Wer dieser Tage durch Budapest flaniert, erblickt keine brennenden Müllcontainer und vermummten Gestalten, die auf schwer bewaffnete Polizisten zustürmen. Statt Tränengas-Nebel bietet die ungarische Hauptstadt ein Bild des Friedens und der Zufriedenheit. In den berühmten Budapester Markthallen preisen Obsthändler und Metzger ihre Waren an, Menschenmassen schieben sich an den Ständen vorbei.
Die Massenproteste finden im 1.500 Kilometer entfernten Athen statt – weil der griechische Staat pleite ist und die Bevölkerung tiefe Einschnitte erdulden muss. Dabei, sagen Fachleute, wären in Ungarn ganz ähnliche Sparprogramme angebracht. "Die wirklich wichtigen Schritte werden nicht gegangen", sagt István Magas, Ökonom an der Corvinus Universität in Budapest. "Eines Tages werden wir dafür einen hohen Preis bezahlen müssen."
Ungarn, sagt Magas, sei in einem Teufelskreis gefangen. Das Land ist mit rund 79 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) verschuldet. Das ist europäischer Durchschnitt, selbst Deutschlands Schuldenquote liegt etwas höher. Doch im Gegensatz zur deutschen Wirtschaft wächst die Wirtschaft in Ungarn kaum noch. Nach Berechnungen der deutsch-ungarischen Industrie- und Handelskammer sank die Wirtschaftsleistung im vergangen Jahr sogar um 1,7 Prozent. In diesem Jahr wird die Wirtschaft nach Schätzung der EU-Kommission zwar leicht zulegen – doch zu langsam, um die steigende Verschuldung zu stoppen.
Dauerhaft schwaches Wachstum und steigende Schulden – das ist Ungarns Problem. Zu den Staatsschulden kommt außerdem noch die hohe Verschuldung des Privatsektors, also der Haushalte und Unternehmen. "Wenn wir beides zusammenrechnen, dann ergibt das eine Gesamtverschuldung von mehr als 120 Prozent des BIP", sagt Magas. "Das ist unser größtes Problem." Allein im Jahr 2011 musste Ungarn 1.170 Milliarden Forint für Zinsen ausgeben – mehr als vier Prozent des BIP. Nur Griechenland und Italien gaben zuletzt einen größeren Teil ihrer Wirtschaftsleistung für Zinszahlungen aus.
Orbán will von Sparen nichts wissen
Doch während die Griechen sparen, privatisieren und den Staatssektor verkleinern, versucht die Regierungspartei Fidesz um Ministerpräsident Viktor Orbán, die Einnahmen mit Steuern auf Banken und ausländische Konzerne zu erhöhen – vorrangig mithilfe sogenannter Sondersteuern, die die Regierung im Oktober 2010 eingeführt hat.
Besteuert werden auch Telekommunikationsunternehmen, Energieversorger und Einzelhandelsketten. Je größer der Umsatz, desto höher sind die Abgaben. Teilweise werden bis zu 6,5 Prozent vom Umsatz fällig. Das Gesetz definiert die Steuerpflichtigen dabei so, dass vor allem ausländische Konzerne zahlen müssen und etliche, große ungarische Firmen ausgenommen sind, wie Experten der ungarischen Industrie- und Handelskammer festgestellt haben. Zum Jahresbeginn sind die als "Sondersteuern" ausgewiesenen Abgaben zwar wieder entfallen, für viele Branchen wurden jedoch neue Steuerarten eingeführt. Und auch an den scharf kritisierten Abgaben für Finanzorganisationen hat sich nichts geändert.
Für István Magas steckt hinter den Steuern für Banken und Konzerne mehr politisches Kalkül als sinnvolle Wirtschaftspolitik. 2010 holte die Fidesz zwar über 50 Prozent der Wählerstimmen, 2014 stehen aber die nächsten Wahlen in Ungarn an. "Und Politiker wollen wiedergewählt werden", sagt Magas. "Da macht sich eine Wirtschaftspolitik à la Robin-Hood natürlich gut."
