"Es ist ein hart umkämpfter Markt, in den Ihr als Nachwuchswissenschaftler einsteigt!" Mit diesen Worten begrüßt Philipp Mayer meist seine Seminarteilnehmer. "Ihr seid Unternehmer, die auf diesem Markt ihre Publikationen unterbringen müssen." Die Zuhörer des freien Trainers sind nicht etwa junge Existenzgründer, sondern Promovenden der Dahlem Research School, unter deren Dach sich Promovenden der Freien Universität Berlin jenseits ihrer Fächer weiterbilden. Ihr Geld verdienen sie nicht mit satten Verkaufszahlen, sondern mit Erkenntnisgewinn. Ziel des Seminars ist eine Art Businessplan: Eine Strategie, um möglichst schnell möglichst viele Veröffentlichungen in möglichst angesehenen Fachzeitschriften unterzubringen.
Für junge Wissenschaftler ist die Länge ihrer Publikationsliste entscheidend, und zwar immer dann, wenn sie sich um eine Stelle als Post-Doktorand, eine Juniorprofessur oder um Fördermittel bewerben. Immer mehr Graduiertenschulen in Deutschland reagieren darauf und bieten für ihre Promovenden entsprechende Trainings an. "Die Persönlichkeit eines Forschers reduziert sich quasi auf die Liste der Veröffentlichungen", erklärt Philipp Mayer.
Der Trainer sieht das durchaus kritisch: Soziale Kompetenz, unvorhersehbare Hürden bei den Laborversuchen oder bei der Feldforschung würden völlig ausgeblendet. Es ist eine Welt des vermeintlich Messbaren, in der sich die Nachwuchswissenschaftler – vor allem in den Naturwissenschaften – bewegen: Der "impact factor" gibt Aufschluss darüber, wie oft eine Fachzeitschrift zitiert wird, der "personal impact factor" ist das Pendant auf Ebene des Wissenschaftlers.
Wachsende Zahl an Papers auf dem Markt
Philipp Mayer ist promovierter Forstwissenschaftler und im Kampf um Veröffentlichungszahlen erprobt. Mit einem seiner ersten Artikel vor rund zehn Jahren fing er sich eine harsche Ablehnung ein: Keine neuen Erkenntnisse und über weite Strecken unverständlich, so das Urteil der Herausgeber, von denen er gehofft hatte, dass sie seine Forschungsergebnisse veröffentlichen würden. Doch seitdem habe der Druck stark zugenommen, sagt Mayer. "Kaum ein Doktorand in den Naturwissenschaften promoviert noch mit einer Monographie, stattdessen promovieren sie kumulativ, müssen also während der Promotionsphase zwischen zwei und vier Artikel zu ihrem Thema publizieren." Das Angebot an Papers steigt, während sich die Nachfrage seitens der Journals kaum verändert hat.
"Es gibt unter den angesehenen Journals nur wenige, deren Ablehnungsquote unter 50 Prozent liegt", sagt Mayer. Dazu kommt, dass manche Herausgeber bis zu anderthalb Jahre brauchen, um ein Paper zu prüfen. Doch erst nach einer Ablehnung kann der Promovend es bei einer anderen Zeitschrift versuchen. Entscheidend sei deswegen, schon bei der Auswahl der angestrebten Journals strategisch vorzugehen, sagt Mayer.
Kommentare
WAHNSINN
Immer mehr immer leichtgewichtigere Publikationen.
Immanuel Kant publizierte jahrelang so gut wie nichts und kam dann mit gewichtigen Werken, die uns noch heute in Atem halten.
FRAGEN:
1. Wer schreibt heute noch über VIELE Jahre EIN gewichtiges Werk?
2. Wer interessiert sich dafür? Streckt z.B. die ZEIT ihre Fühler nach derart Ungewöhnlichem aus oder verfällt sie auch schon dem Diktat des schnellebigen Kurztextes.
3. Was wird aus unserer Wissenschaft?
4. Denkt in Politik, Wirtschaft und presse noch jemand in großen Zusammenhängen und langen Zeiträumen? Oder werden wir von Sekundenhoppern verheizt?
