Das Steuerparadies in unseren Köpfen – Seite 1
Im Jahr 1982 titelte das Wirtschaftsmagazin Impulse: "Wo der Fiskus noch bescheiden ist – 12 Steueroasen, die Sie kennen sollten". Im Text erklärt das Magazin seinen Lesern, "welches Land welche Steuervorteile gewährt". Auch die FAZ beschrieb 1983 "Die Steuer-Oase Cayman-Islands". Es gebe dort einen "attraktiven" und "exotischen" Finanzplatz für Banken und Versicherungen.
Der Begriff der Steueroase wird noch immer gebraucht. Er findet sich im Moment in vielen Reden und Texten und Überschriften, auch bei ZEIT ONLINE. Niemand würde ihn hingegen noch so positiv verwenden wie die Wirtschaftszeitungen in den achtziger Jahren. Und so ist die "Steueroase" ein gutes Beispiel dafür, wie Begriffe gewisse Haltungen transportieren und wie sich diese Haltungen wandeln können.
"Was jemand willentlich verbergen will, sei es vor anderen, sei es vor sich selber, auch was er unbewusst in sich trägt: Die Sprache bringt es an den Tag", schrieb Victor Klemperer einst in sein Notizbuch eines Philologen. In ihm erforschte er die LTI, die Lingua Tertii Imperii, die Sprache des Nationalsozialismus. Klemperers Idee gilt bis heute universal: Sprache verrät immer etwas über den Sprecher, in Worten zeigen sich immer auch Gedanken.
Worte zeigen Haltungen
Es ist eine Frage der politischen Haltung, ob man Steuern als notwendig erachtet, um ein Zusammenleben aller zu ermöglichen. Oder ob man in ihnen eine Last sieht, bei der dem Einzelnen das Geld aus der Tasche gezogen wird, um es Leuten zu geben, die nicht dafür arbeiten mussten.
Der Umgang mit dem Begriff zeigt, wessen Haltung dahinter steht. Das Wort Oase bezeichnet den einzig bewohnbaren Landstrich in einer Wüste. Es entstammt dem griechischen óasis für bewohnter Ort, das wiederum auf das koptische ouahe für Anpflanzung zurückgeht. Nur dort kann also etwas gedeihen, der Rest der Umgebung ist lebensfeindlich. Ein schöner Flecken somit.
In Verbindung mit Steuern wird daraus ein sprachliches Bild. Mitten in der Wüste, in der jeder Euro sofort im Sande des Staates versickert, heißt es, gibt es eine Oase für den armen, goldbeladenen Wanderer, in der er von der Knechtschaft der Steuern ausruhen und unbeobachtet sein Geld zählen kann.
Das impliziert natürlich, dass Steuern knechten. Es gibt Menschen, die das so sehen, und je höher die Steuern, desto eher stimmt die Wahrnehmung auch. Viele andere aber betrachten Steuern als einen Beitrag zum Gemeinwohl. Nebenbei: Steuer kommt aus dem akthochdeutschen stiura und meinte ursprünglich eine Stütze oder Hilfe. Direkt ist das eine Hilfe für den Staat, indirekt aber eine Hilfe für alle.
Steuererhöhungen und reiche Prominente ließen das Bild kippen
Die generelle Stimmung scheint sich in den vergangenen Jahren eher zu diesem Bild hin zu wandeln, wie eben das Wort selbst zeigt. Einst wurde es tatsächlich als schönes Traumbild entworfen, wie die zitierten Texte aus den achtziger Jahren belegen. Steueroasen waren eine Idee des Wirtschaftswunders. Ab den fünfziger Jahren kam der Ausdruck in Mode, bis in die Neunziger nahm seine Verwendung langsam, aber stetig zu. Mehr Menschen hatten Geld, mehr Menschen wollten es nicht komplett versteuern.
