Sie schimpft, sie flucht, sie verdammt sie alle. "Verbrecher! Diebe!" Die kleine alte Dame kriegt sich nicht ein. Wen genau meint sie? "Alle. Die Politiker. Die Banker. Und ich habe diesen Tsipras auch noch gewählt!", klagt Maria Kontopoulou, 81. Sie und andere Rentner stehen vor einem Nebeneingang der Athener Hauptfiliale der National Bank of Greece, einem der größten privaten Geldinstitute des Landes. Sie diskutieren erregt mit dem Direktor der Niederlassung, einem Mann mit marineblauem Anzug und randloser Brille. Er zieht unaufhörlich an seiner E-Zigarette.
"Wie kommen wir jetzt nur an unsere Rente?", ruft Kontopoulou. "Ich muss doch etwas essen, meine Miete zahlen! Wo soll das nur hinführen?" Schon den ganzen Vormittag geht das so. Laufend kommen Senioren zu der Filiale an der Aiolou-Straße und vielen anderen Bankniederlassungen im ganzen Land. In den Händen halten sie ihre Kontobücher, denn gerade ältere Griechen besitzen häufig keine EC- oder Kreditkarten. Sie können deshalb nicht einmal den Maximalbetrag von 60 Euro am Geldautomaten abheben, der wegen der seit Montag geltenden Kapitalverkehrskontrollen nur noch pro Tag und Bankkunde verfügbar ist.
Der Bankdirektor versucht, die Senioren zu beschwichtigen. "Heute Nachmittag wird eine Liste von Bankfilialen veröffentlicht, die morgen nur für die Auszahlung der Renten öffnen werden", sagt er. "Und wie sollen wir davon erfahren?", fragt Kontopoulou zurück. "Das wird dann wohl im Fernsehen kommen", antwortet er. Wie organisiert werden soll, dass dann wirklich nur Rentner in diese Filialen kommen, weiß noch keiner. Angesichts der seit dem Wochenende drastisch verschärften Krise wird überall im Land improvisiert.
Ausnahmezustand im ganzen Land
Ohne Übertreibung kann man feststellen: Athen und das ganze Land befinden sich seit diesem Montag im Ausnahmezustand. Rund um das Parlament sind etliche Übertragungswagen ausländischer Fernsehsender aufgefahren, überall sind TV-Teams unterwegs. Die Regierung hat angeordnet, dass Bus und Bahnen kostenlos benutzt werden dürfen, weil viele Menschen nicht genügend Bargeld haben, um die Fahrscheine zu bezahlen. Schon seit Sonntag sieht man nicht nur an den Geldautomaten, sondern auch an den Tankstellen lange Schlangen. Manche Autofahrer füllen sogar Benzinkanister auf, weil sie befürchten, dass nach einem Austritt ihres Landes aus der Währungsunion die Ölimporte und die Treibstoffversorgung zusammenbrechen werden.
In den Supermärkten werden auch verstärkt langlebige Nahrungsmittel wie Nudeln, Reis und Mehl eingekauft und zu Hause gehortet. Denn wer weiß, sagen sich viele Griechen angesichts der verschärften Krise, was noch kommt. In den Athener Fleisch- und Fischmarkthallen herrscht dagegen Stille, zur Hauptgeschäftszeit kommt kaum Kundschaft. "Die Leute halten ihr Bargeld zusammen", sagt ein Verkäufer. "Was nicht unbedingt nötig ist, wird nicht besorgt." Und die wenigen Kunden, die noch kommen, würden darum bitten, selbst kleinste Beträge mit der Kreditkarte bezahlen zu dürfen. "Aber was bringt es mir, wenn ich schöne Nümmerchen auf dem Konto habe, aber nicht an mein Geld komme?", sagt der Verkäufer. Noch schlimmer die Situation in den Bekleidungs- und Elektronikgeschäften: Hier herrscht absolute Leere.
Es ist kaum zu erwarten, dass sich bis zum Referendum über die Sparmaßnahmen am Sonntag die Lage im Land beruhigt. Eher im Gegenteil: die allgemeine Anspannung und die Angst der Bürger dürften noch zunehmen. Die Banken sollen bis nächsten Dienstag geschlossen bleiben, ebenso wie die Börse, was das Vertrauen in Ministerpräsident Alexis Tsipras nun rasant sinken lässt. Bislang waren viele politische Beobachter in Griechenland davon ausgegangen, dass die Regierung die Mehrheit in der Bevölkerung zu einem Nein bei dem Referendum bewegen kann. Es lässt sich zwar bisher nicht sicher durch aktuelle Meinungsumfragen belegen, aber hört man auf die Gespräche der Menschen in den Straßen, merkt man schnell: Die Unterstützung für Syriza schwindet.
Kommentare
Grexit für Stammtische
Auch wenn an den deutschen Stammtischen der Grexit das Hauptthema ist und der Sachverständige für Volksangelegenheiten Stoiber diesen in der Jauch-Sendung lauthals herbei schreit, er wird nicht kommen. Das war vor, während und nach den Brüsseler Verhandlungen klar.
Bei einem Grexit wären der Euro und Europa auch dokumentarisch belegt gescheitert. Merkel hat Scheitern oder Nichtscheitern mit ihrer politischen Existenz verbunden. Schon aus diesem Grunde muss es weitergehen wie bisher.
Was mit Sicherheit kommt, ist der Sturz von Tsipras und seiner Syriza-Regierung. Siehe Kommentar 18 http://www.zeit.de/wirtsc... Die Brüsseler Machthaben können unmöglich eine basisdemokratische und systemkritische Regierung, welche nicht dem Diktat eines merkantilistischen Europa folgt, in ihren Reihen dulden.
