Die Welt ist voller Egoisten – denn Egoismus zahlt sich aus. Das haben uns in den letzten Jahrzehnten zwei einflussreiche Forschungsrichtungen lehren wollen. Biologen behaupteten lange, das egoistische Gen setze sich in der Evolution durch. Und in den Wirtschaftswissenschaften regierte der Homo Oeconomicus: ein vernunftgetriebener Agent, dessen Handeln stets nur auf das Eigeninteresse zielt.
Doch im Alltag ist der Homo Oeconomicus schwer zu entdecken. Menschen engagieren sich sozial, spenden für wohltätige Zwecke, sie stimmen für politische Parteien, deren wirtschaftliches Programm nicht in ihrem finanziellen Interesse liegt. Manche riskieren für ihre Ideale gar ihr Leben. Heißt das etwa, dass sich das egoistische Gen im Laufe der Evolution gar nicht durchsetzt?
Diese Frage hat ein Forscherteam der ETH Zürich umgetrieben, dessen Studie in der Fachzeitschrift Scientific Reports publiziert wurde. Anhand eines Computermodells haben die Forscher den Ausgang eines sich wiederholenden Gefangenendilemmas simuliert. Das Gefangenendilemma ist ein beliebtes Strategiespiel aus der Verhaltensökonomie, das zeigt, dass die Entscheidung eines Einzelnen zwar rational sein kann, nicht aber das Optimum für Alle bedeutet.
Die Wissenschaftler Thomas Grund und Dirk Helbing veränderten nun die
Ausgangskonstellationen. Im Anfangsstadium besteht die Menschheit größtenteils aus
Egoisten. Nur aufgrund des Zufalls kommen manchmal ein paar Altruisten zur
Welt. Um sich fortpflanzen zu können, konkurrieren alle Menschen um Ressourcen.
Es liegt zwar in ihrem Gemeininteresse zu kooperieren – aber jeder kann sich
einen Vorteil verschaffen, indem er abtrünnig wird.
Nur wenn die wenigen Altruisten trotz dieser schwierigen Ausgangslage besonders üppige Ressourcen ergattern, können sie viele Kinder bekommen – und so ihre Großzügigkeit an die nächste Generation vererben. Aber setzen sie sich nach zehn, 50 oder 100 Generationen durch? Oder führt die natürliche Selektion zwangsläufig zur Dominanz des Homo Oeconomicus?
Es bilden sich clusters of cooperators
Erstaunlicherweise nicht. Stattdessen gewinnen schon nach wenigen Generationen die Altruisten die Oberhand. Denn wenn durch Zufall einige von ihnen zeitlich und räumlich nahe aneinander geboren werden, genießen sie aufgrund ihrer Zusammenarbeit beachtliche evolutionäre Vorteile. Es bilden sich clusters of cooperators.
Die Selbstlosen bekommen wiederum Nachkommen, die sich wiederum altruistisch verhalten. Obwohl in ein paar Regionen weiterhin die Egoisten dominieren, setzen sich die Altruisten in ganzen Landstrichen durch. Die Evolution kann also nicht nur den Homo Oeconomicus hervorbringen, sondern auch einen ganz anderen Typ, den Homo Socialis, wie ihn Grund und Helbig nennen.
Kommentare
Leeres Kontrukt
Wenn man davon ausgeht, dass der egoistische Mensch nicht kooperieren kann, stimmt dieses Gedankenkonstrukt.
Das ist aber zum Glück nicht der Fall.
Altruismus ist aber was ganz was anderes...
...als Kooperation. Zur Kooperation sind alle Menschen fähig. Selbst die schlimmsten Monster in der Geschichte der Menschheit haben mit anderen Menschen kooperiert, sonst wären sie gar nicht in die Position gekommen Monster zu werden.
8. Altruismus ist aber was ganz was anderes...
Richtig. Das sehe ich genauso. Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen und die Birnen auch noch als Pflaumen deklariert.
Komplex
Die Realität ist stets ein wenig komplexer als Laborexperimente - und deren journalistische Aufarbeitung - vermuten lassen.
Man wird in jeder Gesellschaft stets eine Mischung aus altruistischen bzw. egoistischen Verhaltensweisen finden, bzw. diese bei den Individuen in recht unterschiedlichen Ausprägungen feststellen. Der Homo Oeconomicus begegnet uns ebenso wie der Homo Socialis in Reinform allenfalls auf Papier in wissenschaftlichen Abhandlungen aber nicht im realen Leben. Dieses stellt eine recht komplexe Mischung unterschiedlicher und scheinbar widersprüchlicher Verhaltensweisen dar, die gerade in Ihrer Wechselwirkung jene Dynamik hervorbringen, die zum Motor gesellschaftlicher wie geschichtlicher Entwicklungen wird.
Eine recht interessante Ausarbeitung dieses Spannungsfeldes im Kontext der geschichtlichen Entwicklung gibt Peter Turchin in seinen Arbeiten:
http://www.amazon.de/Secu...
http://www.amazon.de/War-...
http://www.amazon.de/Hist...
Diese sind insofern recht interessant, als sie neben zahlreichen Beispielen aus der Geschichte durchaus interessante Rückschlüsse auf die Gegenwart zulassen.
Wissenschaftler haben gezeigt...
"Die Realität ist stets ein wenig komplexer als Laborexperimente - und deren journalistische Aufarbeitung - vermuten lassen."
In den meisten Fällen liegt es an der journalistischen Aufarbeitung, wenn Ergebnisse nicht korrekt widergegeben werden. Die Wissenschaftler berichten meist sehr exakt, was sie herausgefunden haben, und sind sehr vorsichtig mit Interpretationen.
Wenn im Artikel steht
"unter der Annahme, dass X und Y gelten, dann könnte unser Simulationsmodell auf die Realität übertragen werden, was ein Anzeichen dafür sein könnte, dass Z gilt"
... dann macht die Presse daraus: "Wissenschaftler haben gezeigt: Z gilt"
Toller Artikel
Allerdings wären die Verfasser durch eine sorgfältige Analyse der Menschheitsgeschichte zum selben Ergebnis gelangt.
Fazit:
Es wurde wieder Geld zum Fenster hinausgeschmissen! - Ab imo pectore bravo!