Es gibt mehr als einen Mario Balotelli. Es gibt da diesen italienischen Stürmer, der das Siegtor gegen England köpfte und nach seiner Auswechslung den Zeigefinger an die Lippen legte, alle Kritiker grüßend. Es gibt diesen Narzissten, der eine Sammelalbum-Seite nur mit Balotelli-Bildchen ins Netz stellte. Der einen Wangenkuss von Queen Elizabeth forderte, sollten seine Tore helfen, England im Turnier zu halten. Und es gibt einen ganz anderen Mario Balotelli, den Außenseiter, den Hilflosen, den viel Kritisierten, den, der "einfach nur wieder lächeln will", wie er gerade schrieb. Lächeln mit unzähligen Balotellis, die in Brasilien vor den Fernsehern sitzen.
Welchen Balotelli gibt es zu sehen, am Dienstag gegen Uruguay? Den, der Italien zum Sieg und ins Achtelfinale schießt? Oder den, der wie gegen Costa Rica Chance um Chance vergibt und nach einem WM-Aus zerfleischt wird? Einen Platz dazwischen scheint es nicht zu geben. Es ist eine schwierige Beziehung, die er mit 23 Jahren mit Italien führt und Italien mit ihm.
"Balotelli steht ständig unter Bewährung", sagt Mauro Valeri. Der Soziologe hat gerade ein Buch veröffentlicht, Mario Balotelli vincitore nel pallone, Gewinner am Ball. Ein Gewinner sein, das ist schwierig. "Er muss perfekt sein, ein Fehler und er wird verdammt." Den Rassismus habe Italien auch nach Ende des Faschismus nie überwunden, sagt der Forscher, der die Beobachtungsstelle für Fremdenfeindlichkeit im italienischen Fußball leitet. Als Sohn ghanaischer Einwanderer müsse sich Balotelli doppelt beweisen, um anerkannt zu werden. Immer wieder sagen ihm Afrikaner, egal welcher Generation, dasselbe, berichtet Valeri: "Du musst 200 Prozent geben, um 100 Prozent zu bekommen."
Die Menschen in Brasilien lieben Balotelli
Balotellis altes Dilemma, es fällt dieser Tage besonders auf, da es sich in Brasilien ins Gegenteil verkehrt. Die Menschen dort lieben ihn. Fans verkleiden sich als er, fotografieren sich mit aufblasbaren Balotellis, die die Fifa aufgestellt hat. Schon beim Confed-Cup verließ der Mann vom AC Mailand das abgeriegelte Quartier der Italiener an freien Tagen und badete in der Menge.
Seit 2007, lange bevor er bekannt war, besucht und unterstützt er eine Stiftung für misshandelte Kinder in Favelas. Italienische Reporter haben mehrere Amateurkicker ausfindig gemacht, die ihren Künstlernamen in Balotelli änderten. Als Grund nennen sie alle den gleichen wie Valeri: "Sie identifizieren sich mit dem, was er durchgemacht hat." Diskriminierung ist den dunkelhäutigen und gemischten Brasilianern vertraut, die die Hälfte der Gesellschaft bilden, aber die Minderheit auf den teuren WM-Stadionplätzen.
Valeri hat Balotellis Geschichte nachrecherchiert. Eine Lehrerin erzählte ihm, wie sich der kleine Mario mit rosa Filzstift anmalte, ein Kindheitsfreund, wie er sich die Hände mit kochendem Wasser wusch, damit sie weiß werden. Balotellis Traum war es, Nationalspieler zu werden, damit er bei Anfeindungen antworten könnte: "Ich bin Italiener, wie du." Doch dann bekam er seinen Pass fünf Tage zu spät, um für Italien an Olympia 2008 teilzunehmen. Die restriktiven Regeln des Verbandes verhinderten es, dass Einwanderer den Weg in die höheren Ligen schaffen, klagt Valeri. "Balotelli fühlt sich als Einzelkämpfer."
Kommentare
Bescheidenheit gefragt
Es gibt viele Schwarzafrikaner, die gerne Italener wären. Dass sollte sich der Bartotelli mal zu Gemüte führen lassen !
Anmerkung: Bitte beteiligen Sie sich sachlich an der Diskussion des konkreten Artikelthemas. Undifferenzierte, zudem themenferne Äußerungen, die als diffamierend und verharmlosend verstanden werden können, sind hier unerwünscht. Danke, die Redaktion/sam
Im Gegenzug gibt es viele Deutsche,
denen ein wenig Bescheidenheit richtig gut zu Gesicht stehen würde.
Als Fußballer finde ich Balotelli richtig Klasse. Als Mensch außerhalb des Fußballplatzes kann ich ihn nicht beurteilen, da ich hier nur das weiß, was so in der Presse über ihn steht. Dass das italienische Boulevard und die dortigen Massenblätter nur auf Auflage schreiben, und ihren Lesern a la Bild nach dem Mund schreiben, sollte man darauf nichts geben.
Wahrscheinlich ist er genau so normal - bzw. irgendwo dazwischen - wie Sie und ich.
Eine Frage des Chrakters?
Nun weiß ich zu wenig über Italien und die Italiener. Aber vielleicht liegt es auch an seinem Charakter. Ein Boateng und ein Özil können hier auch recht unbehelligt ihrer Profession nachgehen.
Ein Balotelli wäre wohl auch in Deutschland eine Person, an der man sich fleißig abarbeiten kann. Also liegt es wohl auch irgendwie an seiner polarisierenden Person, dass er heute der Held und morgen der Depp und übermorgen wieder der Held ist.
Dazu sei nur erwähnt,
"Ghetto Kid" Boateng, der Rüpel der unseren Michi zusammengetreten hat.
Oder Özil, der geldgeile Türke, der von Schalke zu Bremen nur wegen der Kohle wechselt und nicht die Nationalhymne singt und wahrscheinlich darum nicht so gut spielt.
Oder Asamoah. Es ist egal, wen man fragt, sehr viele Fußballer mit ausländischen Wurzeln hatten es in Deutschland nicht immer leicht und allein schon dafür muss man die NM heute eigentlich mögen, weil sie da wirklich sehr gute Arbeit geleistet hat.
Balotelli und Italien. Ein heikles Thema. Ich kenne Balotelli zu wenig, habe ihn damals bei City nicht verfolgt und vom italienischen Fußball bekommt man kaum etwas mit, außer es gibt wieder rassistische Ausfälle und doch wird gerade Balotelli immer mal wieder thematisiert. Interessanterweise verzeihen übrigens Ibrahimovic alle seine Arroganz. Wie kommt das? Vielleicht weil sie natürlich wirkt und bei Balotelli aufgesetzt?
Einfach in Ruhe lassen
Ich wünschte mir, daß die Presse (vornehmlich der Boulevard) solche Leute einfach in Ruhe ließe. Skandälchen hier, Dönerwurf da, das trägt alles nur dazu bei, Negativstimmung gegen einzelne Spieler anzuheizen und Vorurteile aufzubauen.
Ich finde den Spieler Balotelli übrigens super, ich mag Leute die um des Spiels willen spielen und bewundere, wenn sie dabei auf einem so hohen Niveau spielen, daß sie auch erfolgreich sind.
Entfernt. Wir wünschen uns eine sachliche Diskussion. Die Redaktion/dgw