Eine mehr als nur bedenkliche Entwicklung.
Die heranwachsende Generation von Wissenschaftlern sollte sich diesem Unsinn verweigern und nicht dazu angehalten werden, sich "strategisch" dahingehend zu positionieren, wie die meisten Aufsätze aus dem Hirn zu quetschen sind.
Paper 1: "Ich habe gestern einen Parameter verändert. Kein signifankter Effekt (p>.05)."
Paper 2: "Ich habe gestern den Parameter noch einmal verändert. Immernoch kein signifikanter Effekt (p>.05)."
Wenn dieser Unsinn sich irgendwann zumindest nicht mehr verschärft und im Zuge dessen die Journals mit hohem "impact factor" an strategischer Bedeutung verlieren werden die großen Verlage auch weniger daran verdienen, indem sie den Wissenschaftsbetrieb zu Grunde richten.
Wissenschaft als Markt?
und der Forscher als Unternehmer an diesem Markt ist aus meiner Sicht mit der Idee der Wissenschaft schwer vereinbar. Wissenschaft setzt eine gewisse Gründlichkeit und Langfristigkeit voraus d.h. wenn man das als Markt organisieren wollte, dann müsste auch dafür Raum geschaffen werden.
Hinzu kommt, dass gerade viele großartige Wissenschaftler sensible Personen sind, die leicht überfordert sind wenn sie nebenbei noch Verwaltungskram und Selbstvermarktung betreiben müssen und sich ständig über ihre Existenz sorgen machen. Schaut euch doch normale Wissenschaftler (nicht die Medienhopper unter der Zunft) mal ehrlich an. Das sind (außer vielleicht in den zu Recht kritisierten Wirtschaftswissenschaften) idR nicht die smarten, harten Anwälte und Unternehmensgründertypen. Das sind ganz oft sensible, detailversessene, zT auch wenig sozialkompetente Perfektionisten. Aber gerade als Wissenschaftler können diese Menschen auch unglaublich gewichtige Beiträge für die Menschheit bringen. Wir müssen Räume schaffen, wo wir auch die Potentiale dieser Menschen nutzen können. Allein schon aus volkswirtschaftlichen Gründen denn die auszusieben und ihre Potentiale zu vergeuden ist höchst ineffizient.
Ich glaube das Hauptproblem ist einfach, dass wir kaum sensible Spitzenpolitiker (mehr?) haben und insofern in der Politik das Verständnis für diese Problematik schlicht fehlt. Dabei ist eine gewisse Sensibilität für Menschen in verantwortlichen Positionen sehr wichtig.
Ich möchte ich noch hinzufügen
es ist nicht nur in der Politik so, dass sensible Personen in unserer Kultur konsequent ausgesiebt werden. Auch zB bei Ärzten bräuchte man ganz dringend sensible Personen weil die individuelle Betreuung des Menschen ähnlich wichtig ist wie das richtige Medikament. Aber was wird im Studium gemacht? Knallhartes auswendig lernen und aussieben das ist nur was für die ganz harten. Als ob man so ein guter Arzt wird. So häuft man halt viel Wissen an. Bei Richtern liegt es ganz ähnlich. Man muss sich nicht wundern falls die Gesellschaft zunehmend verroht wenn man so einseitig die Elite auswählt.
Sensiblere Menschen sind ja nicht weniger wert sie glänzen nur unter etwas anderen Bedingungen so funktioniert Evolution. Ist bei Tieren im wesentlichen genauso.