Das Gesetz betrachtete Steuerhinterziehung schon immer als Straftat, gesellschaftlich aber wurde es in Deutschland eher als Kavaliersdelikt gesehen. Der Staat hatte noch genug Geld. Zwar waren die Staatsausgaben auch in den Achtzigern schon höher als die Einnahmen, aber der Unterschied war noch nicht so groß wie heute. Steueroase, Steuerparadies, Steuerflüchtling – die Begriffe waren ernst gemeint. Wer sein Geld komplett versteuerte, galt geradezu als dämlich. Jede Bank, die auf sich hielt, hatte Tipps für gute Kunden parat, wie sie Steuern hinterziehen – Verzeihung – sparen konnten.
Zwischen 1990 und 2000 explodierte die Verwendung des Ausdrucks geradezu, wie Googles Worthäufigkeitsindex Ngram zeigt. Unter anderem, weil der Rennfahrer Michael Schumacher in die Schweiz gezogen war, um weniger Steuern zahlen zu müssen, und weil der Vater von Steffi Graf Millionen vor dem Finanzamt versteckt hatte. Auf dem Höhepunkt zog Boris Becker gar nicht nach Monaco und wollte dort trotzdem sparen. Ein Gericht verurteilte ihn 2002 wegen Steuerhinterziehung. Der Tenor der Überschriften in den Medien änderte sich in dieser Zeit. Nun war eher die Rede davon, dass Steuerhinterziehung den Staat schädigt.
Normalverdiener fühlten sich ausgenutzt
Zwei Phänomene wandelten die Bedeutung des Bildes. Zum einen waren es die reichen Prominente, die wegzogen. Dadurch bekamen Normalverdiener das Gefühl, ausgenutzt zu werden, weil sie solche Wege nicht hatten und zahlen mussten. Zum anderen der teurer gewordene Staat. In den neunziger Jahren musste Deutschland die Wiedervereinigung finanzieren, sie brachte den sogenannten Solidaritätszuschlag und steigende Steuern.
Seit dieser Zeit bekommt der Ausdruck einen immer schlechteren Klang bei politischen Reden und in journalistischen Texten. Zuletzt auch durch das internationale Medienprojekt Offshoreleaks. Das zeigt unter anderem am Beispiel Gunter Sachs gerade exemplarisch, wie verbreitet und selbstverständlich dieses System der Steueroasen lange war und wohl noch immer ist.
Der amerikanische Linguist George Lakoff bezeichnet so etwas als Framing, als Bedeutungswandel. Indem der Sprecher einen Begriff in einem bestimmten Zusammenhang benutzt, kann er ein ganzes Konzept in ein anderes Licht rücken. Die Konnotation, die Wortbedeutung, hat sich gewandelt, sagen Linguisten. Steueroasen sind nichts Positives mehr, der Ausdruck wird nun als Euphemismus verstanden, als eine falsche und verschleiernde Bezeichnung. Weswegen entsprechende Länder inzwischen wohl besser als Steuerverstecke bezeichnet werden sollten. Zumindest aber nicht als Oasen.
Der Autor betreibt zusammen mit dem Linguisten Martin Haase das Blog neusprech.org, in dem sie sich damit auseinandersetzen, wie politische Sprache Meinungen manipuliert.
Kommentare
Das ist
"Mitten in der Wüste, in der jeder Euro sofort im Sande des Staates versickert, heißt es, gibt es eine Oase für den armen, goldbeladenen Wanderer, in der er von der Knechtschaft der Steuern ausruhen und unbeobachtet sein Geld zählen kann."
... ausgesprochen entzückend formuliert.
Man möchte spontan Mitgefühl für die bemittleidenswerten "Steuerflüchtlinge", die in ihren "Steueroasen" finanzielles Asyl gesucht und gefunden haben, bekunden.
Mal direkt zum Anfang
"Wer dort nicht sein Geld hatte, war ein Depp. Jetzt ist Steueroase ein Schimpfwort. Was sagt das über uns?"
"FAZ beschrieb 1983"
"Im Jahr 1982 titelte das Wirtschaftsmagazin Impulse"
Über UNS sagt das nichts aus.
Die Menschen, die FAZ oder sowas lesen denken meistens immernoch fast das Gleiche, außer, dass sie die Bäume, die Grünfläche und ruhige Atmosphäre in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft erhalten wollen.
