Zeigt her eure Helden! Und Russland zeigt stolz: Michail Kalaschnikow, Ingenieur, Kriegsversehrter und Waffenkonstrukteur. Am 10. November wäre er 100 Jahre alt geworden. Kalaschnikow hat das Sturmgewehr AK-47 erfunden, das immer weiter entwickelt wurde, doch in seinem Wesen russisch blieb. Es gilt als in seiner Robustheit genial – "ein Symbol der soldatischen Schläue und russischer Pfiffigkeit", nannte es Sergej Medwedjew, Professor für Sozialwissenschaften in Moskau. Die Kalaschnikow ist eine Retrowaffe in der Gegenwart. Sie trotzt Dreck, Hitze, Kälte. Eine Kalaschnikow ist das, was die Bundeswehr gern zur Hand hätte: ein zuverlässiges und belastbares Gewehr.
Mit Kalaschnikows wurde die Welt geflutet, sie haben Revolutionen gedreht und Drogenkriege entschieden. Über 100 Millionen AKs sollen im Umlauf sein, die Kalaschnikow führt damit das Guiness-Buch der Rekorde der am häufigsten verbreiteten Waffen weltweit an. Osttimor hat die Kalaschnikow in seinem Wappen, Mosambik und die Hisbollah in ihren Flaggen.
Dafür kann Kalaschnikow nicht wirklich etwas. Er war Tüftler, nicht Täter. Aber muss man um den Erfinder einer verheerenden Waffe eine solche kultische Verehrung betreiben, wie sie derzeit in Russland zu erleben ist?
Exerzitien eines neuen Patriotismus
Michail Kalaschnikow wurde stets mit Medaillen behängt – unter Gorbatschow, unter Jelzin, erst recht unter Wladimir Putin. 2016 schon ordnete Putin per Dekret an, den 100. Geburtstag von Michail Kalaschnikow zu feiern. Kurz danach weihte der Kulturminister mit ein paar Vertretern der orthodoxen Kirche mitten in Moskau eine Statue ein: ein Kalaschnikow mit Kalaschnikow.
Nun, im Jubiläumsjahr, gibt es dieser Tage Ausstellungen zu Kalaschnikow im Moskauer Siegespark, Pressekonferenzen mit der betagten Tochter Nelly – und eine sowjetisch anmutende Handreichung mit pädagogischen Empfehlungen für Lehrer: 56 Seiten, die detailliert darlegen, wie Schüler dank Kalaschnikow zu Patrioten erzogen werden sollen. Kalaschnikow solle als "herausragendes Beispiel für die künftigen Generationen" dienen, heißt es darin. Er sei ein "glühender Patriot" gewesen, "der sein Leben für fast ein Dreiviertel des Jahrhunderts in den Dienst der Armee gestellt hat", beseelt "von humanistischen Idealen und Prinzipien" und dabei "außergewöhnlich bescheiden".
Vor allem aber zählt Kalaschnikows Leistung als Waffenkonstrukteur, sein Ruhm, der zum Ruhm des Staates wurde: "Mit dem Sturmgewehr sind jedes Jahr mehr Menschen getötet worden als durch Artilleriefeuer, Luftbombardierungen und Raketenbeschuss. Jedes Jahr sterben durch die AK-Geschosse eine Viertelmillion Menschen", steht in der Handreichung. Doch diese Zahlen lösen keine Gefühle der Schuld, sondern des Stolzes aus: "Bisher hat kein Konstrukteur Vergleichbares geschafft!", heißt es weiter. "Selbst Kalaschnikow sagte: 'Ich werde der Erste sein, der demjenigen die Hand schüttelt, der es besser macht!'"
Diese Kalaschnikow-Verehrung gehört heute zu jenen Exerzitien, mit denen die kommenden Generationen in Russland auf einen neuen
Patriotismus eingeschworen
werden sollen. Dazu gehören der militärische Freizeitpark Park Patriot,
die vor einigen Jahren geschaffene Jugendarmee oder die Eisenbahnzüge, die –
durch Russlands Städte tingelnd – im Syrienkrieg erbeutete Waffen
präsentieren.
Das Sturmgewehr soll ein Accessoire werden
Die Handreichung selbst lässt keinen Zweifel daran, was den Kindern beigebracht werden soll. Mit der Vermittlung patriotischer Werte soll die Persönlichkeit der Schüler geformt werden, Kalaschnikows Werk soll ihnen dafür als patriotisches Beispiel dienen. Dafür darf sogar eine sowjetische Tradition aufleben: Kinder sollen wieder lernen, eine Kalaschnikow zusammen- und auseinanderzubauen. Und am 10. November, dem 100. Geburtstag des Waffenkonstrukteurs, soll in ganz Russland Kalaschnikow im Unterricht behandelt werden.
Aus Kalaschnikows Werk ist mittlerweile ein gewaltiger Konzern entstanden (an dem Kalaschnikow übrigens nichts verdient hat), der zumindest auf dem Papier privatisiert wurde, um den Sanktionen des Westens zu entgehen. Der Bankrott, der noch vor zehn Jahren drohte und dem damals schon betagten Kalaschnikow verschwiegen wurde, ist abgewendet, das wichtigste Werk in Ischewsk modernisiert. Nun versucht der Konzern, den zivilen Sektor zu erobern, ganz so, wie es Wladimir Putin verlangt.
