Michael Vesper sah schlecht aus. Kleine Augen, belegte Stimme, es muss eine kurze Nacht gewesen sein, diese Nacht nach dem überraschenden Olympia-Nein der Hamburger. "Damit ist das Projekt gestorben", sagte der Generalsekretär des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) im ARD-Morgenmagazin und machte das entsprechende Gesicht dazu. Selbst den obligatorischen Durchhaltephrasen war die Qual anzumerken. "Das Wichtige bei Niederlagen ist, dass man wieder aufsteht", sagte Vesper, ehe er gar noch den alten Dragoslav Stepanović zitierte: "Lebbe geht weider." Ein Spruch, der das untrügliche Zeichen dafür ist, dass es wirklich schlimm steht.
Noch in der Nacht spotteten die ersten, der DOSB müsste sich eigentlich umbenennen. DNOSB, Deutscher Nichtolympischer Sportbund, würde doch besser passen. Es war bereits die vierte gescheiterte deutsche Bewerbung für die Spiele seit den Neunzigern. Berlin 2000, Leipzig 2012 und München 2018 ließ das IOC durchfallen, München 2022 und Hamburg 2024 wurde schon eine Runde vorher gestoppt. Von den Bürgern, die keine Lust hatten auf die teure Party in ihrem Vorgarten.
Drängendere Probleme
Es gab wohl keinen einzelnen Grund dafür, dass die meisten Hamburger doch nicht so Feuer und Flamme für Olympia waren. Das macht die Analyse etwas schwierig. Die Kosten und dass nicht ganz klar war, wie viel Stadt, Land oder Bund hätten zahlen müssen, waren sicher ein Grund. Eine große Rolle spielte wohl auch die Angst vor dem Terror. Paris kam zur Unzeit, könnte man, wenn es nicht so pietätlos wäre, sagen. Hinzu kommen die Flüchtlinge, die einigen Menschen wohl gezeigt haben, dass es drängendere Probleme gibt, als ein rauschendes Sportfest zu feiern.
Die Entscheidung ist vor allem eine Backpfeife für die Sportverbände und Funktionäre. Die Herren Blatter, Platini, Beckenbauer, Niersbach, Diack und Coe haben als unfreiwillige Testimonials für die Nolympia-Bewegung ganze Arbeit geleistet. Das IOC bekommt zum wiederholten Male von Demokraten gesagt: Wir wollen euch nicht! Doch man muss kein Utopist sein, um vorherzusehen, dass bei den Männern um Thomas Bach ein Lerneffekt auch dieses Mal ausbleiben wird.
Steuergeld für Spitzensport?
Im Unbehagen gegenüber den Sportfunktionären steckt aber auch eine Stimmung, die für den Spitzensport im Ganzen gefährlich werden könnte. Hier und da, auch in den Kommentaren unter unseren Olympiatexten, ist ein Unwille zu erkennen, Spitzensport weiter mit Steuergeld zu alimentieren. Die Fragen sind: Wozu brauchen wir Goldmedaillen? Und wer soll sie bezahlen?
Die Fragen sind deshalb wichtig, weil es Michael Vesper und seinem DOSB-Präsidenten Alfons Hörmann gar nicht so sehr um Hamburg ging. Die Chancen, sich vor dem IOC gegen Paris, Los Angeles, Budapest und Rom durchzusetzen, waren gering. Zumal sich auch der DFB um die Fußball-EM 2024 bewirbt: Zwei Großereignisse in einem Jahr – unrealistisch. Das wussten die Olympiafunktionäre, ihnen war etwas anderes wichtig.
Sie wollten mit der Hamburger Bewerbung in der Tasche neue Geldtöpfe auftun. Denn der Spitzensport wird in Deutschland gerade umgebaut. Die beiden letzten Olympischen Spiele in London und Sotschi waren medaillentechnisch eine mittlere Katastrophe, und das soll anders werden. "Wir wollen heute einen Weg beginnen, der die Sportnation Deutschland wieder zurück in die Weltspitze der anderen Nationen führt. Da, wo wir waren, und da, wo wir nach unserer Auffassung hingehören", sagte der für den Sport zuständige Bundesinnenminister Thomas de Mazière nach einer Strategiesitzung im März.
Wer will sich bei Heimspielen schon blamieren?
Ein Weg, der nicht umsonst zu haben ist. Vesper und Hörmann blitzten zuletzt ab, als sie beim Bund nach mehr Geld fragten. Mit einer Olympiabewerbung hätten sie eine bessere Ausgangsposition gehabt. Dann wäre Spitzensport noch wichtiger geworden, wer will sich schon bei Heimspielen blamieren? Auch die Briten öffneten vor den Spielen von London das Portemonnaie, Großbritannien wurde hinter China und Russland die dritterfolgreichste Nation. Listig auch: Die Hamburger Bewerbung war für 2024 und 2028 gedacht. So hätte man auch bei einer Absage des IOC für 2024 vier weitere Jahre auf einen Zuschlag hoffen können, inklusive der Aussicht auf mehr Geld. Mit Blick auf Hamburg sprach Hörmann von einer Erhöhung der Sportförderung "im deutlich zweistelligen Prozentbereich".
