Das Fach Wirtschaft führte in Deutschland lange ein Mauerblümchen-Dasein. Bayern war über Jahrzehnte das einzige Land mit einem eigenständigen Fach "Wirtschaft und Recht". Erst nach der Wende folgte Thüringen. 1998 startete die Bertelsmann-Stiftung das Projekt Wirtschaft in die Schule, um vermehrt Lehrer für dieses Fach auszubilden. Mittlerweile haben mehrere Bundesländer das Fach Wirtschaft auf den Lehrplan gesetzt, am weitesten geht derzeit Baden-Württemberg mit einem Pflichtfach ab Klasse 5.
Kritiker sind der Meinung, die Arbeitgeberlobby hätte sich damit durchgesetzt, ein Schulfach Wirtschaft sei nicht notwendig. Sie ignorieren, dass die Wirtschaft in der globalisierten Welt eine zentrale Rolle einnimmt. Sie lassen außer Acht, dass gerade angehende Abiturienten auf diese Wirtschaft vorbereitet werden und ihre Funktionsweise verstehen müssen.
Wichtig sind sowohl praxisnahe als auch theoretische Kenntnisse. Schülerinnen und Schüler sollten die Grundzüge des Rechnungswesens kennen und wissen, welche Rechte und Pflichten sich aus einem Kaufvertrag ergeben. Sie sollten aber auch wissen, nach welchen Mechanismen Märkte und Preisbildung funktionieren, wie das Steuer- und Abgabensystem verfasst ist und welchen Sinn Wettbewerb und Markt in einer demokratischen Gesellschaft mit sozialer Marktwirtschaft haben.
Kritik setzt Wissen voraus
Das ist kein Spezialwissen, sondern Allgemeinbildung: Wie sollen Schüler ohne ökonomisches Wissen wirtschaftliche Zusammenhänge im gesellschaftlichen Kontext beurteilen? Und in der Tat kann es sein, dass dabei auch einige Illusionen korrigiert werden. Nun finden manche Kritiker es allerdings nicht einmal erstrebenswert, eine affirmative Haltung zur sozialen Marktwirtschaft einzunehmen. Dazu kann ich nur sagen: Die Suche nach einem "Dritten Weg" ist nicht Aufgabe von Schulfächern.
Gern wird Kritik am Schulfach Wirtschaft mit Kritik an angeblich neoliberaler Wirtschaftspolitik in Deutschland verbunden. Dem kann man erwidern: Grundlagenkritik kann nicht am Anfang eines Schulfachs stehen. Bevor man etwas kritisiert, muss man es verstehen – jedenfalls dann, wenn man an einer reflektierten Auseinandersetzung interessiert ist und nicht nur Vorurteile kultivieren will.
Die Kritiker unterstellen zudem, dass ökologische und soziale Kompetenzen mit einem Schulfach Wirtschaft verloren gingen oder gar nicht erst aufgebaut würden. Dabei wird angenommen, dass Ökonomie und Ökologie, Ökonomie und Soziales fundamentale Gegensätze darstellen. Das Gegenteil ist der Fall: Nachhaltiges Wirtschaften spielt in Unternehmen eine immer größere Rolle. Aber auch Ökologie muss im Rahmen ökonomischer Mechanismen funktionieren, damit sie nicht nur eine abstrakte Idee bleibt, sondern wirksam umgesetzt wird. Ökologische Probleme lassen sich letztlich nur durch ökonomische Mechanismen lösen. Die Marktwirtschaft hat sich keineswegs abgewirtschaftet.
Das Gleiche gilt für die Sozialpolitik. Schülerinnen und Schülern sollte die soziale Marktwirtschaft als Grundlage unserer Gesellschaft nahegebracht werden. Und dazu gehört, wie durch Wettbewerb – im Rahmen der bestehenden Regeln und Gesetze – soziale Belange gefördert werden, indem Arbeitsplätze bereitgestellt werden, indem innovative und kostengünstige Produkte produziert werden, indem Steuern und Abgaben gezahlt werden. Die Marktwirtschaft hat nicht nur im Westen, sondern mittlerweile auch in vielen anderen Regionen der Erde den Lebensstandard breiter Bevölkerungskreise in historisch unvergleichlicher Weise angehoben. Auch das sollte im Fach Wirtschaft vermittelt werden.
Noch einmal: Es wäre unverantwortlich, Schülern die in der Globalisierung wichtigen Kernkompetenzen des Faches Wirtschaft vorzuenthalten. Insbesondere gilt dies für die Gymnasien, denn an anderen Schulformen sind Wirtschaftskompetenzen oft häufiger vertreten (Fachoberschulen, Berufsoberschulen). Man könnte den Eindruck gewinnen, als seien die Kritiker der Meinung, Gymnasiasten hätten Wirtschaftskenntnisse nicht nötig. Wie weltfremd diese Ansicht ist, zeigen die seit Jahren boomenden betriebswirtschaftlichen Studiengänge an den Universitäten. Die Politische Bildung, so wichtig sie als Fach auch ist, kann Wirtschaftskompetenzen unter ihrem Dach aber nicht vermitteln. Schon deshalb nicht, weil ihre Lehrer die notwendigen ökonomischen Kompetenzen in der Regel nicht mitbringen. Ein eigenständiges Fach ist notwendig – im Interesse der Schülerinnen und Schüler.
Kommentare
Das schlimme an der Diskussion über "Wirtschaft", dass kaum jemand etwas vom Thema verstanden hat.
