Wir sehen uns vor Gericht. Diesen Satz hören Sportverbände in letzter Zeit sehr oft. Das jüngste Beispiel: Verschiedene bayerische Verlage haben beim Landeskartellamt Beschwerde gegen den Bayerischen Fußballverband (BFV) eingelegt. Der BFV will Zeitungen und Onlinepublikationen darin einschränken, Videos von Amateurspielen zu veröffentlichen. Weil er selbst ein Videoportal betreibt, sprechen Kartellrechtler vom Missbrauch marktbeherrschender Stellung. Vermutlich Ende Juni wird entschieden.
Der BFV dürfte sich über ein negatives Urteil durch die Kartellbehörde nicht wundern. Damit würde er eine Niederlagenserie um ein Kapitel erweitern. Immer häufiger wird dem Sport der Prozess gemacht, immer häufiger verliert er. Der Sport darf nicht mehr machen, was er will.
Der Sport folgt eigenen Regeln, sein Markt einer eigenen Logik, daher braucht er eigene Gesetze. Die müssen aber mit anderen vereinbar sein. Sonderregeln muss er gut begründen. Die vielen Gerichtsurteile gegen den Sport aus letzter Zeit zeigen aber: Der Staat traut denjenigen, die die Regeln schaffen, also den Sportverbänden, keine guten Regeln mehr zu. Die Verbände verlieren zunehmend Autonomie und die Deutungshoheit über den Sport – ein weiteres Indiz ihrer Glaubwürdigkeitskrise.
Die Fifa musste lernen, dass in Deutschland deutsche Gesetze gelten
"Der Staat hat gemerkt, er muss dem Sport auf die Finger schauen", sagt Fabian Reinholz, Sportrechtsexperte aus Berlin. Die Liste der Skandale ist lang. Der Weltradverband UCI deckte lange den Betrüger Lance Armstrong. Der Weltfußballverband Fifa ist Synonym für Korruption und Lüge. Das reiche IOC verlangt von den Gastgeberländern der Olympischen Spiele Steuererleichterungen, also womöglich unrechtmäßige finanzielle Beihilfen. Die Öffentlichkeit ist misstrauisch geworden, auch die Richter.
Jüngst musste der Sport zwei besonders schwere Niederlagen gegen den Staat einstecken. Nach langem Zögern und gegen den Willen des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) will die deutsche Politik in diesem Jahr erstmals ein Anti-Doping-Gesetz schaffen, das Kabinett hat bereits zugestimmt. Zwar hegen selbst sportverbandskritische Juristen Zweifel, ob das Strafrecht das geeignete Mittel gegen Doping ist. Mindestens genauso groß sind aber die Zweifel der Politik, dass der Sport den Kampf gegen Doping überhaupt ernst meint.
Die andere und noch größere Niederlage ist der Fall Claudia Pechstein. Im Januar gewann die Eisschnellläuferin vor dem Oberlandesgericht München gegen den Weltverband ISU. Dabei ging es noch nicht um Pechsteins fragliche Doping-Strafe aus dem Jahr 2009, die sie anfechtet. Dies wird später geklärt. Folgenreich war vor allem, dass sie die Schiedsgerichtsklausel des Sports ausgehebelt hat.
Hat das Pechstein-Urteil vor dem Bundesgerichtshof Bestand, dürfen Sportler künftig vor Zivilgerichten gegen die Verbände klagen. Sie wären nicht mehr den Sportgerichten unterworfen, wie es bislang der Fall war – und wie das der Sport auch gerne weiterhin hätte. Denn vor Sportgerichten gewinnt so gut wie immer der Verband. Auch im Fall Pechstein entschieden alle Sportgerichte für den Verband, in letzter Instanz der Internationale Sportgerichtshof CAS.
Das Münchner Gericht sagt nun, dass CAS-Urteile einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung darstellen. Das Gericht zweifelt also an der Neutralität des CAS. Verbände hätten dort ein "strukturelles Übergewicht", sagt Mark-Eduard Orth, ein Kartellrechtsexperte aus München. "Das Urteil lässt sich im Grunde auf sämtliche bisherige CAS-Entscheide gegen Sportler übertragen."
Was den Verbänden vor staatlichen Gerichten nämlich droht, sieht man am Fall SV Wilhelmshaven. Der Regionalligist besiegte im Dezember vor dem Oberlandesgericht Bremen nach langem Kampf die große Fifa. Nun muss er, falls eine spätere Instanz nicht zu einem anderen Urteil kommt, keine Ausbildungsentschädigung für einen Fußballer zahlen, den er aus Argentinien gekauft hatte, und der den Verein längst verlassen hat. Die Regeln der Fifa verlangen das eigentlich. "In Deutschland gilt aber das nationale und das europäische Recht und nicht das Fifa-Recht und die Fifa meint, dass es umgekehrt ist", sagte der Anwalt der Wilhelmshavener.
