Dieser Text ist ein Auszug aus Alexander Hagelükens Buch "Das gespaltene Land".
Jemand hat blütenweiße Wolken auf den Himmel über Berg-Kempfenhausen gemalt. Rechts von der Straße leuchtet der Starnberger See. Links erheben sich hinter Hecken und diskreten Kameras grandiose Villen, gern in Ockergelb. Hier möchte man wohnen. Die Bewohner pflegen ein entsprechendes Selbstverständnis. Wer eine Stunde entlang der Seestraße in Berg spaziert, begegnet gleich mehreren Limousinen mit dem Nummernschild STA-R. Die Botschaft ist klar: Hier ist jeder ein Star.
Die Orte um den See sind das Revier von Carmen Gottschalk. Die Luxusmaklerin legt Wert auf die Feststellung, ihre Klientel sei keineswegs geltungsbedürftig. Am See siedelten Familien, die ihre Kinder normal aufwachsen lassen wollten. "Das ist keine Champagnergesellschaft", beteuert Gottschalk. "Man ist sehr downgesized und möchte es auch sein."
Wenig downgesized sind die Summen, die um den See herum bewegt werden. Die Preise von Grundstücken in guten bis sehr guten Lagen haben sich binnen fünf bis zehn Jahren mehr als verdoppelt. Gerade hat Gottschalk das Anwesen einer Familie für mehrere Millionen verkauft, Minimum doppelt so teuer wie beim Erwerb. Am anderen Ufer bietet sie ein Objekt als "Villenhälfte" an, das anderswo in Deutschland Doppelhaushälfte hieße. Nur dass es anderswo vermutlich weder Natursteinterrasse noch frei stehende Badewanne hätte – und auch keine 1,4 Millionen Euro kosten würde. Der Verkäufer, ein internationaler Manager, hat in der Nähe für mehr als eine Million Euro ein Grundstück mit Seeblick erworben. Darauf war nur ein Haus mit läppischen 70 Quadratmetern genehmigt. Also arbeitete er ein paar Jahre daran, dass die Behörden den Plan änderten. Wer beim Immobilien-Monopoly rund um den Starnberger See mitspielt, kann es sich leisten, eine Million jahrelang herumliegen zu lassen.
Völlig anders wird im Rathaus von Pirmasens gerechnet, Deutschlands höchstverschuldeter Stadt, in der jedes dritte Kind unter 15 von Hartz IV lebt. Bürgermeister Bernhard Matheis kalkuliert ganz vorsichtig, wenn es um sein Förderprojekt für sozial schwache Familien und ihre Kinder geht. In seinem Büro im Rathaus würde es der Bürgermeister schon für einen Erfolg halten, wenn jedes vierte betreute Kind überhaupt eine Ausbildung schafft.
In ihrem Büro in Berg-Kempfenhausen wartet die Maklerin Carmen Gottschalk darauf, dass die nächsten Anfragen hereinkommen. Vielleicht für den "repräsentativen Familien und Firmensitz" für 3,3 Millionen? Oder den "Meister der Form – Villa in Bestlage Starnberg" für 3,85 Millionen? Oder doch für das "Meisterstück für Wohnästheten und Autoliebhaber" für 8,4 Millionen?
Geld war immer da in Deutschland, aber seit einiger Zeit entwickelt sich das Land auseinander. Das Vermögen der oberen 20 Prozent stieg nach der Jahrtausendwende deutlich, während die unteren 30 Prozent nichts haben oder sogar Schulden. In keinem deutschen Landkreis sind die Bewohner so kaufkräftig wie in Starnberg: Jeder hat monatlich knapp 3.000 Euro zum Ausgeben, fast doppelt so viel wie ein Durchschnittsdeutscher. In Pirmasens sind es noch weniger.
Das Starnberger Landratsamt residiert an der Strandbadstraße. Es räumte mit seinem japanischen Baustil Architekturpreise ab und liegt an einem Kanal wie Klein-Venedig. Landrat Karl Roth empfängt den Besucher freundlich. Der frühere Kripobeamte wirkt unprätentiös.
Wenn Roth auf andere Landräte aus Bayern trifft, gucken die ihn manchmal auf bestimmte Weise an. Ja, der aus Starnberg. Sie müssen Schulen zusammenlegen und Schwimmbäder schließen. Die örtliche Klinik macht zu, der Bus fährt nicht mehr. "Deine Probleme möchte ich haben", sagen sie zu Roth. Roth erwidert, dass er eben andere Probleme hat. Das Anspruchsdenken mancher Landkreisbewohner etwa. Viele melden sich gleich, wenn ihnen eine Kleinigkeit nicht passt. "Die rühren sich massiv." Und wollen direkt mit dem Landrat sprechen. Wenn einer zehn Jahre mit Blick auf die Zugspitze wohnte, soll das so bleiben, da soll bloß kein anderer bauen. In keinem anderen Landkreis gibt es so viele Klagen wegen Bauplänen, entweder von Bauherren oder Anwohnern.
