Jennifer Mehlstäubl steht auf einem sanften Hügel und hat ein bisschen Angst. Angst vor der großen Plastiktüte, die hinter ihr im Gras liegt. Kurz zögert sie, dann läuft sie los, die bunte Plane steigt über ihren Kopf.
Einfach laufen, hatte die Fluglehrerin Diana David gesagt.
"Und wenn ich abhebe?"
"Einfach weiterlaufen."
Ganz glauben kann Jennifer Mehlstäubl nicht, dass Gleitschirmfliegen so simpel sein soll. Die 23-Jährige hofft darauf, den Boden unter den Füßen zu verlieren – und fürchtet sich zugleich davor. Mitten im Rennen klappt der Schirm über ihr zusammen, sie verschwindet unter einem gelben Haufen Segeltuch.
Sie rafft es zusammen und trägt es zu den anderen Flugschülern zum Startpunkt in 20 Metern Höhe. Der Gleitschirmkurs in Penzberg in Oberbayern ähnelt am ersten Tag einem Ausflug zum Drachensteigenlassen. Erwachsene Menschen rennen mit überdimensionalen Schirmen über dem Kopf einen Hang hinab, den kleine Kinder im Winter mit Schlitten befahren: Das ist auch für Leute mit Höhenangst gut machbar.
Die Fluglust besiegt die Höhenangst
Diana Davids Kollege, der 38-jährige Fluglehrer Knut Miesner , litt früher an starker Höhenangst. Bei einer Reise nach Paris bemerkte er, dass er es nicht aushielt, in die Tiefe zu blicken. Er bestieg den Eiffelturm nur halb, konnte sich nicht überwinden, die oberste Aussichtsplattform zu betreten. Mit 29 Jahren machte er einen Schnupperkurs im Paragliding, meterweise musste er sich an die Höhe gewöhnen. Jetzt will er auf das Fliegen nicht mehr verzichten: Er kündigte seinen Job in Bremen und zog nach Penzberg ins Voralpenland.
"Wenn ihr das erste Mal abhebt, habt ihr ein Problem", sagt er seinen Schülern: "Denn das Fliegen wird euer Leben verändern."
Miesner hatte schon immer vom Fliegen geträumt, doch es war noch ein bisschen besser, als er dachte. Er fühlt sich frei, wenn die Luft ihn trägt und der Horizont in die Ferne rückt. Mal zieht er im warmen Aufwind seine Kreise, sieht die Berge von oben und kommt den Wolken immer näher. Dann ist der Himmel das Ziel. Mal gleitet er in der Abendstimmung vom Gipfel, lehnt sich in seinem Sitz zurück und kommt völlig zur Ruhe. Ganz bei sich ist er, wenn er fliegt. Er spielt mit seinem Schirm und ringt mit dem Wind, dreht Spiralen, beschleunigt, pendelt.
In der Luft tritt alles in den Hintergrund, was das Leben kompliziert macht, man muss sich ganz konzentrieren. Der Flieger registriert jede Bewegung seines Schirms, dreht er sich leicht, reagiert er sofort und steuert dagegen. Er merkt, wie die Luft sich bewegt und ihn mitnimmt. Wenn Miesner die Kräfte der Natur spürt, fühlt er sich wach und lebendig. Die Arbeit als Fluglehrer ist für ihn ein Luxus, obwohl sie nicht reich macht.
"Ich helfe Menschen dabei, ihren Traum zu erfüllen. Was kann es Tolleres geben?" fragt er.
Elegant sind die ersten Versuche nicht
Jennifer Mehlstäubl träumt vom Fliegen, seit sie vor zwei Jahren an Mallorcas Küste entlang schwebte: Bei dem Tandemflug atmete sie den Höhenwind, doch jetzt, allein am Schirm in Bayern, lässt sie der Boden nicht los. Mühsam entwirrt sie mit zwei Mitschülerinnen die komplizierten Knoten, die die hundert Tragleinen am Schirm nach jedem Flugversuch bilden.