CAS-Richter können in Haftung genommen werden
Das Bremer Gericht stört sich nicht generell an einer Ausbildungsentschädigung, sondern an den handwerklichen Fehlern des konkreten Paragrafen. "Die Regel der Fifa ist viel zu pauschal", sagt Reinholz. Es gibt viele andere Beispiele, in denen es dem Sport ähnlich erging (siehe Infokasten).
Der Sport gibt sich nicht nur schlechte Gesetze, er pflegt auch eine fragliche Rechtskultur. "Viele Satzungen sind unverständlich und schlecht geschrieben", sagt Reinholz. Viele Regeln erfassten die Fälle gar nicht, die sie beschreiben wollten. Als 2013 Stefan Kießling ein Phantomtor schoss und die Forderung nach einem Wiederholungsspiel laut wurde, versteckte sich der DFB hinter der Fifa. Einen Paragrafen, der dem DFB das vorgeschrieben hätte, gibt es nicht.
Vor ordentlichen Gerichten gälten höhere Standards, sagt Reinholz, etwa bei der Zeugenbefragung. Das habe man vor drei Jahren beobachten können, als das DFB-Sportgericht 2012 über das Relegationsspiel zwischen Düsseldorf und Hertha verhandelte. Tausende Fans waren während des Spiels auf den Platz gestürmt. Herthas Antrag auf Wiederholung des Spiels wurde abgewiesen. Die Auswahl der Zeugen habe nahegelegt, dass das Urteil vor dem Prozess festgestanden habe, sagt Reinholz. "Das wirkte unprofessionell."
Auch der Jurist Orth macht immer wieder schlechte Erfahrungen mit dem Sport, etwa mit der Protokollkultur. Die ist aber wichtig, Juristen müssen sich auf das geschriebene Wort verlassen. Und stellt man Vertretern des BFV konkrete juristische Fragen im Videostreit, bekommt man bestenfalls ausweichende Antworten.
Juristische Inkompetenz sollte sich der deutsche Sport in Zeiten der Olympiabewerbung eigentlich nicht leisten. Sie kann sogar teuer werden, auch für Richter. "Aus dem Pechstein-Urteil lässt sich folgern, dass die CAS-Richter einem großen Schadensersatzrisiko ausgesetzt sind", sagt Orth. Der ehemalige Dreispringer Charles Friedek, der seit Jahren gegen den DOSB klagt, weil er nicht zu Olympia 2008 nominiert worden war, verlangt einen sechsstelligen Schadensersatz, Pechstein sogar mehr als vier Millionen Euro.
Dass Sportler Geld fordern, ist neu. "Solche Prozesse werden sich häufen", sagt Reinholz. Sportler und Vereine nehmen nicht mehr alles hin, werden mündiger. Auch das ist ein Grund für die vielen juristischen Niederlagen: Es gibt jetzt mutige Kläger.
Kommentare
Politsport? Nein Danke!
"Die vielen Gerichtsurteile gegen den Sport aus letzter Zeit zeigen aber: Der Staat traut denjenigen, die die Regeln schaffen, also den Sportverbänden, keine guten Regeln mehr zu."
Das halte ich für eine eklatante Fehldeutung, denn "der Staat" ist ja in den meissten Fällen gar nicht Teil dieser Auseinandersetzungen. Es klagen, wie angemerkt wird, Sportler. Und die klagen nicht "gegen den Sport", sondern gegen ihre Verbände. Dass die Sportler am Ende vor Gericht oft gewinnen, bedeutet, dass das Parallel-System Sport sehr wohl im Rahmen des staatlichen Rechts permanent kontrolliert und angepasst wird.
Grund zur Besorgnis gibt es aber trotzdem, und zwar, weil "der Staat" also offenbar damit ein Problem hat, dass "der Sport" durch die Verbände seine eigenen Regeln bestimmt. Offenbar besteht die Absicht, dem Sport staatliche Regeln aufzuoktroyieren, also die Verbände zu entmachten. Dann haben wir einen schönen Politsport, 3. Reich und DDR lassen grüssen. Keine WMs mehr in unliebsamen Gastgeberländern, nur noch NATO-Staaten werden zugelassen. Nein Danke, lasst die Leute bitte ihren Sport treiben. Diese zunehmend totalitären Anmassungen nerven langsam.