Roth weiß natürlich, dass andere Landräte trotzdem gern mit ihm tauschen würden. Und er tut gemeinsam mit seinem Wirtschaftsförderer Christoph Winkelkötter eine Menge, um die Wirtschaftskraft im Landkreis zu halten. Schnelles Internet, flächendeckend Kitas, Ortsumfahrungen. Der Landkreis hat im vergangenen Jahrzehnt noch mal richtig Schwung aufgenommen: Zehntausend neue Arbeitsplätze, ein sagenhaftes Drittel mehr. Darunter viele Premium-Stellen in Forschung und Entwicklung. Gern erzählt Roth von hidden champions, die weltweit Erfolg haben, ob mit Satelliten, Entgiftungsanlagen oder Medizindisplays. Den Verantwortlichen gelang es auch, die Attraktivität des Landstrichs an den Seen nahe der Alpen zu bewahren. Zwischen den Ortschaften gibt es viel Grün statt Zersiedelung, in den Orten Geschäfte statt Discounter außerhalb. Deshalb ziehen weiter die Reichen und Schönen her. Deshalb wohnen hier Schlagersternchen und Industrielle genauso wie der Philosoph Jürgen Habermas.
Kommentare
"Glück" und Reichtum gehen selten zusammen, auch am Starnberger See nicht.
Ich hab da mal für eine Weile beruflich zu tun gehabt und kenne die Gestalten, die da um den See wohnen zum Teil.
Im Schnitt habe ich da deutlich mehr Unglück gesehen als anderswo. So viel Neid, Missgunst, Geiz, Gereiztheit und Misstrauen wie da, habe ich selten erlebt.
Von außen sieht das alles gut aus.
Dahinter gibt es eine große Schlangengrube des Bösen und Kranken.
Na dann ist ja alles super die Armen kommen grade so über die Runden und am Starnberger See ist es halt auch nicht immer einfach.
Warum sollte mich interessieren was "Reiche" am Starnberger See machen ? Reiche die ihre Kohle ausgeben sind doch ok, gibt Arbeit für Makler, Autohäuser und Handwerker. Selbst die Gala Bauer kriegen ihren Teil ab. Bloss nicht soviel Neid !!!
""Reiche die ihre Kohle ausgeben sind doch ok, gibt Arbeit für Makler, Autohäuser und Handwerker. Selbst die Gala Bauer kriegen ihren Teil ab. Bloss nicht soviel Neid !!!""
Also arbeiten wir, damit Reiche ihr von uns erarbeitetes Geld ausgeben können, um uns weiter mit Arbeit zu versorgen. Und wenn wir die Reichen dazwischen lieber weglassen würden, damit wir das von uns erarbeitete Geld selber ausgeben können, dann ist das Neid?
Sorry, kann ihrer Logik nicht folgen.
Der neoliberale, entsolidarisierte Ungeist, der vor allen Dingen im konservativen, wohlhabenden Lager sichtbar wird, ist schon im unmittelbaren Umfeld und nicht nur am Starnberger See sichtbar:
Sei es das regelmäßige Dreinschlagen auf Schwächere (z. B. Hartz 4-Bezieher oder Migranten) der Gesellschaft (bei gleichzeitiger Schonung oder gar heimlicher Bewunderung unsolidarischer Eliten).
Oder die Eltern, die gar nicht früh genug damit beginnen können, ihre Kinder in der Schule möglichst zeitig "nach unten" abzugrenzen - auf dass die eigene Brut sich möglichst effektiv von der Unterschicht trenne... .
Bis hin zum 2 Tonnen-SUV-Fahrer, der sich wie selbstverständlich herausgreift, die Busspur als persönliche Beschleunigungsspur zu missbrauchen.
Es wimmelt um uns herum von Ichlingen, die noch nicht einmal andeutungsweise das Prinzip Gemeinwohl vor Eigennutz reflektieren und die ihr Leben und vor allen Dingen auch die zu wählenden Parteien nach dem Prinzip der eigenen Gewinnmaximierung ausrichten.
Und die genau deshalb auch die Gesellschaft mit ihrem persönlichen Selbstbedienungsladen verwechseln und keinen Gedanken daran verschwenden, der Gesellschaft, die sie zu dem gemacht hat, was sie sind, eine solidarische Form von Demut oder Dankbarkeit entgegenzubringen oder sich gar irgendwie verpflichtet zu fühlen...
++ Und die genau deshalb auch die Gesellschaft mit ihrem persönlichen Selbstbedienungsladen verwechseln und keinen Gedanken daran verschwenden, der Gesellschaft, die sie zu dem gemacht hat, was sie sind, eine solidarische Form von Demut oder Dankbarkeit entgegenzubringen oder sich gar irgendwie verpflichtet zu fühlen... ++
Stimmt doch garnicht!
Die Oberschicht ist so gütig und lässt ihre Mitmenschen in IHREN Unternehmen arbeiten!
Reicht das denn nicht?
Also mir gefällt es im Landkreis Starnberg, man hat die Seen, ist schnell in München und schnell in den Bergen, das einzig negative sind die hohen Kosten.
Aber ist ja klar wo es schön ist wollen halt viele hin...
So isses! Ach ja, auch in München lässt es sich noch ganz gut leben... ;-)