Kommentare
Wir treffen uns in ein paar Jahren nochmal
Doch während die Griechen sparen, privatisieren und den Staatssektor verkleinern, versucht die Regierungspartei Fidesz um Ministerpräsident Viktor Orbán, die Einnahmen mit Steuern auf Banken und ausländische Konzerne zu erhöhen – vorrangig mithilfe sogenannter Sondersteuern, die die Regierung im Oktober 2010 eingeführt hat.
Und mit dieser Entscheidung verdient Ungarn meinen vollen Respekt. In ein paar Jahren werden wir sehen, wo Griechenland steht und wo Ungarn. Bisher ist mir noch kein Land begegnet, dass nach dem neoliberalen Notschlachtungsprogramm des IWF wieder auf die Beine gekommen ist.
Im Grunde handelt es sich hier noch um Verscherbelung von Volkseigentum zum niedrigstmöglichen Preis. Danach ist man vielleicht schuldenfrei, aber auch auch ohne Hosen.
Schade, dass es für eine solche (in jeder Hinsicht richtige) Politik einer rechtsnationalistischen Mehrheit bedarf. Ich wünschtre die europäische Sozialdemokratie würde begreifen, wie gefährlich es ist sich mit dem IWF einzulassen.
Aber das ist alles nicht entscheidend. Wichtig ist, dass die Ungarn dass so entschieden haben und hinter ihren Regierung stehen. In Griechenland würde ich den demokratischen Rückhalt der Regierung auf einstellig schätzen mittlerweile.
"einstellig schätzen"
... so kann man sich täuschen!
"Ungarn risikiert..."
Bravo! Sie haben was "risikiert".
Viktor Orbán geht irgendwann von Bord
Aber das Schiff geht ohne ihn unter.
Ungarns Jugend wird dafür bitter und sehr lange bezahlen müssen.
Vielleicht haben sie auch Glück und "dürfen" die EU verlassen - aber nicht wegen der Pleite sondern wegen des offenen Rechtsradikalismus in Ungarn, dem man überall begegnet und der von der Regierung Orbán unterstützt wird. Zumindest tut man so als sei man auf beiden Augen blind und lässt ein paar Probleme von den Glatzen lösen.
Der vorgebliche "Rechtsradikalismus"
Orbans ist m. E. eine mediale Erfindung linksgrüner Medien. Herr Orban repräsentiert die bürgerliche Mitte, die hierzulande politisch nicht mehr existiert, seitdem die CDU nach links abgedriftet ist.
Ungarns Weg mag steinig sein, aber da die Regierung die nationalen Interessen über die Brüsseler Eurokraten und internationaler Finanzinstitute stellt, werden die Ungarn ihn gern mitgehen.
Schon in Ostblockzeiten hat sich Ungarn niemals so indoktrinieren lassen wie beispielsweise die DDR und immer versucht, sich ein paar Freiheiten zu bewahren. Gerade Deutschland hat den aufmüpfigen Ungarn sehr viel zu verdanken, vielleicht sogar die deutsche Einheit, mit der sich die 68er in den bundesdeutschen Redaktionsstuben nie abgefunden haben.
Deshalb auch das dauerhafte Ungarn-Bashing in den Medien. Ich habe großen Respekt vor diesem kleinen tapferen Volk, das ganz und gar nicht gewillt ist, sich wie Deutschland abzuschaffen oder abschaffen zu lassen.
Soll man jetzt lachen?
"Im Moment, sagt Ökonom Magas, gehe die Strategie des Volkstribunen auf."
"Ungarn risikiert die Staatspleite"
Soll Griechenland wirklich der Beispiel für Erfolg sein?
Vielleicht hätte der Autor seinen "Artikel" vor der Veröffentlichung nochmal lesen sollen!
Orban mag man hier nicht....
....und wird da auch nicht besonders objektiv berichten. Zwar ist seine Wirtschaftspolitik vermutlich wirklich nicht so toll, aber es ist auch wahr, dass es den Ungarn momentan so geht wie den Autoherstellern, die ihre Autos an die Bevölkerung der PIIGS absetzten. Deutschland hat diese Wirtschaften abgewürgt und da leiden nicht nur die Griechen sondern reißt Andere mit in den Abgrund.