Kommentare
Ja, es ist ein Votum gegen Geldverschwendung und gegen korrupte Organisationen. Doch ich sehe darin auch ein bischen die Rache des "kleinen Mannes", der sich ebenso wie die sogn. "Wut-Bürger" von den selbsternannten "Machern" hier im Land im stich gelassen fühlen.
Die dt. Elite versteht natürlich nicht so recht was los ist.
Sehe ich ähnlich.
Leider befürchte ich jedoch, dass dieser Erfolg sich noch als negativ erweisen wird. Führt er der Elite doch vor Augen, dass deren Interessen in Volksentscheiden keine Mehrheit erlangen können. Warum sollte man also künftig auf mehr Bürgerbeteiligung setzen, anstelle das wie bisher im stillen Kämmerlein zu regeln..?
Bitte nicht falsch verstehen: Die Entscheidung für NOlympia war trotzdem absolut richtig!
Ich weiß ja nicht - aber für mich und meine Gefühle zu meinem Heimatland muss keiner Medallien gewinnen. Ich würde Deutschland schon geiler finden wenn es hier sozial gerechter zuginge und die politisch Verantwortlichen sich endlich mal um die Probleme der Wähler statt um ihre Altersvorsorge ( a.k.a. Vorstandsposten nach der Legislatur etc. p.p.) kümmerten.
Im übrigen, was bringen denn die Spiele für die betroffenen Städte und Gemeinden?In der Regel teuer zu unterhaltende Investitionsruinen und eine ordentliche Verknappung evtl. jetzt noch günstigen Wohnraums durch Viertel die für Olympia aufgehübscht werden plus Schulden die noch die nächste Generation abzahlen darf für ein paar Wochen "Turnfest".
Klar, wenn keine Medaillen gewonnen werden,
dann geht es gleich sozial gerechter zu...
Das leuchtet ein.
- Da werden die verschiedensten Themen gut durchmischt und durcheinandergewürfelt!
Ich bin auch für soziale Gerechtigkeit und gegen Hartz IV. Was hat das aber mit Sport zu tun?...
Warum machen wir überhaupt noch mit?
Wir können doch zu allem Nein sagen...
(Ironie...)
Panorama,
ich befürchte, in Deutschland gibt es viele Menschen, die grundsätzlich nur noch NEIN sagen und das aus einer begrenzten Sicht mit der Ökonomie begründen oder - was ihnen dann noch häufiger ist - die Schuldigen für alles in der Politik, bei den Unternehmern oder den Eliten sehen.
Optimismus für eine gelingende Zukunft geht anders.
Olympia ist genau wie der Weltfussball ein Tummelplatz der Korruption. Und Herr Bach ist ganz sicher eine genauso dubiose Gestalt wie der Sepp. Alleine schon aus diesem Grund kann ich das Nein der Hamburger Bürger völlig verstehen. Ich hätte genauso votiert. Es gibt keine ehrlichen und sportlichen Spiele mehr. Nur noch Pfizer gegen Merck, Russland gegen China (bzw andere Dopingnationen). Es geht nicht mehr um die Sportler oder den Sport per se. Die Sportler sind nur noch Marionetten.
Also was sollen solche Veranstaltungen noch? Wem nützen sie? Dem ego irgendwelcher despotischen Staatschefs, die mit diesen Veranstaltungen ihr angekratztes Image aufpolieren wollen (siehe China, Russland, Kasachstan, usw).
Ich teile durchaus ihre Diagnose. Hinter Ihrer retorischen Frage "Also was sollen solche Veranstaltungen noch?" scheint sich aber die Vorstellung zu verbergen, dass Steuergeld für Spitzensport unter anderen Rahmenbedingungen (ohne Korruption und Doping) eine gute Idee sein könnte (oder mal war).
Da bin ich anderer Meinung. Von einem staatlichen "Rüstungswettlauf" um die besten Sportler (egal ob mit Doping oder legalen Mitteln) hat niemand etwas. Ein sportlicher Wettkampf ist genauso unterhaltsam, wenn einfach die besten Amateuere (oder Leute, die freiwillig von irgendwem bezahlt werden) sich messen.
Wenn unbedingt nationale Angeberei sein muss, dann kann man doch besser darum wetteifern, zuerst eine Mission zu irgendeinem Himmelskörper zu schicken (allein die ganzen Jupitermonde, auf denen noch kein erster Rover gelandet ist...). Das bietet sogar die Chance auf länger anhaltenden Ruhm (auch die besten Sportler sind i.d.R. nach ihrer Karriere oder spätestens nach einer Generation vergessen) und die Beteiligten erwerben auch ein gewisses Maß an praktisch nützlichen Fähigkeiten.
Auch was die Wirkung als Vorbild angeht, scheinen mir Prestigeprojekte im Bereich Wissenschaft/Technik hilfreicher als gerade beim Sport.