Das Ergebnis der Bundestagswahlen war eine Überraschung mit Ansage. Seit Langem war abzusehen, dass in Deutschland der Protest nicht nur gegen die etablierten politischen Parteien, sondern gegen die sogenannten Eliten aus Politik, Wirtschaft und auch Gesellschaft zunimmt. Wir haben es nur der Zerstrittenheit der AfD zu verdanken, dass diese nicht an ihre Ergebnisse in manchen Landtagswahlen anknüpfen konnte und noch stärker wurde.
Wie soll die Politik, vor allem die nächste
Bundesregierung, mit diesem Rechtsruck und der zunehmenden gesellschaftlichen
Polarisierung umgehen? Meine Sorge ist, dass die neue Bundesregierung auf die
Wahlen mit mehr Klientelpolitik und einer zunehmend nationalistisch geprägten
Wirtschaftspolitik reagiert. Es drohen Steuersenkungen, mehr Sozialtransfers
und eine nach innen gerichtete, eher antieuropäische, migrationsfeindliche
Politik. Dies wäre jedoch schädlich und kontraproduktiv und würde langfristig
die Spaltung der Gesellschaft vertiefen und die rechtsextremen Kräfte stärken.
Zuerst einmal sollte die Politik ehrliche
Ursachenforschung betreiben und erkennen, dass die hohe soziale und
wirtschaftliche Ungleichheit der Grund für die zunehmende gesellschaftliche
Polarisierung ist. Die Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen ist so ausgeprägt
wie nie zuvor. Dabei ist Ungleichheit per se erst einmal weder gut noch
schlecht. Eine gewisse Ungleichheit kann nämlich die natürliche
Begleiterscheinung eines fairen Marktwettbewerbs sein. Aber in Deutschland
spiegelt die Ungleichheit immer mehr eine fehlende Chancengleichheit und eine
geringe soziale Mobilität wider. In kaum einem anderen Industrieland bleibt arm
so häufig arm und reich so häufig reich.
Unerreichbarer Traum vom Aufstieg
Einkommen und Vermögen der Menschen hängen in
Deutschland vom Elternhaus und von der sozialen Herkunft genauso stark ab wie in den USA. Dort ist der
Traum, "vom Tellerwäscher zum Millionär" aufsteigen zu können, für die
allermeisten genauso außer Reichweite wie hierzulande. Vor allem die
Bildungschancen sind in Deutschland sehr ungleich verteilt: 70 Prozent der
Akademikerkinder, aber nur 20 Prozent der Arbeiterkinder gehen zur Universität.
Nur jeder vierte junge Deutsche schafft es heute, einen besseren
Bildungsabschluss zu erlangen als seine Eltern.
Am Gesamturteil lässt sich nicht rütteln: Die
Ungleichheit in Deutschland ist zu einem erheblichen Maße nicht das Produkt
einer funktionierenden sozialen Marktwirtschaft, sondern spiegelt vor allem
eine fehlende Chancengleichheit wider. Viele würden entgegnen, dass Deutschland
heute wirtschaftlich hervorragend dasteht mit guten Wachstumszahlen und einer
niedrigen Arbeitslosenquote, nach dem Motto "Sozial ist, was Arbeit schafft".
Diese Behauptung ignoriert, dass viele am Boom nicht teilhaben können.
Die Halbierung der Arbeitslosenquote seit 2005 kam mit einem hohen Preis. Mehr als jeder Fünfte arbeitet in atypischer Beschäftigung und hat Schwierigkeiten, mit seiner Arbeit ein Auskommen für sich und seine Familie erzielen zu können. Die Lohnschere ist in den vergangenen 20 Jahren deutlich auseinandergegangen. Steuert die Politik nicht entgegen, wird sich diese Polarisierung in den kommenden Jahren und Jahrzehnten durch Globalisierung, Digitalisierung und die Aufnahme von Geflüchteten weiter verschärfen.
Wie irrsinnig eine Politik ist, die die Menschen durch
soziale Transfers versucht ruhigzustellen, wird am Profil der AfD-Wählerinnen
und -Wähler offensichtlich. Diese sind vor allem Menschen, die wirtschaftlich
und sozial abgehängt sind, oder Sorge haben, es zu werden. Viele leben in
strukturschwachen Regionen – zum großen Teil in Ostdeutschland. In Sachsen wurde
die AfD gar stärkste Partei.
