"Warum man sich das antut?" fragt Olaf Jann. "Im Kern sind wir Leute, die über viele Jahre hoch motiviert dabei sind. Wissenschaftler, die besonderes Interesse daran haben, Lehre und Forschung zu betreiben, und die das offensichtlich nicht des Geldes wegen machen. Wir kriegen ja kaum was dafür."
Olaf Jann ist einer von 76.773 Lehrbeauftragten an deutschen Unis, die das Statistische Bundesamt 2010 zählte. Die meisten von ihnen verfolgen wie Jann eine akademische Laufbahn. Sie promovieren, habilitieren oder sind bereits als Privatdozenten tätig. Der Lehrauftrag verpflichtet zu mindestens zwei Stunden Seminar pro Woche. Doch das ist längst nicht alles. Dazu kommen Vor- und Nachbereitung, Sprechstunden, Korrekturen von Semesterarbeiten, oftmals Prüfungsleistungen und Betreuungsaufgaben. Dafür erhalten sie, wenn ihr Auftrag überhaupt vergütet wird, ein einmaliges Honorar von durchschnittlich 500 Euro pro Semester. "Faktisch bringt man Geld mit", sagt Jann.
Viele der Lehrbeauftragten sind bereits über 40 Jahre alt und haben mitunter 20 Jahre in ihre akademische Ausbildung investiert. An den Hochschulen zählen sie zum nebenberuflichen Personal. Als Selbständige mit Honorarvertrag sind sie keine Mitglieder der Hochschule. Sie haben kein Wahlrecht und keine Interessenvertretung. Den Hochschulen entstehen so keine Sozialversicherungskosten. Offiziell sind Lehrbeauftragte nicht berechtigt, universitäre Bibliotheken, Arbeits- oder Besprechungsräumen zu nutzen. In der Mensa zahlen sie die höchste Preisklasse. Sie sind Gäste.
Forscher der Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) attestieren in ihrer Studie Wissenschaftliche Karrieren von 2010 den Lehrbeauftragten generell einen starken Eigenantrieb. Problematisch, so die Forscher, sei allerdings, dass dadurch soziale Aspekte in den Hintergrund treten. "Es herrscht eine defensive Bereitschaft vor, sich irgendwie mit den Gegebenheiten abzufinden", sagt Olaf Jann. "Es ist tatsächlich so, dass man gegen die Etikette verstößt, wenn man über die Situation redet. Soziale Probleme gibt es vielleicht draußen in der richtigen Welt, aber in der akademischen ist man selbst dafür verantwortlich." Jede prekäre Beschäftigung in Deutschland würde ernster genommen als die vor der eigenen akademischen Haustür, findet Jann.
Er selbst brach ein Tabu. Im Vorwort seiner 2007 erschienenen Dissertation benannte er die Missstände. Lehraufträge würden "von Semester zu Semester neu erkämpft" und "im besten Fall mit (beschämend niedrigen) Lehrvergütungen" abgegolten. Er habe sich als "wissenschaftliche Ich-AG" ohne Förderung durchschlagen müssen und sich als "prekarisierter Intellektueller" gefühlt, schrieb er. Bis zu fünf Lehraufträge pro Semester hat Jann an verschiedenen Universitäten gleichzeitig bewältigt, um seinen Lebensunterhalt zu sichern und seine Doktorarbeit schreiben zu können.
"Der Lehrauftrag wird heute völlig anders genutzt als ursprünglich gedacht", sagt Matthias Neis von der Gewerkschaft ver.di. Eigentlich waren Lehraufträge Zusatzangebote, die die grundständige Lehre bereichern sollten. Die lehrenden Praktiker gingen andernorts ihrer Hauptbeschäftigung nach. Die aktuellen Hochschulrahmengesetze der Länder, die mittlerweile sehr unterschiedlich ausfallen, verlangen hingegen nur in anwendungsbezogenen und künstlerischen Studiengängen Berufserfahrung. Die jüngste Umfrage des Deutschen Hochschulverbands (DHV) Struktur des wissenschaftlichen Personals an Universitäten stellt fest: "Da Not erfinderisch macht, stehen manche Lehrbeauftragungen unter dem Verdacht, eigentlich Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern vorbehaltene Lehraufgaben für wenig Geld zu delegieren."
Die Zahl der Lehrbeauftragten verweist auf ein problematisches Sparprogramm. Um 40 Prozent ist die Zahl der Lehrbeauftragten in den vergangenen zehn Jahren gestiegen, was angesichts der steigenden Studierendenzahlen nicht verwundert. "Allerdings hat sich die Zahl der Professuren im selben Zeitraum praktisch nicht verändert", sagt Andreas Keller von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). "Das heißt, wir können von einer Verlagerung der Lehre weg von den regulären Professuren hin zu den prekären Lehrbeauftragten sprechen."