"personal impact factor"
...diesen angesprochenen factor gibt es nicht bzw. leider nicht richtig. Was üblicherweise gemacht wird ist die journal impact factors der eigenen Arbeiten zu addieren. Das ist m.E. oftmals unnütz. Leider sagt der IF eines journals nichts über die Zitierungen einer Arbeit, die im journal erschienen ist- sondern nur über den Mittelwert ALLER im Jahr erschienenen paper. Interessanter wäre es die Zitierungen des einzelnen papers zu analysieren- das würde in etwa was über Qualität, Neuwert aussagen. Aus eigener Erfahrung zwei Beispiele:
Publikation 1 in einem journal mit IF 7 aber Artikel-IF 22
Publikation 2 Journal-IF 5 Artikel IF 3
..die Möglichkeiten sowas zu berechnen existieren- nur wird das nicht verfolgt- denn dann würde nicht das Prestige des journals entscheiden, sondern die tatsächliche Qualität der eigenen Arbeit :-)
personal impact factor
Natürlich gibt es den: es ist Zahl der Zitate die die Publikationen eines Wissenschaftlers bekommt. Und der pIF ist klar aussagekräftiger als der Zeitschriften-IF, der keinerlei Aufschluss darüber zulässt, wie oft eine einzelne Arbeit zitiert wird.
Widerspruch
Der Artikel strotzt nur so vor Falschaussagen und Trivialitäten.
Nicht die Länge der Publikationsliste sondern die Reputation der wissenschaftlichen Zeitschriften in denen veröffentlicht wurde ist entscheidend für die weitere Karriere. Merke: die Reputation des Mediums und nicht unbedingt die Qualität der Ergebnisse. Eine lange Publikationsliste ohne Publikationen aus der Nature-, Cell-, Science-Liga lässt heute den Kandidaten bei den meisten Berufungsverhandlunen gnadenlos scheitern. Wenn der erfolgreiche Kandidat nicht ohnehin von vornherein feststeht. Man beachte die Publikationslisten kürzlich berufener Emmy-Nöther Nachwuchsgruppenleiter oder Helmholtz Young Investigators, etc.
Jedes ernstzunehmende naturwissenschaftliche Journal hat Ablehnungsquoten von mehr als 50%. Dies reflektiert vor allem die nach unten offene Qualatitätsskala dessen, was ihnen als Manuskript angeboten wird. Ansonsten sind die im Artikel erwähnten Tipps des Seminarleiters doch eigentlich Selbstverständlichkeiten. Wem noch gesagt werden muss, dass der Artikel zum Fachgebiet der Zeitschrift passen muss hat eigentlich in der Wissenschaft nichts verloren.
Und dass fast alle (oderauch nur die Mehrheit der) naturwissenschaftlichen Doktoranden kumulativ promoviert ist einfach falsch. An vielen Unis erlaubt die Promotionsordnung dies gar nicht. Oder die Anzahl benötigter Publikationen ist so hoch, dass sowieso kaum jemand die erreicht.
Liebe Frau Zauft, erst informieren, dann schreiben!
Zahlen
An dieser Stelle ein Einwurf zur (schwierigen) Datenlage:
Nach Angaben der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) lassen inzwischen 33 Prozent der Fakultäten kumulative Promotionen zu (das bezieht sich auf alle Hochschulen, die ihre Daten für den Hochschulkompass der HRK melden: http://www.hochschulkompa...). Hier ist eine deutliche Zunahme zu erkennen, denn 2007 waren es mit zwölf Prozent noch weniger als halb so viel: http://www.zeit.de/2007/4...
Verlässliche Zahlen darüber, wie viele der Promovierenden derzeit kumulativ promovieren gibt es meines Wissens leider nicht (generell ist die Datenlagen zu Promovierenden mager: http://www.zeit.de/2009/2....)
Aufschlussreich könnten aber in Zukunft die Ergebnisse des Promovierendenpandels ProFile des Forschungsinstituts iFQ sein: http://www.forschungsinfo....
Derzeit wird auch hier nur denjenigen die Frage zur kumulativen Promotion gestellt, die ihre Promotion bereits abgeschlossen haben, das sind 722 Befragte. Unter den befragten Lebenswissenschaftlern sind es 26 Prozent, unter den Naturwissenschaftlern 22 Prozent und unter den Ingenieurwissenschaftlern 14 Prozent, die bereits kumulativ promoviert haben.
Angesichts der schwierigen Datenlage bleibt derzeit nur, sich auf die Einschätzung der "Insider" zu stützen. Und der Trend hin zur kumulativen Promotion wird auch bei HRK und CHE beobachtet.