Wenig kann ein Land so einen wie ein Sportstar. In Österreich waren es oft die Skihelden, die die Nation mit Stolz erfüllten – und Toni Sailer war stets einer der Größten.
Als der Kitzbüheler bei den Olympischen Spielen 1956 in Cortina d’Ampezzo gleich drei Goldmedaillen gewann, stieg er zum Liebling der Massen auf. Im selben Jahr wurde er vierfacher Weltmeister, der "schwarze Blitz aus Kitz" gewann Rennen um Rennen. Nur zwei Jahre später beendete er seine Sportlerkarriere. Seinem Ruhm tat das keinen Abbruch. Er spielte in Filmen mit, wurde als Frauenschwarm bewundert und war 20 Jahre lang Rennleiter in Kitzbühel. Er war eine Legende. Im Jahr 2009 starb Toni Sailer, seine Beerdigung wurde zu einem Massenereignis.
Seit dieser Woche wackelt Sailers Podest, auf das ihn die Sportnation gestellt hat. Die Tageszeitung Der Standard, die Rechercheplattform Dossier und der ORF berichten, dass Sailer im März 1974 im polnischen Zakopane in einem Hotelzimmer eine Frau misshandelt haben soll. Zwei für eine italienische Skischuhmarke arbeitende Jugoslawen hätten den bereits alkoholisierten Sailer zuvor auf ihr Zimmer im Hotel eingeladen, wo sich der Vorfall ereignet habe. Die Frau, eine damals 28-jährige Nebenerwerbsprostituierte, sagte aus, sie sei vergewaltigt worden. Sie wurde in einem Krankenhaus behandelt und die Verletzungen sollen so schwer gewesen sein, dass der diensthabende Arzt Anzeige erstattete.
Sailer sei "eine Falle" gestellt worden
Von der Anzeige blieb wenig übrig, die österreichische Bundesregierung unter SPÖ-Kanzler Bruno Kreisky intervenierte. Niemand hatte ein Interesse daran, einen Volkshelden hinter Gittern zu sehen. Am Ende war man erfolgreich: Aus "Rücksicht auf Mangel an gesellschaftlichem Interesse" wurde das Verfahren eingestellt. Toni Sailer beteuerte stets seine Unschuld, ihm sei "eine Falle" gestellt worden.
Die Medien bekamen trotzdem Wind von der Geschichte, mehrere Kurzmeldungen erschienen und im Jahr 1975 erschien noch einmal im Magazin Stern ein Artikel dazu. "Nun soll endlich Gras wachsen über Zakapone", schrieb die Tageszeitung Kurier damals.
Kolumne zur Causa #Sailer aus dem Jahr 1975. #Festhalten pic.twitter.com/2vsPb9CF1Z
— yvonne widler (@YvonneWidler) 18. Januar 2018
Gesagt getan. Das große Vergessen begann prompt. In Biografien über Sailer kommt die Episode nur am Rande vor, auch in zahlreichen Fernsehdokumentationen wird sie nicht erwähnt. Und als er im Jahr 1999 zum Jahrhundersportler gekürt wurde, war keine Rede von dieser Episode. Bis vor zwei Tagen die neuen Recherchen veröffentlicht wurden, die vor allem die Intervention der österreichischen Regierung genauer beleuchten. Das Opfer konnten die Journalisten nicht mehr ausfindig machen, die Frau könnte verstorben sein.
Der mächtige Österreichische Skiverband (ÖSV) muss sich seit Monaten mit Missbrauchsvorwürfen herumschlagen. Die frühere Skifahrerin Nicola Werdenigg war die erste, die im vergangenen Jahr von Übergriffen und Vergewaltigungen im Skizirkus berichtete. Der ÖSV drohte ihr in einer der ersten Reaktionen mit Klage – was allerdings rasch zurückgezogen wurde. Es folgte eine Welle an Enthüllungen – nicht zuletzt über Misshandlungen und Missbrauchsfälle in den sagenumwobenen Ausbildungszentren des Wintersportnachwuchses.
Auch im Fall von Toni Sailer reagierte der Skiverband verschnupft. Das sei "keine ÖSV-Geschichte, das war nur eine Geschichte von Toni Sailer", sagte der Generalsekretär Klaus Leistner.
Kommentare
"Wenig kann ein Land so einen wie ein Sportstar."
Freitag ist Floskeltag!?
Brot und Spiele.
Oh mein Gott. Jetzt auch noch der Toni. Nimmt das denn überhaupt kein Ende mehr? Es gibt ja kaum noch Männer die nicht belästigt haben.
Korrektur: Die beschuldigt werden
Vergewaltigung gehört zu den schlimmsten Dingen, die ein Mensch einem anderen antun kann.
Ob eine Vergewaltigung vorlag, sollten aber ausschließlich Gerichte entscheiden.
ja, danke fuer dieses geraeusch. eine bereicherung.
Zitat: Ein Kolumnist der Krone schrieb: "Was da vor 44 Jahren in einem schmuddeligen Hotelzimmer einer polnischen Prostituierten, Pardon: einer Nebenerwerbsprostituierten, widerfuhr, ist mir komplett wurscht." Und ein Medienbranchendienst griff die Reporter an, die sich durch die Akten wühlten. Sie seien eine "Schand-Journaille" und es sei "ein erbärmliches Land, das solche Journalisten hervorbringt".
Erbärmlich.
Also erbärmlich das Land, das solche Journalisten (der Kolumnist und die Mitarbeiter des Medienbranchendienstes) hervorbringt.