Kommentare
treffende Wiedergabe der Verhaeltnisse
Dem Artikel kann ich nur zustimmen. Ich selber war mit den Verhaeltnissen an meinem Institut, bzw. Abteilung zufrieden (Pharmazie).Ich war Vollzeit beschaeftigt und auch sonst waren die Rahmenbedienungen zufriedenstellend (Ausstattung, Betreuung). Ich habe aber genug gekannt, die sich den ueblichen Spielregeln unterworfen haben. Zum Beispiel als Halbtagesstelle eingestellt werden, aber natuerlich ganztags arbeiten, sich selber um diverse Stipendien oder Projekte kuemmern,usw...Diese Verhaeltnisse waehrend der Doktorarbeit sind nicht neu, neu ist hingegen die Tatsache, das es auch nach der Doktorarbeit kaum eine Perspektive im Hinblick auf eine akademische Karriere gibt.
Es ist das sogenannte Outsourcing,
dass aus der Wirtschaft ja schon seit längerem hinlänglich bekannt ist. Und es ist damit auch nur die konsequente Weiterführung der Wirtschaftsmetapher im Bildungssystem. Leider. Man spart sich Sozialversicherungsausgaben und generell die Nachteile (also die Kosten) eines Beschäftigungsverhältnisses auf Seiten der Uni, greift aber zu, wenn es darum geht diese Arbeitskraft zu nutzen: Prüfungen, Administration usw. Man verkennt, dass Bildung zwar ein Gut aber dennoch kein Produkt ist, auch wenn sie sich verkaufen lässt. Ich nehme an, die Universitäten befinden sich dabei auch unter Druck. Gelddruck, verursacht von politischen Fehlentscheidungen. Wer kein Geld hat, muss sparen. Denn: Wer sich nicht lohnt, wird abgebaut. Die Unis geben diesen Druck weiter und müssen darüberhinaus die Sache medial beschönigen, damit ihr Ruf (auch so ein Produkt) nicht leidet. In diesem System befinden sich alle in der Zange. Die Uni, die Mitarbeiter, am Ende die Studierenden.
Wann investieren wir (und damit meine ich diesen Staat) endlich wieder in die Bildung und zwar nicht aus der Portokasse sondern auch aus der Kriegskasse?
Akademisches Prekariat = Armutszeugnis
Ich habe das Gefühl, den Artikel schon einmal gelesen zu haben. Leider hat sich an der Thematik wenig geändert. Als Studentin mit vielversprechenden Noten und ehemals wissenschaftlichen Ambitionen werde ich wahrscheinlich nicht an der Uni bleiben. Es ist noch viel zu früh für mich, Entscheidungen in diese Richtung zu treffen, schließlich ist zunächst der Bachelor-Abschluss mein Ziel, aber die wissenschaftliche Karriere erscheint mir im Moment als zu risikobehaftet.
Die deutsche Wissenschaftslandschaft darf nicht nur für Idealisten attraktiv sein.
guter kommentar, plunder, der mir vor allem eines sagt:
der unterschied zwischen dem akademischen präkariat und dem nicht-akademischen ist der, daß die akademiker immer noch anderswo hin könnten, wenn sie denn wollten.
auch ich habe mich aus diesem grunde gegen eine promotion entschieden.
was folgte, machte mich gewiss nicht reich, doch konnte ich mit einem gefühl der sicherheit durchs leben gehen. und das ist die akademische bildung mit sicherheit wert.
doch nicht jeder kann studieren, aus welchen gründen auch immer. diese leute haben es etwas schwerer.
Einfach Zahlen
Wir haben an meinem Institut etwa 30% mehr Stunden laut Studienordnung zu leisten, als etatmäßig von den Angestellten (Professoren und Mitarbeitern) zu erbringen sind. Ein Viertel der Lehre läuft also etwa über Lehrbeauftragte, und die erste Frage bei jedem, JEDEM Vorschlag für Lehraufträge in der Konferenz lautet: Müssen wir dafür zahlen? Gibt es eine_n die_der es umsonst macht, kriegt sie_er es. Ich würde sie wenigstens gerne bezahlt sehen, anständig am besten. Es ist ja noch nicht mal so, daß man sagen kann: Jetzt ist es kompliziert, aber in drei Jahren hast Du eine Vollstelle, da kommt alles wieder rein ... Ich weiß nicht, ob ich mir das selber heute nochmal antun würde.
Th.R.