Ein paar der Flugschüler versuchen, das Abheben zu beschleunigen, indem sie in die Luft hüpfen, doch diese Flugversuche enden stets auf dem Hinterteil. Neben den Gleitschirmschülern trainieren Fluganfänger, die sich für Drachen entschieden haben. Ihre ersten Erfahrungen sehen ungemütlich aus. Zwar müssen sie nicht so viel rennen, dafür schleifen ihre Beine am Boden entlang, während die Flugdrachen einen halben Meter über Grund bergab gleiten.
Kommentare
Denn das Fliegen wird euer Leben verändern.
Once I thought, nothing could counteract gravity.
But since I started flying, I feel this force,
That, each moment down on ground, grows stronger,
Pulling me back, towards the sky.
Gefahren des Straßenverkehrs
Auch ich habe vor mehr als 10 Jahren an genau demselben Hang einen Drachenflieger-Anfängerkurs gemacht. Der Gefahrenvergleich mit dem Straßenverkehr wurde auch damals gemacht.
Als wir dann zum A-Kurs nach Italien fuhren und die Person, die nach mir startete, von einem Paraglider touchiert wurde und daraufhin tödlich verunglückte, habe ich es mit der Fliegerei sein lassen.
Die Mathematik hinter diesem Vergleich möchte ich gerne sehen. Ich nehme an, sie nehmen nicht die Anzahl der Fahrten, sondern die der Fahrer, was so einen Vergleich hinken lässt.
Unfallrisiko
DHV Unfallstatistik Gleitschirm 2011
> http://www.dhv.de/web/fil...
Der Bericht enthälte auch eine Aufschlüsselung nach Unfallarten. Lesenswert.
Ihr Unfall ist natürlich tragisch, und führt zu einer subjektiv anderen Wahrnehmung des Risikos. Ein Freund von mir hat den Motorradschein abgebrochen, nachdem er während der Fahrstunden angefahren wurde. Durchaus nachvollziehbar, aber aus meiner Sicht trotzdem schade.
Fakt ist dennoch, wie auch in diesem netten Artikel erwähnt, daß man als Luftsportler (egal ob Gleitschirm, Drachen, Trike, Segelflugzeug, UL, Motorflugzeug) die eigene Sicherheit deutlich mehr in der Hand hat, als bei anderen Hobbies.
Das heisst selbstverständlich nicht, daß es gefahrlos ist: ein Restrisiko bleibt immer. Sogar beim Pfahlsitzen.
Bull-Rinding oder gemütlicher Schaukelstuhl?
Warum wird Gleitschirmfliegen immer wieder als „Risikosportart“ bezeichnet? Als Pilot habe ich das Risiko doch selbst in der Hand: Bull-Riding in der Hammer-Thermik oder ein gemütlicher Abgleiter am Nachmittag – ich entscheide, wann ich starte, wohin ich fliege und wann ich (besser) lande. Oder gleich am Boden bleibe. (Ich fliege seit 11 Jahren im Verein, unfallfrei.)
Die Anzahl der Todesfälle war im vergangenen Jahr außergewöhnlich hoch, auch ein guter Bekannter von mir war betroffen. Die folgende Unfallanalyse des DHV ergab, dass er eine ganze Reihe gravierender Fehler gemacht hatte – wissentlich und wohl auch darauf vertrauend, dass es schon gut gehen werde. Ein typisches Problem von langjährigen Piloten, wenn sie den Respekt vor der dritten Dimension verlieren.
Nebenbei: Drachen und Gleitschirme sind zwei faszinierende Fluggeräte, aber eben auch völlig unterschiedlich. (Hier gibt es Bilder, auch von Trikes: www.dcb.org) Und zum Fliegen muss man nicht unbedingt in die Alpen fahren. Im Flachland startet man eben an der Winde. Das macht genauso viel Spaß!
Sicherheit
als Gleitschirmflieger kenne ich auch den Vergleich mit dem Straßenverkehr.
Leider stimmt es nicht, hier werden niedrige Flugzeiten mt hohen Fahrzeiten im Straßenverkehr verglichen.
60 Stunden Flugzeit im Jahr mit weit mehr Stunden Fahrzeit im Auto/Motorrad zu vergleichen, macht nun wirklich keinen Sinn.
Und wer die Geschichten beim Landebier kennt, der weiß...Sicherheit gibts bei anderen Sportarten mehr.
Gleitschirmfliegen ist wirklich keine Extremsportart, aber definitiv gefährlicher als der Straßenverkehr!