben könnten? Was ändern schon Mindestlohn und Grundrente, wenn deren Effekte für die Bewohner der Ballungsräume allein durch die Mietsteigerungen der vergangenen Jahre aufgefressen werden?
Kommentare
"ob es ihren neuen Chefs gelingt, endlich linke politische Fantasie zu erzeugen."
Nach deren Auftritt gestern Abend bei Anne Will habe ich meine Zweifel.
Frau Esken mit verkniffenen Mundwinkeln ständig in der Defensive, Walter-Borjans herumeiernd und schwammig.
Der Eindruck, dass die beiden sich mit dem SPD- Vorsitz übernommen haben, hat sich förmlich aufgedrängt.
Wir werden Überforderung sehen statt Führung.
Man darf auch nicht übersehen, dass das keine Wahl FÜR Nowabo (lol) und Esken war, sondern GEGEN Scholz.
Mehr nicht.
Daraus eine Aufbruchsstimmung in der SPD zu konstruieren, wie Herr Bangel das tut...naja.
Ganz allgemein formuliert: Wenn die konservativ/wirtschaftsliberale Presse schäumt, ist das für eine sozialdemokratische Partei zumindest ein Indiz, etwas richtig gemacht zu haben.
So ist es. Die konservative Will reiht sich ein bei Markus Lanz und anderen konservativen Moderatoren, die das Katastrophenszenario und den Untergang beschwören wollen. Umgekehrt ist es richtig. Das ist ein Aufbruch. Endlich kann man nur sagen !
Ich glaube nicht, dass Franziska Giffey eine Hoffnungstraegerin der SPD ist. Dafuer ist sie zu sehr alte Garde und Parteiestablishment, das den jetzigen Kurs des blossen Verwaltens statt Gestaltens mit einigen kleinen sozialen Wohltaten mitgetragen hat. Aber ansonsten hat der Autor in vielem recht und es kann diesem neuen Vorstand gelingen, die SPD strukturell neu auszurichten. Es waere sehr hilfreich, wenn sich im Führungspersonal dafuer viele neue Köpfe finden würden, die diesen Wechsel aktiv mit gestalten.
Einverstanden!
Genau der ewige Rueck nach der Mitte hat die Sozialdemokratie ihre glaubwuerdigkeit genommen. Kann ich als Sozi aus den Niederlanden nur bestaetigen.