Genauso wie für Menschen, wie "uns(?)" (alle anderen?), das schon damals ein Verbrechen oder zumindest moralisch verwerflich war.
Dass es so etwas wie Steueroasen gibt ist ein Verbrechen und das war es schon immer.
Ich frage mich übrigens auch, warum man als Populist beschimpft wird, wenn man diese Themen eben heute anspricht.
Eine richtige Meinung ist, wenn sie populär wird, nicht zwangsläufig falsch.
Man kann Menschen nicht dafür bestrafen, dass sie am Rande der Legalität agiert haben. Aber man kann das, was sie gemacht haben ganz einfach verbieten.
Geschafft hat man das nicht einmal bei Hedgefonds etc.
Stattdessen hat man diese Menschen sogar noch belohnt mit den Steuergeldern von ehrlich ihre Steuern zahlenden anderen Menschen.
Und so schließt sich vielleicht der Kreis. Wer heute Steuern zahlt ist wirklich der Depp... Denn die, die es nicht tun, werden von denen die es tun obendrein jetzt noch belohnt.
dAnn wären FAZ-Leser ja Grüne
"Die Menschen, die FAZ oder sowas lesen denken meistens immernoch fast das Gleiche, außer, dass sie die Bäume, die Grünfläche und ruhige Atmosphäre in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft erhalten wollend"
Im Frankfurter Westend , haben nämlich genau die modernen "CayenneGrünen" diese EInstellung.
Egal: Steuern sind für alle diejenigen shclecht, denen sie überproportional abgenommen werden und für diejenigen gut, die vom Staat abhängen..seien sie BEdürftig..(das ist völlig okay und humanistisch geboten) oder Beamte (hierbei wird es moralisch schwieriger , da die VErbeamtung eben falsche Anreize schafft (vergl Allmendinger "Generation Y" ).
Insofern ist der Steuerwettbewerb sinnvoll, um die Staaten ihre STrukturen überprüfen zu lassen und nicht, wie bei uns bald, quasi jeden beim Staat zu beschäftigen. Alles andere ist strikt ungerecht - für diejenigen die die Steuern entrichten.
Gefährlich ist die zunehmende Lust am otium, die BEamtenanwärter an den Tag legen und einfach glauebm ihre Bezahlung falle vom Himmel bzw. lasse sich erzwingen...
Ein Bänker meinte letztens auf den Wunsch eines modernen GenerationY - Jugendlichen, der ja lieber Beamter sei als sich anzustrengen: " es stellt sich die Frage, wer das alles finanzieren wird"...und hier liegt der Knackpunkt
Na ja...
...wenn die Steuereinnahmen sprudeln und sprudeln, oder - um in einer paradiesischen Bildsprache zu bleiben - wie ein Wasserfall mitten im Dschungel über uns hereinbrechen, so dass die Kassen brechend voll werden, vgl. heute
http://www.zeit.de/wirtschaf…
und sich dennoch einige hinstellen, und nach einer Vermögensabgabe rufen, oder einer Vermögenssteuer, obwohl 9 von 10 Nachbarn unseres Landes das nicht tun, oder diese schon längst wieder abgeschafft haben, vgl.
http://de.wikipedia.org/wiki…
der braucht sich nicht wundern, wenn auch hier das Geld und sein Besitz "ab in den Urlaub" möchten.
Überschrift
In meinen Augen ist immer noch jeder, der sein Geld nicht in Sicherheit bringt, ein *Depp*.
Warum Steuern zahlen, wenn man es nicht muss? Um den Sozialstaat noch weiter aufblähen zu können?
nicht den Sozialstaat. den Beamtenstaat!
Sozialstaat wäre okay...(im Ansatz) ..Bedürftige brauchen Hilfe . no doubt!
Aber: Bedürftige sind nicht Lehrer, Richter und Uniklinikärzte, die trotz Tarifvertrag nun auch alle verbeamtet werden.
Derern Pensionen zu bedienen und dafür die Moralkeuel des untefinanzierten STaates zu schwingen , ist einfach asozial!!
Genau dies wird in der aktuellen politischen Debatte versucht