Die Europäische Kommission beklagt die anhaltend schwachen Investitionen in Europa – und hat die vermeintliche Lösung dafür schon parat: Die Unternehmen sollen ihre Investitionen in Zukunft unabhängiger von Bankkrediten finanzieren können. Denn, so die Argumente der Kommission, die Banken vergäben wegen der faulen Papiere in ihren Bilanzen zu wenige Kredite an Unternehmen. Außerdem erschwerten zu strenge Regeln die Finanzierung von Investitionen.
Nun sollen die aus der US-Immobilienkrise berüchtigten Verbriefungen – die Bündelung, Verpackung und der Verkauf von Krediten unterschiedlicher Qualität – neu belebt werden. Sie sollen es ermöglichen, Kreditrisiken über Ländergrenzen hinweg zu verteilen. Das mache die Unternehmensfinanzierung unabhängiger von der nationalen Konjunktur, argumentiert die EU-Kommission. Ihr Ziel ist also eine Kapitalmarktunion.
Über die Verbriefung von Krediten könnten sich Banken zudem fauler Papiere entledigen. Institutionelle Investoren wie Pensionsfonds oder Schattenbanken könnten Verbriefungen kaufen, Liquidität erhöhen und somit den Banken die Kreditvergabe erleichtern, erklärt die Kommission. Darum würden insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) von der Kapitalmarktunion profitieren.
Investitionen durch Finanzakrobatik?
Doch die Argumente der Kommission überzeugen nicht. Die schwachen Investitionen in der EU haben nichts mit einer unzureichenden Entwicklung der Kapitalmärkte oder einer zu strengen Regulierung von Banken zu tun. In den USA ist seit dem Dodd-Frank Act die Regulierung der Banken in vielen Bereichen sogar strenger als in der EU. Dennoch hat sich seit der Krise der Bankkredit dort dynamischer entwickelt als die Finanzierung über Kapitalmärkte.
Hinzu kommt: In Europa sind die Unternehmen im Schnitt noch kleiner als in den USA, denn die Märkte in der EU sind aufgrund verschiedener Rechtsordnungen und Sprachen regionaler. Die unterschiedlichen Insolvenzordnungen erschweren Investoren hier eine grenzüberschreitende Beurteilung der Risiken, und für kleinere Unternehmen ist der Zugang zum Kapitalmarkt mit höheren Kosten für Publizitätspflichten oder externe Ratings verbunden.
Doch selbst in den USA spielen die Kapitalmärkte für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) kaum eine Rolle. Daher räumte der ehemalige EU-Finanzmarktkommissar Jonathan Hill im Februar 2015 in einer Rede am Brookings-Institut in den USA auch ein, dass die Kommission die KMU nur anführe, weil man dies in Europa so machen müsse, wolle man politisch etwas durchsetzen.
Auch mit Regulierungsdichte lassen sich die Unterschiede in der Kreditvergabe innerhalb der EU – etwa zwischen italienischen oder deutschen Banken – nicht erklären. Auch ohne Kapitalmarktunion wurde vor der Krise in der EU stärker investiert als heute. Und es war gerade die starke Vernetzung der Banken mit den Kapitalmärkten und die unzureichende Trennung des Investmentbanking vom klassischen Kredit- und Einlagengeschäft, die zu einer systemischen Bankenkrise führten.
Risiken werden gestreut
Die EU-Kommission versichert, sie wolle nur die Zertifizierung einfacher, sicherer und transparenter Verbriefungen (STS) ermöglichen – und die seien nicht mit US-Hypothekendarlehen minderer Qualität vergleichbar. Doch daran sind erhebliche Zweifel angebracht. Investoren trauen Verbriefungen offenbar nicht, sonst wäre ihre Förderung durch regulatorische Anreize, etwa beim Eigenkapital, nicht nötig.
Die Kommission schafft vielmehr Anreize, das unternehmerische Prinzip der Haftung weiter aufzulösen. Bei der Verbriefung für sogenannte Junior-Tranchen – nachrangige Papiere, bei denen im Fall eines Kreditausfalls die ersten Verluste anfallen – sollen die Verkäufer nur fünf Prozent der Tranche in ihren eigenen Büchern halten müssen. Das regt dazu an, anderen die faulen Eier unterzujubeln. Außerdem lösen sich faule Kredite nicht einfach in Luft auf, wenn Banken diese über Verbriefungen abstoßen. Sie werden vielmehr weitergereicht wie eine heiße Kartoffel. Risiken werden gestreut. Das ist, als stellte man in einer Arztpraxis mit Grippepatienten die Klimaanlage an.
Die Gründe für die schwache Kreditvergabe der europäischen Banken und für die höhere Wachstumsdynamik in Amerika sind schlicht: Die USA haben nach der Krise ihre Banken unter öffentlicher Regie beherzter ausgemistet. Währenddessen setzte die EU vor allem auf die Kürzung von öffentlichen Investitionen, Löhnen und Renten. Das dämpft die Nachfrage und somit die Investitionsbereitschaft von Unternehmen. Wie eine Umfrage der EZB ergab, betrachten Unternehmen als ihr größtes Problem daher nicht den Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten, sondern fehlende Absatzchancen.
Der Schlüssel zu mehr privaten Investitionen in der EU sind darum öffentliche Investitionen. Nur dann können Banken aus den faulen Portfolios herauswachsen. Wir brauchen zudem eine Neuordnung des Bankensektors: Banken, die zu groß und zu vernetzt zum Scheitern sind, müssen aufgespalten werden, um eine glaubwürdige Haftung von Eigentümern und Aktionären und somit einen Abbau der faulen Papiere zu ermöglichen. Die EZB sollte generell Risikopapiere nur dann in ihre Bilanz nehmen, wenn die Banken auf strikte Investitionsziele verpflichtet werden. Wir brauchen zur Finanzierung von Investitionen wieder mehr boring banking: mehr Sparkasse statt mehr Finanzmarkt.