Kommentare
"Die AfD feiert also dort ihre Erfolge, wo Menschen schon stark vom Sozialstaat abhängig sind."
Wie in Ingolstadt zum Beispiel? Oder anderen bayerischen Kreisen?
Entfernt. Bitte verzichten Sie auf Spekulationen. Die Redaktion/ja
Vor allem die Bildungschancen sind in Deutschland sehr ungleich verteilt
In Deutschland fehlen vor allem qualifikationsgerechte Jobs für die Gebildeten, die häufig "unterwertig", also deutlich unter ihrer Qualifikation oder in Praktika, Volontariaten, Traineeships, der Zeitarbeit oder niedrig entlohnten Kettenbefristungen arbeiten müssen. Davon ist der Nachwuchs der Oberschicht natürlich nicht betroffen, da dieser in guten Positionen "untergebracht" wird.
Es fehlt an Zivilcourage.
Jeder, der einen Job aufgedrückt bekommt oder machen muss, der ihm nicht gerecht wird sollte augenblicklich aufhören zu arbeiten. sich weigern, in den Widerstand gehen. So lange man das mit macht braucht man nicht erwarten, dass andere für einen die Eisen vom Feuer holen. Die Leute lassen das mit sich machen und damit tragen sie zu dieser Situation bei.
Das ist das Problem, warum es in Deutschland einfach keinen Spaß mehr macht zu leben. Nicht die Flüchtlinge, sondern der Feind der sozialen Marktwirtschaft, der Mensch.
https://www.youtube.com/w...
Es gibt in D praktisch keine Soziale Martwirtschaft mehr.
Dazu Max Otte: Ab 6:10 und 25:30: https://www.youtube.com/w... und
Die Gebildeten, von denen Sie sprechen, haben schlicht die falschen Fächer studiert, von denen sie vor Studienbeginn hätten wissen können, dass es für deren Absolventen deutlich weniger Stellen gibt als Studienabsolventen. Es mag eine freie Berufswahl geben, aber es gibt eben auch einen Arbeitsmarkt. Und für Historiker, Islamwissenschaftler und Germanisten ist der halt nicht groß. Ging mir damals auch so, also habe ich etwas anderes studiert und diese Fächer dem Seniorenstudium vorbehalten.
Es geht um die frühere Arbeiterschicht, also Facharbeiter und vor allem Niedrigqualifizierte und deren Nachwuchs. Diese Leute wollen arbeiten, aber dort wo sie leben, sind die Firmen abgewandert, sie gelten als zu alt usw.. Ihre Kinder kommen aus der Situation nicht raus. Die Eltern können sie in der Schule nicht unterstützen, Schule funktioniert aber immer noch so, dass die Eltern massiv dahintersitzen müssen, wenn die Kinder etwas erreichen sollen. Oft sind die Eltern gar nicht daheim, weil sie sich in Jobs verdingen müssen, damit das Geld reicht. Die Ablenkung durch Smartphone usw. ist groß.
Eine hoher Ausländeranteil in der Klasse führt, wenn einige überhaupt nicht deutsch können, dazu, dass man im Unterricht nicht so weit kommt, wie die Kinder anderer, die in Privatschulen ausweichen. Letzteres ist eher im Westen als im Osten der Fall.
Man sollte das Geld für Förderunterricht und getrennte Klassen aufbringen.
Und sehen, dass alle einen Abschluss und eine Ausbildung erhalten.
Die Gebildeten, von denen Sie sprechen, haben schlicht die falschen Fächer studiert, von denen sie vor Studienbeginn hätten wissen können, dass es für deren Absolventen deutlich weniger Stellen gibt als Studienabsolventen.
Dann haben wohl auch die angeblich so "händeringend gesuchten" MINT-Akademiker die "falschen Fächer" studiert.... In Deutschland ist die Zahl der arbeitslosen MINT-Akademiker in den letzten Jahren deutlich gestiegen:
Job-Garant MINT-Beruf? : Mehr arbeitslose Ärzte, Ingenieure, Chemiker und Informatiker
http://www.faz.net/aktuel...
Akademikerarbeitslosigkeit: Anstieg in den meisten naturwissenschaftlich-technischen Berufen
https://www.diw.de/docume...
In Deutschland arbeiten schon mehr als 100.000 Ingenieure als Leiharbeiter:
http://www.swp.de/ulm/nac...