Also erfindet man nicht nur neue Waffen, Drohnen und Killerroboter, die bald auf den Markt sollen, sondern auch Kühlschränke, E-Autos – und Nippes: pinke Mädchenkleider mit Kalaschnikow, Taschen mit dem Sturmgewehr, Emaillebecher, T-Shirts und Handyhüllen. Das Sturmgewehr soll ein Accessoire werden wie das Che-Guevara-Gesicht früher unter pubertierenden Antifaschisten. Es soll eine Accessoire werden für kleine Patrioten, wie sie sich der Kreml wünscht.
Immerhin, ab der zehnten Klasse wird Kalaschnikows Brief an den Patriarchen als Thema empfohlen. Wenige Monate vor seinem Tod schrieb Kalaschnikow, der erst mit 91 Jahren eine Kirche betrat, dem Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, dass ihn ein "seelischer Schmerz" unerträglich peinige. "Mir stellt sich immer wieder die gleiche ungelöste Frage: Wenn mein Gewehr Menschen ihre Leben nahm, bin dann vielleicht auch ich, Michail Kalaschnikow, 93 Jahre alt, Sohn einer Bäuerin, Christ und orthodox im Glauben, schuld an dem Tod dieser Menschen, selbst wenn sie unsere Feinde waren?" Der Patriarch fand tröstende Worte: Kalaschnikow diente dem Wohl der Heimat. An dem Unheil – seien andere schuld.
Kommentare
Entfernt. Bitte achten Sie darauf Ihre Meinung mit Argumenten zu belegen. Danke, die Redaktion/vh
"In Russland wird Michail Kalaschnikow – Erfinder des verheerenden AK47-Gewehrs – geradezu kultisch verehrt. Was sagt das über das Land aus?"
Ich habe drei Jahre in Russland gelebt und nie hat dort in meiner Gegenwart jemand von Kalsischnikow gesprochen, geschweige denn ihn "geradezu kultisch verehrt". Was sagt das über diesen Artikel aus?
Der Zweite Weltkrieg mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion kostete 27 Millionen Menschen der UdSSR das Leben.
Was die Menschen in Russland wohl von pazifistischen Belehrungen aus Deutschland halten?
"Was die Menschen in Russland wohl von pazifistischen Belehrungen aus Deutschland halten?"
Keine Ahnung, vielleicht dass es nicht sonderlich clever ist, wenn sich ein Verbrecher (Stalin) mit einem anderen (der mit dem Schnauzer) zusammentut?
Und was die Menschen in Ungarn, der Tschecheslowakei, der DDR, Afghanistan, Georgien, Tschetschenien, Ukraine wohl von russische hegemonialen und militärisch durchgesetzten Bevormundungsversuchen halten?
Entfernt. Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen. Danke, die Redaktion/vh
Entfernt. Bitte bleiben Sie beim Thema. Danke, die Redaktion/vh
Fragen Sie mal die ehemaligen Länder der Sowjetunion, was die von Whataboutisms halten.
Stimmt, über 70 Jahre geistige und weltanschauliche Veränderung kann mensch* getrost ignorieren - Wir EU-Bürger haben zumindest aus der Vergangenheit gelernt!
Der zweite Weltkrieg begann nich mit dem Überfall auf die Sowjetunion, sondern mit dem Überfall auf Polen, den Hitler und Stalin gemeinsam vereinbart haben, um Polen zwischen Deutschland und der Sowjetunion aufzuteilen.
Hier den Eindruck erwecken zu wollen, als wäre die Sowjetunion nicht aktiv am Ausbruch des Krieges beteiligt gewesen, wird Ihnen nicht gelingen.
"Was die Menschen in Russland wohl von pazifistischen Belehrungen aus Deutschland halten?"
Wie die Regierung eines Landes, die die nachfolgende Aussage bejubelt und in einer Handreichung zur Verbreitung verteilt, zu beurteilen ist, sollte jedem selbst überlassen bleiben. Egal wo er herkommt. Es wird auch genug Russen geben, die das ähm seltsam finden.
"Mit dem Sturmgewehr sind jedes Jahr mehr Menschen getötet worden als durch Artilleriefeuer, Luftbombardierungen und Raketenbeschuss. Jedes Jahr sterben durch die AK-Geschosse eine Viertelmillion Menschen"
“Was die Menschen in Russland wohl von pazifistischen Belehrungen aus Deutschland halten?“
Deutschland hat aus der Geschichte gelernt und eine große Mehrheit der Bundesbürger ist heute Kriiegen gegenüber sehr skeptisch eingestellt.
Eine ähnlich kritische Aufarbeitung der eigenen Geschichte würde auch Russland gut tun. Dann würden sich die russischen Bürger zB wahrscheinlich auch nicht mehr so leicht von einer erneuten Verehrung von Stalin überzeugen lassen, der den Russen auch viel Leid zugemutet hat.