Kommentare
Ein sehr kluger Beitrag der beiden Verfasser, die Risiken und Nebenwirkungen dieser beabsichtigen Bankenunion' treffend skizzieren.
In der Tat schafft die Kommission vielmehr Anreize, das unternehmerische Prinzip der Haftung weiter aufzulösen, und durch die Vernetzung wieder einen Popanz zu erschaffen, der dann wieder "too big to fail" sein wird, mit der Folge, dass die Fehler und Verluste dann wieder von den Volkswirtschaften der Länder unabhängig davon, wer und wo die Karre vor die Wand fährt, getragen werden müssen.
Ein Rückschritt in alte Fehler und Denkweisen.
"...wegen der faulen Papiere in ihren Bilanzen..."
...dürfte es sinnvoll die selben Banken, in denen manchmal die selben Leute sitzen, die mit dem Geld der Steuerzahler gespielt und gut daran verdient haben, die jetzt nach neuen Zahlern (Gläubigern) ihrer von ihnen verursachten Schulden schreien, für die sie so gar nicht haftbar gemacht werden (können) - weil das ein rein politischer Wille ist - , gar nicht mehr geben. Und die Regeln wurden nicht einmal geändert!
Die "Kapitalmarktunion" wird so gut für den Bürger sein, der brav Steuern zahlt, wie die nicht eingehaltenen Verträge von Lissabon, Schengen, Dublin, usw. Es ließ sich halt "politisch durchsetzen" - an einer Einhaltung war man nicht so interessiert im Ernstfall.
Banken, die kein Geld verborgen können, sind ja wohl ein Witz! - Man kommt sich veralbert vor ohne Ende!
Danke an die Autoren, das zu kritisieren!
Das was dort beschrieben steht ist doch nur die logische Konsequenz aus den bisherigen Maßnahmen. Diese konnten nicht fruchten - wurde auch zumindest im Forum oft und bis zur Erschöpfung begründen. Und eben weil die bisherigen Maßnahmen nicht fruchten konnten, ist ein "Mehr vom Selben" unausweichlich.
Denn was wäre die Alternative? Richtig? Nicht etwa, es nicht so zu machen oder ein bisschen anders zu agieren. Eine Währungsreform.
Diese kommt aber so oder so. Gottlob haben wir (noch) ein Rentensystem, das nicht kapitalbasiert ist.
@ #2:
Das wäre nicht mal das Problem, denn die Fonds sind nicht bar angelegt, sondern in Aktien etc..
Die Problemeatik ist doch eher eine andere, dass Deutschland immer noch nicht "Stabilitätspolitik" betreiben will. Da man am Fetisch Export hängst.
Die Trennung zwischen Investmentbank und "Vollbank" ist doch gerade das Problem in den USA gewesen. denn die Investmenthäuser haben einfach "gezockt".
Durch math. hochkomplexe Produkte, da wusste am Ende kaum ein "Entwickler" noch was von realer Wirtschaft.
Cryan versucht den Kram jetzt abzuwickeln.
Seit 2013 haben wir in der EU ebenfalls das Trennbankengesetz. Und wie Sie oben lesen konnten, haben die Produkte 2008 lediglich für eine Verteilung der Kreditrisiken gesorgt.
Und eben das ist das sehr wirkungsvolle Prinzip der Krankenkasse, jeder Versicherung insbesondere der Rückversicherung und auch sonst jeder Verteilung !
Nun bin ich sehr überrascht, wie Sahra Wagenknecht und Fabio De Masi diesen komplizierten Sachverhalt in einfachen Worten darlegen können. Danke für diesen Artikel !
Leider stimmt darin Wesentliches nicht:
"Die USA haben nach der Krise ihre Banken unter öffentlicher Regie beherzter ausgemistet."
Das Gegenteil ist der Fall. In den USA wurden Banken in Schieflage zusammen geschlossen und mit staatlichen Geldern versorgt. Während in der EU über Basel III die Haftung im Eigenkapital der Banken sah und ein BailIn als Ziel sah.
Ferner sind seit Jahren Subprime in den USA wieder Usus. Etwas, was natürlich hier auch die Nachfrage erhöhen würde !
Wenn man das ignoriert, kommt man zu dem falschen Schluss, dass nur "staatliche Investitionen" für Nachfrage sorgen könnten / dürften. Und das ist grundfalscher Unsinn !
"setzte die EU vor allem auf die Kürzung von öffentlichen Investitionen, Löhnen und Renten"
Auch das ist im vergleich falsch. Alleine GM hat durch den Schutz in Chapter11 seine Rentenzahlungsverpflichtungen in Mrd-Höhe entsorgt. Die Lohnhöhen in den USA sind deutlich hinter der Beschäftigungsquote zurück geblieben. Auch der Vergleich ist Unsinn.
Natürlich wäre eine Diversifizierung der Kreditrisiken eine sinnvolle Möglichkeit, die Vergabe- und Risikofreude zu erhöhen. DAS - und die hohen bislang noch staatliche getragenen Studentenkredite - ist die Besonderheit des US-Aufschwungs. Eben NICHT staatliche Dominanz. Die stärkste Bank der USA ist auch die größte der Welt.
Sorry, das ist leider wieder ein Wagenknecht-Artikel: Viel Wind in die falsche Richtung.