So auch der Autor:
Er schreibt:
"Nun finden manche Kritiker es allerdings nicht einmal erstrebenswert, eine affirmative Haltung zur sozialen Marktwirtschaft einzunehmen.
Dazu kann ich nur sagen: Die Suche nach einem "Dritten Weg" ist nicht Aufgabe von Schulfächern."
Hallo?
Jemand zuhause?
Die "Soziale Marktwirtschaft" ist(!!!) der "Dritte Weg"!
Der erste Weg ist die freie Marktwirtschaft.
Der zweite die Zentralverwaltungswirtschaft.
Bildung tut also not!
Wer etwas von Wirtschaft verstehen will, lese:
- 'Was man sieht und was man nicht sieht' von Frédéric Bastiat
- 'Die 24 wichtigsten Regeln der Wirtschaft' von Henry Hazlitt
- 'Die Gemeinwirtschaft', 'Liberalismus' und 'Die Bürokratie' von Ludwig von Mises
"Die "Soziale Marktwirtschaft" ist(!!!) der "Dritte Weg"!"
Dann brauchen wir einen vierten, der dritte ist gescheitert.
Ein Fach in dem das Steuersystem, grundlegende Rechtsgrundsätze und Ja auch die Mechanismen des Geldes und die Mechanismen der Märkte, der Globalisierung unterrichtet werden wäre sinnvoll.
Ich habe kompetente Ingenieure, Techniker erlebt, die qua Allgemeinbildung keinen Schimmer von elemtarsten Elementen der Steuerregelungen, der Sozialabgaben oder gar Geldschöpfung hatten. Ich halte diese Kenntnisse für extrem wichtig, heute mehr denn je.
Zu erwarten ist leider, dass die Lehrbücher tendenziös neoliberale Propaganda propagieren, dass kritische Betrachtungen zu kurz kommen. Aber wenn man heute mit Menschen über die Gefahren des neoliberalen Ansatzes reden will stellt man oft fest, dass die Gesprächsgrundlage komplett fehlt. Wenn jemand nicht weiss was der Unterschied von Steuern , Abgaben, Beiträgen ist, wenn er nicht weiss was eine Kappungsgrenze ist, usw. wie soll er dann jemals in diesem Bereich kritikfähig werden.
Ich würde mir ein solches Fach für meine Kinder wünschen. Ich würde mir dann auch gute Lehrbücher wünschen. Aber lieber kommt die Kritikfähigkeit dann erst bei der Konfrontation mit der Realität, als dass sie mangels Kenntnissen nie kommen kann.
Ein bischen würde ich dann auch selbst nachhelfen.
Grundkenntnisse neutral vermitteln!
Grundkenntnisse z. B. Mehrwertsteuer, Garantie/Gewährleistungspflicht, Vertragsrecht, Arbeits/Ausbildungsverträge usw. halte ich für extrem wichtig. Viele Arbeitnehmer, Auszubildende und Kunden verzichten unbewusst auf ihre Rechte.
So versuchen immer wieder Unternehmen, Kunden mit einer Garantiepflicht unter 2 Jahren abzufertigen oder wollen Sachen z. B. Kleidung bei Mängeln nach 2 Wochen nicht umtauschen (hier Garantie- oder Gewährleistungsrecht in Anspruch nehmen, kein Umtausch!). Bei Streitfällen den Geschäftsführer verlangen. Auch beliebt: Werkverträge für Studenten oder Scheinselbständigkeit. Beides in vielen Fällen nicht rechtens.
Außerdem fände ich es sinnvoll, auch kritisch mit Kapitalismus und soz. Marktwirtschaft umzugehen, aufzuklären, über Alternativen zu diskutieren und gemeinsam zu überlegen, wie eine bessere Wirtschaft- und Arbeitswelt aussehen könnte.
Staatsbeamte und Staatsdiener an staatlichen Schulen würden völlig wertfrei unterrichten.
Ja, ja...
" [...] Überhaupt ist das Zeitalter des »Zweiten Dreißigjährigen Krieges« von 1914 bis 1945 der Höhepunkt des deutschen Antikapitalismus gewesen, der sich nicht nur bei der Linken, sondern auch auf der Rechten, bei Sombart, Freyer, Schmitt, Heidegger, Gehlen, Jünger, von den NS-Ideologen ganz zu schweigen, niederschlug.
Aber nicht nur wegen dieser Zäsur bemühte sich der sog. »Ordoliberalismus« der Eucken, Rüstow, Müller-Armack um eine neue realitätsgerechtere Theoriekonzeption.
Auch in der Marktwirtschaftslehre der Freiburger Schule blieb eine unverblümte Anerkennung der staatlichen Ordnungsaufgabe und Steuerungskompetenz erhalten, wie sie durchaus der deutschen Tradition des Kameralismus, der Smith- und Hegel-Deutung, der Staatswissenschaft und der beiden Historischen Schulen der Nationalökonomie entsprach.
Die Ordoliberalen dachten gar nicht daran, einer völlig autonomen, zu unbegrenzter Freiheit entfesselten »Verkehrswirtschaft« (wie Eucken den Begriff Marktwirtschaft dezidiert vermied) das Wort zu reden, sondern legten großen Wert auf die Leistungsfähigkeit der staatlichen Ordnungs- und Interventionsfunktionen. Sie sind in dieser Hinsicht oft missverstanden worden. [...]"
(Aus : Hans-Ulrich Wehler; Die Deutschen und der Kapitalismus -Essays zur Geschichte)