Die Bilder der Toten lehnen an der Wand, als Mary Barra am Nachmittag den Raum betritt. Fotos der 13 Menschen, die ums Leben kamen, weil die Zündtechnik ihrer Fahrzeuge versagt hatte, Airbags geschlossen blieben oder Lenkräder und Bremsen blockierten. Auf dem Kapitolhügel in Washington soll die Chefin des Autobauers General Motors in dieser Woche Antworten liefern – unter anderem auf die Frage, warum der Konzern die Sicherheitsmängel über Jahre verschleppt und verschwiegen hat.
Ein paar Minuten hat die Managerin für ihre Erklärung, für eine Entschuldigung und das Versprechen, das Chaos zu lichten, das ihr die Vorgänger hinterlassen haben. Dann geht es zur Sache. Die Ausschussmitglieder löchern Barra mit detaillierten Fragen, verweisen auf E-Mails und interne Dokumente, zitieren aus mehr als 200.000 Seiten an Unterlagen.
Diesen Abschnitt habe sie selbst noch nicht gesehen, muss die Managerin zugeben, als die demokratische Abgeordnete Diana DeGette aus Colorado sie auf ein Detail in dem Bericht anspricht, der vor ihr liegt. Es ist ein Schlagabtausch, bei dem Barra immer wieder passen muss. Die Abgeordneten meinen es ernst und haben sich vorbereitet. Quälende vier Stunden dauert die Anhörung vor dem Repräsentantenhaus, an diesem Donnerstag wird es vor dem Senat in die zweite Runde gehen.
"Barry würde sicher keine Pressekonferenz geben"
Seit den siebziger Jahren gehören Anhörungen wie die zu GM fest zur amerikanischen Politik. Damals, auf dem Höhepunkt des Watergate-Skandals, zitierten die Politiker Personen aus dem Umfeld des Präsidenten gleich reihenweise auf den Kapitolhügel und zogen die Schlinge in den Ausschüssen immer enger. Am Ende ging es nur um eines: "Was wusste der Präsident und wann wusste er es?" Die Antwort darauf kostete Nixon den Job.
"Heute führen die Anhörungen quasi ein Eigenleben, obwohl sie in der Verfassung in dieser Form gar nicht vorgesehen sind", erklärt Peter Henning, Professor für Unternehmensrecht an der Wayne State University in Michigan. Apple-Chef Tim Cook musste sich vor knapp einem Jahr vor dem Kongress rechtfertigen, weil sein Konzern Milliardengewinne im Ausland geparkt und so Steuern in den USA vermieden hatte.
Jamie Dimon, Chef der Großbank JPMorgan Chase, schwitzte 2012 wegen der Milliardenverluste im Derivategeschäft vor dem Kongress. Erst vor wenigen Wochen traf es Credit-Suisse-Chef Brady Dougan. Die Schweizer Bank soll Amerikanern im großen Stil bei der Steuerhinterziehung geholfen haben. Und die Chefs der großen US-Banken waren im Zuge der Finanzkrise fast häufiger in Washington als an der Wall Street.
Bei den Anhörungen, so Henning, gehe es vor allem darum, Probleme ins öffentliche Licht zu rücken und Unternehmen zu zwingen, Antworten zu liefern. "Sie sind ein sehr wirksames Mittel, um herauszufinden, was schief gelaufen ist." Hier herrsche ein Maß an Formalität und öffentlichem Druck, das man anderswo kaum erreichen könne. "Von alleine würde Mary Barra sicher nicht auf die Idee kommen, zu den Problemen bei GM eine Pressekonferenz einzuberufen", sagt Henning. In Washington dagegen hat sie keine Wahl. Die GM-Chefin steht unter Eid, was sie sagt, kann – und wird – irgendwann gegen sie verwendet werden.
Kommentare
Das Schöne bei diesen
Anhörungen ist, dass man diese Anhörungen meist auf C-SPAN live sehen kann. In D würde die Handtasche brennen, wenn solche Anhörungen übertragen werden. Über die Eidfrage und die rechtliche Implikationen gar nicht erst zu reden.
Interessant...
ganz spontan denke ich, dass uns eine solche Institution auch gut tun könne.
Fehlendes Verständnis für Zahlen....
Erschreckend ist, wie teuer bezahlte Menschen jegliches Verständnis für Zahlen und ihre Bedeutung verloren haben, wie sie jegliches Gefühl für Moral und Ethik beim Tanz ums goldene Kalb verloren haben.
Wir lassen uns von einer Elite mehrheitlich führen, die uns als Masse sieht, bei der es um einen Toten mehr oder weniger nicht ankommt. Es zählt nur der Gewinn des Konzern und die eigenen Boni. Einen inneren Wert haben weder die Produkte noch die eigenen Taten. Hier wird nur noch der finanzielle eigene Erfolg hinterfragt, alles andere im Leben ist wertlos geworden. Lieber pro Auto einen Dollar sparen und damit insgesamt 1 Million mehr einnehmen, solange der Schaden nur bei den Kunden hängen bleibt.
Dabei zeigt die Rückrufaktion nun, dass der Schaden auch im Unternehmen finanziell irgendwann ankommt. Doch die Manager, die diesen Schaden angerichtet haben, sind mit sechs- und mehrstelligen Einkommen schon von Bord, das Desaster überlassen sie ihren Nachfolgern.
Wir leben im Zeitalter des Raubritter-Kapitalismus. Menschen, die man unter anderen Umständen wohl eher als Diebe und Mörder denn als ehrenwerte Mitbürger ansehen würde, bestimmen im globalen Wettkampf um den Tand der großen Zahlen die Geschicke dieser Welt.
Fehlendes Verständnis für Zahlen
habe ich auch. Wir reden bei schätzungsweise 30 Millionen verkauften Fahrzeugen in den letzten 10 Jahren auf dem amerikanischen Markt von 13 Todesopfern.
Jeder einzelne Fall ist natürlich zutiefst bedauerlich. Aber jetzt so zu tun als bestünde der Konzern aus verantwortungslosen Raubtierkapitalisten und als würde der Konzern Killermaschinen produzieren, schießt über das Ziel hinaus.
Das gibts hier nicht
So etwas gibst hierzulande m. E. nicht. Und das ist in USA nicht zunehmend sondern war immer so, wenn Mängel auf zu viele Menschen betreffen. Im Bild sah man sogar ein Mitglied mit einem Gerät in der Hand. Die Zunahme liegt vermutlich an zunehmender schlampiger Arbeit.
Hierzulande wird mehr um die politische Wirkung der Weltanschauungen und Parteikonsequenzen gerungen als untersucht. Klar versucht man auch in USA politische Süppchen zu kochen, aber es geht in erster Linie um die Sache.
Der Verbaucherschutz, siehe Ralph Nader, ist von Anfang an auch privat gewesen und mussste sich privat finanzieren. Das bedeutet einen ganz anderen Rückhalt in der Bevölkerung als die Delegation an staatliche oder quasi staatlcihe Einrichtungen wie in Deutschland, wo leider machmal mehr um Weltanschauung geht als um sachliche Aufklärung.