Hamburg, Stuttgart, Schalke, Leipzig, Dortmund. Immer, wenn es in der Bundesliga zuletzt einen mehr oder weniger begehrten Trainerposten zu besetzen gab, wurde über Thomas Tuchel geredet. Vor allem im Zusammenhang mit dem BVB fiel sein Name immer wieder. Irgendwie galt Tuchel schon immer als eine Art logischer Nachfolger von Jürgen Klopp. Und oberflächlich betrachtet haben beide tatsächlich viel gemeinsam.
Sowohl Klopp als auch Tuchel spielten nie in der Bundesliga. Tuchel beendete sogar schon mit 24 Jahren wegen einer Knieverletzung seine Karriere. Beide erhielten beim FSV Mainz 05 schon als Mittdreißiger ihre Chance als Cheftrainer. In beiden Fällen pokerte der Mainzer Manager Christian Heidel hoch und in beiden Fällen zahlte es sich aus. Unter Klopp gelang der erste Aufstieg in die Bundesliga. Tuchel etablierte Mainz mit Platz fünf im Jahr 2011 und Platz sieben in seiner letzten Saison unter Deutschlands besten Fußballclubs.
Abgenutzte Leidenschaft
Doch abgesehen von den biografischen Parallelen könnten Klopp und Tuchel unterschiedlicher nicht sein. Der scheidende Borussen-Trainer ist ein Menschenfänger, ein emotionaler Grenzgänger, der das auch auf seine Mannschaft übertrug. Der Erfolg des BVB hing nicht nur mit einer neuen taktischen Idee zusammen. Das berühmt gewordene Gegenpressing, verbunden mit flinken Umschaltangriffen, bedurfte in Dortmund stets vollster Aufopferung. Leidenschaft spielte in Klopps Konzept eine entscheidende Rolle. Als sie nachließ, wurden die oft gepriesenen Dortmunder Vollgasveranstaltungen seltener.
Klopp wusste um das Verfallsdatum seines aggressiven Systems. Bereits nach der ersten deutschen Meisterschaft 2011 versuchte er den Spielstil des BVB weiterzuentwickeln. İlkay Gündoğan ersetzte den zu Real Madrid abgewanderten Nuri Şahin, mit einem spielstarken Mittelfeld sollte die Borussia dominanter spielen, öfter den Ball haben. Der Plan misslang. Klopp kehrte stattdessen zum altbewährten Stil und der zuletzt farblosen 4-2-3-1-Formation zurück. Ihm wurde deshalb oft vorgeworfen, keinen Plan B zu haben. Dabei war ihm durchaus bewusst, wohin die Entwicklung gehen müsste. Nur konkrete mannschafts- und gruppentaktische Mechanismen, die für den Ballbesitz nötig waren, konnte er nicht einführen.
Tüftler und Wissenschaftler
In dieser Hinsicht hat ihm sein sechs Jahre jüngerer Trainerkollege bereits einiges voraus. Tuchel ist ein taktischer Tüftler, der Formationen und Systeme an die jeweiligen Gegner anpasst. Pep Guardiola gilt als ein Vorbild des 41-Jährigen. In seiner Mainzer Zeit konnten Fans und Beobachter in den seltensten Fällen die Aufstellungen im Voraus erraten, weil teils ein halbes Dutzend Spieler von Wochenende zu Wochenende ausgetauscht wurde. Von der bevorzugten Mittelfeldraute (4-3-1-2) bis hin zu einem ungewöhnlichen 5-2-2-1 gegen Bayern München war alles zu bestaunen. Während der Partien stellte Tuchel zudem regelmäßig um und justierte neu.
Tuchel wollte so stets auf den Gegner reagieren, dessen größten Schwächen bespielen und seinem eigenen Team Sicherheit und Orientierung geben, auch indem er vereinzelt mal jenen Gegenspieler manndecken ließ und mal einen anderen. Vom großen spielerischen Konzept favorisierte Tuchel in Mainz zumeist folgendes: anpassungsfähiges Pressing, intensives Gegenpressing und schnelles Spiel in die Spitze. Tuchel zeigt sich aber ebenso als begeisterter Anhänger von Guardiolas dominantem Ballbesitzfußball.