Sind der griechische Robin Hood und die Systemveränderer abserviert, kann man mit den alten korrupten Wertegemeinschaft-Freunden in gewohnter Manier Brüsseler Sittsamkeit wieder auf ein Neues anstoßen und auch der deutsche Steuerzahler darf sich freuen, dass er weiterhin nach allen Regeln der großen Narkosekunst von Merkel und Schäuble , zur Ader gelassen wird. Eine vergleichbare hohe Kunst der Narkose findet man nur Alten Testament: Gott entfernt Adam paradiesisch schmerzfrei eine Rippe.
Überschrift gekürzt. Bitte bemühen Sie sich um eine sachliche Wortwahl. Die Redaktion/lh
Wie kommen Sie darauf, dass die EU dann gescheitert ist?
Ganz im Gegenteil wird nur ein Fehler behoben, der vor 15 Jahren mit der Aufnahme Griechenlands ihren Anfang hatte.
Alles gut.
Europa, billige Hure des Neo-Merkantilismus (2)
Referendum
Wenn es zu dem Referendum kommt, wird die griechische Bevölkerung voraussichtlich in der jetzigen Situation greifbarer und unmittelbarer Einschränkungen, bei der Wahl von Pest oder Cholera, einen Schuldenplan der Gläubiger akzeptieren.
Die nicht gerade als Linkeplattform bekannt New York Times schreibt:
„Die europäischen Politiker in Brüssel und Frankfurt mögen sich nicht fair oder demokratisch verhalten - und es gibt das zutreffende Argument, dass ihre Politik nicht gerade fehlerfrei ist. Aber sie haben die gesamte Macht in dieser Situation und lassen die Griechen zwischen zwei schlechten Alternativen wählen."
Neuwahlen
Diese würden von der Regierung ausgerufen, insofern es zu Referendum kommt und sie bis dato noch im Amt ist. Bleiben die Zustimmungswerte für Tsipras und Syriza, stabil, könnten sie sogar die Wahl mit absoluter Mehrheit gewinnen. Die Brüsseler Machthaber wird dies nicht sonderlich beeindrucken. Sie werden ihr Zermürbungsspiel, vielleicht mit etwas mehr Schaum vorm Mund, mit gesteigertem Nachdruck fortsetzen bis die Systemveränderer aufgeben.
Fazit
Die in erster Linie von der deutschen Politik betriebene Umgestaltung Europas, hin zu einer billigen Hure des Neo-Merkantilismus, zeigt erste Risse und ein Widerstand wie in Griechenland, wird nicht der letzte in Europa sein.
@unländer
Das haben Sie ja schön vorgeschrieben und reinkopiert. Ich halte mich mit meiner Kopie (aus einem renommierten Schweizer Medium) etwas kürzer:
"Offenkundig sollte sein, dass die Schuldigen für das Desaster nicht in Brüssel, Frankfurt oder Washington sitzen, wie dies nun Athen darzulegen versucht. Tatsache ist vielmehr, dass die griechische Regierung und ihre eitlen Spieltheoretiker sich massiv verspekuliert haben. Sie haben die Suche nach einer für die Bevölkerung weniger leidvollen Lösung konsequent sabotiert, mit der stets gleichen Drohung, wonach ein Grexit das Ende der Euro-Zone bedeute. Die Verhandlungsstrategie, von Finanzminister Janis Varoufakis einst als «produktive Undeutlichkeit» etikettiert, war keineswegs produktiv, sondern hochgradig zerstörerisch."
http://www.nzz.ch/meinung...
Viel Lärm um nichts...
...in Russland haben die Rentnerinnen auch meistens kein Konto, die heben das direkt bei der Sberbank ab und bekommen es in ein Büchlein quittiert, das kann man auch in Griechenland machen, übrigens, bei uns gibt's ja auch kaum noch Sparbücher, da wird einfach eine Transaktion auf ein Dina4 Blatt gedruckt und gut is. Und wenn Herr Zacharakis resumiert, die Unterstützung für Syriza schwinde, kann er mal in sich gehen, wer so alles die Trommeln gerührt hat, mit Verlaub.
Die Banken haben zu...
".in Russland haben die Rentnerinnen auch meistens kein Konto, die heben das direkt bei der Sberbank ab und bekommen es in ein Büchlein quittiert, das kann man auch in Griechenland machen"
Die Banken haben geschlossen.
" übrigens, bei uns gibt's ja auch kaum noch Sparbücher, da wird einfach eine Transaktion auf ein Dina4 Blatt gedruckt und gut is. "
Die Banken haben geschlossen.
Geld gibt es also nur per Automat.
Die Fähigkeit zu lesen gibt es in der Schule ;-)
Kein Mitleid
Ich habe kein Mitleid. Das sind jetzt die gerechten Folgen der seit Jahrzehnten andauernden Misswirtschaft, Korruption, Steuerhinterziehung des Landes. Auch des Betruges zum Eintritt in die EU.
Und das wurde nicht nur durch die Politiker und Reichen betrieben. Auch die "Normalbevölkerung" hat dieses System maßgeblich unterstützt bzw. sich daran bereichert bzw. es ausgenutzt.
Und was sollen all die finanziellen Hilfen. Außer Tourismus hat Griechenland doch keine nennenswerte Produkte und wenn dann sind diese sicher nicht weltweit wettbewerbsfähig.
Was sollen auch die Investitionen.
Ausser Tourismus ?
"Und was sollen all die finanziellen Hilfen. Außer Tourismus hat Griechenland doch keine nennenswerte Produkte und wenn dann sind diese sicher nicht weltweit wettbewerbsfähig."
Tourismus, wenn er wieder preiswert wäre,
so wie in der Türkei, könnte Griechenland auf die Beine bringen.
Und wie ist das mit den vermuteten Gasfeldern vor den griechischen Küsten ?