Politsport?
Es geht um den Zugang zu ordentlichen Gerichten. Dieses im Grundgesetz verankerte Recht wollen die Verbände "ihren" Sportlern aberkennen. Das hat nichts mit der "Absicht zu tun, dem Sport staatliche Regeln aufzuoktroyieren". Und hier eine Verbindung ausgehend vom 3. Reich zur DDR zu konstruieren ist mehr als abenteuerlich. Wenn in der Bundesrepublik etwas ansatzweise funktioniert, dann ist es die Unabhängigkeit der Gerichte von der Politik. Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung wie Sie da "totalitäre Anmaßungen" erkennen können!
Ja und?
"Das halte ich für eine eklatante Fehldeutung, denn "der Staat" ist ja in den meissten Fällen gar nicht Teil dieser Auseinandersetzungen. "
Der Staat ist auch nicht Teil der Auseinandersetzung, wenn Privater Mieter Müller seinen privaten Vermieter Meier verklagt. Brauchen wir deswegen besondere Mietgerichte, die nur mit Vermietern besetzt sind?
Macht der Verbände geht zurück
Lesen Sie im Text nach, da wird das "Problem" beschrieben, dass immer mehr zivile Prozesse gegen die Verbände geführt werden. Von einer allmächtigen parallelen Sportgerichtsbarkeit, die Sie durch Ihren übertriebenen Vergleich andeuten, kann also nicht die Rede sein. Ganz im Gegenteil, die Macht der Verbände geht mit jeder Niederlage zurück. "Der Staat" könnte also froh sein, dass seine Institutionen immer besser funktionieren.
Und ebenso ist es auch im Mietrecht: Im Rahmen allgemeiner Regeln machen Mieter und Vermieter ihre Abmachungen. Gibt es Probleme, können diese vor Gericht entschieden werden. Ebenso wenig, wie sich "der Staat" hier einmischen sollte, soll er sich auch nicht in den Sport einmischen. Wir brauchen keinen Politsport.
Umgekehrt wird ein Schuh daraus
Der Sport braucht in vielen Bereichen Sonderregeln die nicht unbedingt mit der Rechtsprechung ordentlicher Gerichte vereinbar sind. Beschränkungen für zweite Mannschaften, vorgeschrieben Anzahl von Jugendspielern im Kader, die Möglichkeit Vereine für etwaiges Fehlverhalten mit Strafen zu Belegen. Sowohl Sportler und Vereine unterwerfen sich freiwillig diesem selbstgegebenem Regelwerk. Die Möglichkeit Verbandsrecht zivilrechtlich neu bewerten zu lassen gab es schon immer, neu ist nur dass es durch den zunehmenden Wettbewerbsgedanken und vermutlich auch eigenes finanzielles Interesse auch gemacht wird. Am Ende dieser zunehmenden Eskalationskette bleibt den Verbänden irgendwann nur noch der Ausschluss derjenigen die ihr Verbandsrecht nicht akzeptieren, denn soweit mir bekannt gibt es kein verbrieftes Recht auf Verbandsmitgliedschaft. Wem das Regelwerk das man sich im Verband gibt nicht passt kann ja dann einen eigenen aufmachen.
Wirklich?
"Sowohl Sportler und Vereine unterwerfen sich freiwillig diesem selbstgegebenem Regelwerk."
Ich habe starke Zweifel, ob sich Sportler diesem Regelwerk (z.B. dem grundrechtswidrigen NADA-Code) wirklich freiwillig unterwerfen. Sie haben doch keine andere Wahl, denn wenn sie es nicht tun, haben sie keine Chance auf eine Olympia-Teilnahme.
Es wundert mich wirklich, dass noch kein Sportler dagegen geklagt hat, dass er für die NADA völlig gläsern ist, weil er extrem enge Meldepflichten zu erfüllen hat, die nicht mal für Straftäter auf Bewährung durchsetzbar wären.
Lex Volkswagen
VW investiert erhebliche Summen in die Liga und der DFB, in der Außendarstellung zwar immer um Seriösität bemüht, malt eine Regelung nach Vorgabe VWs(?) in die Statuten. Bayer sollte man auch nicht vergessen in der ganzen Sache. Damit macht man sich einfach völlig unglaubwürdig, aber mit dem jetzigen DFB Präsidenten ist wohl keine Änderung zu erwarten. Man kann nur hoffen, dass gegen dieses Modell geklagt wird bzw. VW selber erkennt dass der Marketingeffekt sich auch drehen kann. Mir wird auf jedenfall die Marke VW sehr unsympathisch mittlerweile...