Kommentare
Sehr gut veranschaulichender Artikel
Mein Kompliment zu einem für meine Begriffe fachlich fundierten Artikel! Die Gegenüberstellung der beiden Charaktäre ist gelungen. Vor allem das Aufzeigen der Unterschiede. Nun darf man gespannt sein, wie sich die Analysen und Prognosen in der Wirklichkeit präsentieren werden. Zumindest in der Theorie scheint es so zu sein, daß Tuchel die kosequente Nachfolge des charismatischen Klopp darstellt, so sehr sich viele Fans von Borussia Dortmund Klopp weiter als Trainer gewünscht hätten.
Charakter hin oder her, Maßstab ist und bleibt die Tabelle
Zitat: >>>Mein Kompliment zu einem für meine Begriffe fachlich fundierten Artikel! Die Gegenüberstellung der beiden Charaktäre ist gelungen. Vor allem das Aufzeigen der Unterschiede. Nun darf man gespannt sein, wie sich die Analysen und Prognosen in der Wirklichkeit präsentieren werden. Zumindest in der Theorie scheint es so zu sein, daß Tuchel die kosequente Nachfolge des charismatischen Klopp darstellt, so sehr sich viele Fans von Borussia Dortmund Klopp weiter als Trainer gewünscht hätten.<<<
Detaillierte Charakterstudien hin oder her, man sollte so ehrlich sein und eingestehen, dass am Ende nur die Ergebnisse zählen. Alles andere ist Folklore. Die Extravaganzen eines Klopp (Pampigkeit, Ausraster und Wutfratzen) waren auch nur so lange cool, wie er mit Dortmund Ergebnisse lieferte. Jetzt blieben die Ergebnisse aus und weg ist er. Nun kommt mit Tuchel ein intellektuelles Gegenstück und doch bleibt der Maßstab letztlich der gleiche (zur Erinnerung: Die Tabelle).
Bin gespannt,
wie sich wohl seine menschlichen "Qualitäten" auf den Zustand und die Leistung der Spieler -> Mannschaft auswirken ...
Ist es vorstellbar, dass sich das zwischenmenschliche Klima innerhalb der Mannschaft verschlechtert?
Auf mich wirkt er emotional kalt und in erster Linie an seinem persönlichen Erfolg interessiert. Sollte diese meine Einschätzung zutreffen, werden sich mittelfristig Zustand und Leitung der 'aktuellen' Mannschaft gravierend verschlechtern.
So plump wirds schon nicht werden
Nicht jeder Trainer muss ein toller Duz- und Kumpeltyp sein, damit sich eine Mannschaft formt. Kann auch sein, dass er andere Spielertypen bevorzugt als sein Vorgänger. Abwarten.
Dem Artikel zu Folge scheint Tuchel eher ein Typ wie Favre zu sein. Akribisch und detailversessen. Und das Gegenteil von Klopp ist für den BVB vielleicht gerade richtig - mittlerweile.
Vor allem hohe narzisstische Anteile
kann man wahrnehmen, wenn man das Interview in der ZEIT gelesen hat. Wer's mag...
Nun ja.
Narzisstische Anteile? Das unterscheidet ihn nun wieder nicht so richtig vom Klopp.
Wird aber in dem Job eher die Regel sein. Man wird sich den Öffentlichkeitsstress wohl kaum auf Dauer antun, wenn man darauf nicht irgendwie steht.
Tuchel wird ja ziemlich gehyped,
allerdings ist den BVB trainieren und in dessen Umfeld arbeiten eine andere Hausnummer wie eine Jugendmannschaft oder Mainz. Ich bezweifle, das der doch noch recht unerfahrene Tuchel in Dortmund lange überleben wird, lasse mich aber gerne überraschen
Warum eigentlich?
Warum ist es so viel schwerer den BVB zu trainieren als Mainz? Erwartungen und Medienpräsenz sind Faktoren, die das Arbeiten schwieriger machen. Aber ist das wirklich so schlimm?
Dagegen stehen sehr gute personelle und finanzielle Rahmenbedingungen, um die Mannschaft im Sinne des Trainers zu gestalten und ein Team das aufgrunde der individuellen Qualität dem Trainer viele Optionen eröffnet. Außerdem gibt es Leute wie Watzke, die vom medialen Druck einiges abfangen können.