Empfiehlt man anderen Ländern, von Deutschland zu lernen, dann klingt das schnell schräg. Aber wer in diesen Tagen von sonstwo nach Berlin schaut, könnte tatsächlich aus einem deutschen Fehler lernen und zugleich viele Milliarden Euro sparen. Hier wird nämlich gerade das vorletzte Kapitel des Atomausstiegs geschrieben und damit die Frage beantwortet: Wie viel kostet Atomstrom wirklich, und wer bezahlt dafür? Der erste Teil der Antwort ist schon klar. Er ist teuer, sehr teuer. Die Behauptung, dass mit Kernkraftwerken billig Strom produziert werden kann, entpuppt sich gerade endgültig als das, was sie von Anfang an war: eine Lüge.
Über den zweiten Teil der Antwort (wer nun dafür bezahlen muss) hat seit vielen Wochen eine von der Bundesregierung eingesetzte überparteiliche Kommission diskutiert. Eigentlich wollte die zu Beginn dieser Woche im Berliner Wirtschaftsministerium ihren Abschlussbericht verabschieden. In dem sollte stehen, wer was für die Beseitigung des Atommülls zahlt. Auf dieser Grundlage wollte dann die Bundesregierung darüber entscheiden, welchen Teil der Entsorgung die Unternehmen übernehmen – und welchen die Steuerzahler. Nun hat sich die Kommission vorerst vertagt. Doch auch das spricht Bände.
Die Experten können sich bisher auf keine Lastenverteilung einigen, die politisch und ökonomisch vertretbar ist, die akzeptabel für die Allgemeinheit ist, aber die Unternehmen zugleich nicht zu stark belastet. Dabei steht gar nicht mehr zur Debatte, ob die Energieversorger möglicherweise für ihren Müll allein haften. Niemals werden sie die Milliarden Euro, die Entsorgung und Endlagerung kosten, allein schultern können. Zwar hatte sie der Gesetzgeber bereits in der Vergangenheit verpflichtet, genau dafür viel Geld zurückzulegen, inzwischen summiert sich das auf 38,3 Milliarden Euro. Aber diese Rückstellungen reichen wohl nicht.
Schlimmer noch: Das Geld ist nicht verfügbar, es steckt in den Energiekonzernen, in deren Kraftwerken, Gruben, Netzen. Die Regierung kann also nicht einfach kassieren, wenn in den kommenden Jahren Kraftwerke abgebaut und strahlender Müll entsorgt werden müssen. Sie kann aber auch nicht einfach wegschauen und sich darauf verlassen, dass die Unternehmen das schon irgendwie schaffen. Denn denen geht es heute wirtschaftlich nicht mehr gut. Die fetten Jahre, in denen RWE, E.on und Co. dicke Dividenden an ihre Anteilseigner ausschütteten, sind vorbei, die Gewinne längst privatisiert. Heute kämpfen alle mit Problemen, auch weil sie viel zu lange auf AKW und Kohlemeiler gesetzt haben. Heute bräuchten sie dringend frisches Kapital, um in neue Geschäftsfelder zu investieren. Genau das aber bekommen sie kaum. Wer steckt schon sein Geld in ein Unternehmen, dass das unkalkulierbare Risiko der Atommüllentsorgung schultern muss?
Noch ist nicht entschieden, wie Deutschland das Problem löst – aber es gibt nicht viele Alternativen. Wahrscheinlich werden am Ende Rückbau und Abtransport der Atomkraftwerke von den Unternehmen geschultert, bei der Zwischen- und Endlagerung des Atommülls geht dann der Staat mit in die Haftung. Die Unternehmen werden dafür einen Teil ihrer Rückstellungen plus einen Risikoaufschlag zahlen. Oder anders formuliert: Weil bei den Energieversorgern nichts mehr zu holen ist, wird faktisch am Ende der Steuerzahler für die Endlagerung aufkommen.
Das alles wäre anders gelaufen, hätte die Bundesregierung die Unternehmen schon vor Jahren verpflichtet, ehrlich zu kalkulieren. Sie hätte darauf bestehen müssen, dass die Energieversorger in den guten Zeiten ihr Geld nicht ganz so großzügig an die Aktionäre ausschütten, sondern einen guten Teil davon in einen externen Fonds abgeben. Dann wäre es heute verfügbar – und ganz nebenbei hätten in der Zwischenzeit alle erfahren, wie teuer Atomstrom wirklich ist. Das wäre sicher auch für Beobachter aus anderen Ländern, die erst sehr viel später mit der Produktion von Atomstrom begonnen haben, interessant gewesen. Vielleicht hätten sie sich dann den Einstieg in die Atomkraft noch ein zweites Mal überlegt.
Heute betreiben 31 Länder weltweit 438 Reaktoren, und immer noch denken Regierungen wie die in China oder Indien darüber nach, neue Kraftwerke zu bauen. Es wäre hilfreich, wenn denen jemand laut und deutlich erklären würde, was gerade in Berlin passiert und was sie das Vergnügen am Ende wirklich kostet. Dann würden sich solche Pläne vielleicht schneller von selbst erledigen.
Eigentlich wäre das doch mal ein sinnvoller Kommunikationsjob für die deutschen Botschafter in aller Welt. Oder für Entwicklungshelfer. Frei nach dem Motto: Von Deutschland lernen ...
Kommentare
Das haben die Atomkraftgegner schon vor 40 Jahren vorhergesagt.
Der Energiemarkt darf kein rechstfreier Raum sein!