Das ganze neue nationalistische Säbelrasseln soll doch nur von Putins Einführung einer korrupten Autokratie in Russland ablenken.
Wie kann man "Länder" fragen? Fragen kann man höchstens Menschen, die dort leben. Wenn Sie "Länder" fragen, dann fragen Sie die dort herrschenden Eliten, nicht die Masse der dort lebenden Menschen.
Haben nationale Eliten profitiert? Selbstverständlich. Erster Sekretär der aserbaidschanischen KP Aliew, z.B., besaß nicht mal ein Tausendstel von dem was sein Sohn, aserbaidschanischer Präsident Aliew besitzt.
Wurden einfache Leute in ehem. Sowjetrepubliken durch Unabhägigkeit bessergestellt? Das sieht man doch an Millionen Gastarbeitern aus Zentralasien, Kaukasus und Ukraine, die in Russland legal und illegal arbeiten. Nein, sie waren besser dran als Teil (Sowjet-)Russlands und sie wären besser dran als Teil Russlands. Diese Menschen entscheiden sich jährlich millionenfach für Russland.
Zumal Kalaschnikow im Westen niemals zu dem geworden wäre, der Er war. Als Kind einer armen Kinderreichen Familie durfte Er studieren und Ingenieur werden!
Daran müssen wir uns messen lassen. Deutschland ist einer der reichsten Länder der Welt aber statt Kinderarmut und besser Bildung retten wir Banken und schmeißen der Auto Industrie Geld in den Rachen.
Wie nehmen es von den Armen und stecken es den Reichen in den Rachen.
Wenn wir es schaffen, dass die Ärmsten der Armen ein Leben führen dürfen so wie in unserem Grundgesetz vorgesehen und die selben Chancen haben wie die gehätschelten Kinder der Reichen dann dürfen wir als Europäer zurecht Stolz sein auf das erreichte.
Aber wenn man sieht wie in Frankreich aus einer Elite-schmiede fast alle Präsidenten herangezüchtet werden und der Reichtum hauptsächlich auf Ausbeutung von schwächeren (Kolonien etc.) aufgebaut wurde, sollte der falsche Stolz im Hals stecken bleiben, dass ist nicht das Europa was wir uns wünschen, das Humanismus in den Vordergrund stellt.
Russland hält gar nichts davon. Was die Menschen sich wünschten, wäre eine Geste wie in Polen (Willy Brandt), oder in Paris (Helmut Kohl) . Nicht mehr und nicht weniger.
Naja dass Russland wirtschaftlich besser dasteht als die eh. eurasischen Sowjetrepubliken ist kein sonderliches Ruhmesblatt.
Diese Länder sind selbst meist brutale Diktaturen und hatten schlechtere wirtschaftliche Vorraussetzungen als Russland nach dem Mauerfall.
Das traurige ist doch, dass die Russen eigentlich einen Rechtsstaat verdient hätten, ihn aber unter Putin niemals bekommen werden. Putin ist Diktator und möchte die Bevölkerung faschistisch und jingoistisch erziehen.
Sie sind wohl geschichtsbefreit aufgewachsen. Ein Großteil der von Ihnen aufgezählten Ländern stand unter der Herrschaft der Sowjetunion und nicht Russlands.
Georgien hat nach einem Beschluss der EU zuerst angegriffen.
Kennzeichnen Sie doch bitte Ihre Ironie.
"Und was die Menschen in Ungarn, der Tschecheslowakei, der DDR, Afghanistan, Georgien, Tschetschenien, Ukraine wohl von russische hegemonialen und militärisch durchgesetzten Bevormundungsversuchen halten?"
Da dürfen Sie sehr unterschiedliche Antworten erwarten. Hier zwei, die Ihnen vielleicht weniger gefallen:
Ehemalige DDR- Bürger erinnern sich einvernehmlich und dankbar daran, dass Russland die militärische Durchsetzung seiner Bevormundungsversuche in Deutschland am 31.8.1994 endgültig aufgegeben hat.
Eine Kollegin meiner Frau bezeichnet die Jahre von 1979 bis 1989 als ihre besten und freiesten in ihrem Heimatland Afghanistan. Als die von den Sowjets gestützte Regierung den Mudschaheddin die Macht überlassen musste, ihre Schwester, die Ärztin ist, Berufsverbot erhielt und einer Lehrerin die Kehle durchschnitten worden war, floh sie mit ihrem Mann und lebt seither in Hamburg. Vor Russen hat sie weit weniger Angst als vor den ehemals von den USA geförderten Taliban.
"eine zuverlässiges und belastbares Gewehr."
"Guiness-Buch"
Liest denn keiner mehr Korrektur?
Traurig.
Mir fallen solche Fehler auch immer sofort auf, selbst beim Überfliegen des Textes. Aber ich würde sie nie bewerten oder gar kommentieren. Zumal sie am Inhalt nichts ändern.
Entfernt. Bitte belegen Sie Ihre Aussagen mit entsprechenden Quellen. Danke, die Redaktion/vh
Entfernt. Bitte formulieren Sie Kritik sachlich und differenziert. Danke, die Redaktion/vh