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Die Gewinne sind privat verteilt, die Kosten werden sozialisiert! Vorhersehbar seit dem der 1 Meiler ans Netz ging. Das gleiche Spiel wie bei Kohle, Banken usw.
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Wenn die Konzerne das nicht zahlen können sollten wenigstens die Vorstände wegen Betrugs und Umweltkriminalität in den Knast gehen. Wenistens in der Richtung Insovenzverschleppung müsste da was drin sein. Zu wenig Rückstellungen für "besenreine" Aufräumen ist kein lässlicher Fehler!
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Gruss Sikasuu
"Teuer" wird der Ausstieg nur, weil sichere Kraftwerke vorzeitig und unnötig abgeschaltet werden und das Endlager Gorleben aus politischen Gründen blockiert wird. Die Erkundung von Gorleben haben die Kraftwerksbetreiber zu ca. 95% gezahlt - und nach Angaben der Anstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe spricht bisher nichts gegen eine Einlagerung in Gorleben - aber das wollen grüne Ideologen ja nicht hören.
"Trotz der noch nicht abgeschlossenen Erkundung des Salzstocks Gorleben kann nach den bisherigen Untersuchungen festgestellt werden, dass aus geowissenschaftlicher Sicht keine Erkenntnisse gegen die Eignungshöffigkeit des Salzstocks vorliegen."
http://www.bgr.bund.de/DE...
Selbst wenn Gorleben geeignet wäre und selbst wenn die Kraftwerke noch 10 oder 20 Jahre laufen dürften:
Wer zahlt denn für den Rückbau und die Einlagerung (Erkundung ist keine Einlagerung!)?
Der Rückbau eines einzigen Kraftwerks kostet irgendwo zwischen 2 und 5 Milliarden. Wieviel kostet denn die Endlagerung für die nächsten 100.000 Jahre? Oder sind Sie so naiv zu glauben, dass einmal unter der Erde sich das Problem für immer gelöst hat? Wenn mir jedenfalls jemand solchen Irrsinn verzapft, dass dem so wäre, kann ich nur noch mit dem Kopf schütteln.
Mit den Kosten für Rückbau und Endlagerung hat sich bis heute kein einziges Kernkraftwerk gerechnet. Und selbst der Bau war oft massiv staatlich gesponsert. Also, machen Sie doch erstmal eine ganzheitliche wirtschaftliche Betrachtung, das würde vielleicht sogar Ihren Blickwinkel neu justieren.
Die Endlagerung ist bekanntermassen ein rein politisches und kein technisches Problem. Nachdem der Bevölkerung überall eingeredet wird wie gefährlich die Sache sein soll, ist es klar, dass sich da Widerstand bildet, der solche Projekte verhindert.
Dieses jahrzehntelange Gezerre um die Endlagerung kostet natürlich. Und nur unter diesem Aspekt wird Atomstrom teuer. Letztlich sind Politik und organisierter Widerstand an der Problematik schuld und nicht die Erzeuger. Wer diese sogenannte Energiewende beklatscht, braucht sich nicht beschweren, dass er jetzt dafür auch bezahlen muss - sowohl für das Neue als auch für fehlgesteuerte Altlasten.
Entfernt. Bitte verzichten Sie auf Spekulationen. Danke, die Redaktion/og
Wenn ich den Beitrag von Fr. Pinzler lese, dann frage ich mich unwillkürlich:
Was ist der Sinn einer Kolumne?
[...]
Wo ist der überhastete und unsinnige Ausstieg aus der Atomenergie, wenn rundherum die Atomkraftwerke laufen?
Wo ist die Netzproblematik, die bis heute die verstreute Landschaft der erneubaren zusammen fassen soll und den zunehmenden und kostspieligen Leerlauf der tollen Windkraftwerke verhindern soll?
Wo ist die Verantwortung der Stromkonzerne für unsere Versorgungssicherheit, die in dieser wirren Planwirtschaft versuchen zu retten was zu retten ist?
Etwas Beschäftigung mit diesen Themen hätte eventuell den Titel gerechtfertigt.
Gekürzt. Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen gegenüber der Autorin. Danke, die Redaktion/og
Zu Ihren Stichpunkten kann ich mich nicht äussern, weil ich nicht die jeweiligen Punkte begreife, den Sie machen wollen. Sie werden da leider nicht konkret.
Alle Aspekte sind nicht betrachtet worden, das stimmt.
Der Kommentar ist aber als solcher schlüssig aufgebaut. Selbstverständlich unter Annahme bestimmter Voraussetzungen.
Die lauten ungefähr: Die Atomkraft und vor allem deren Folgekosten sind nicht beherrschbar. Daraus wird abgeleitet, dass die Subventionierung der Technik und die nur so mögliche Einführung besser unterblieben wäre.
Diese Annahmen greifen ein wenig zukünftiger technologischer Entwicklung vorweg, aber ich denke, man kann sie angesichts der bisherigen Geschichte so machen.
Insgesamt scheint es mir auch, dass der Artikel eine insgesamt recht lebhafte und rationale Diskussion über Verantwortung für die Einführung Technologie und aber auch mittelfristigen Entwicklungen in diesem technologiefeld angestoßen hat.
Ich bin dafür sowohl der Autorin, als auch den Forenkommentatoren dankbar.
Ich hatte etwas Bedenken, den Kommentar anzuklicken, weil ich von der Kollumne fünf vor acht eher ideologische Schlammschlachten, auch in den Kommentaren erwartet hatte.