Sensation. Ein Wort, das diese Wissenschaftsredaktion gewöhnlich meidet. Was Forscher jetzt aus Washington melden, ist eine: Physiker haben Gravitationswellen nachgewiesen – jene Krümmungen in der Raumzeit, die Albert Einstein stets vorhergesagt hatte. Nie zuvor hatte jemand sie messen können. Heute wurde der Coup vor der Presse verkündet.
"We have detected gravitational waves", sagte der Chef des Experiments David Reitze. Das entscheidende Signal aus dem All fingen die Forscher schon am 14. September 2015 mit ihren Messgeräten in Louisiana ein. Seither wurden die Daten ausgewertet. "Es entstand in einer Zeit, als sich auf der Erde gerade die ersten mehrzelligen Lebewesen entwickelten", sagte Gabriela González vom Ligo – der Detektoranlage in den USA, die es empfangen hatte.
Losgetreten hatte die jetzt auf der Erde messbaren Wellen eine Kollision Schwarzer Löcher vor 1,3 Milliarden Jahren. Beide – jedes mehr als 25-mal so schwer wie unsere Sonne – hatten einander mit halber Lichtgeschwindigkeit umkreist, wurden immer schneller und verschmolzen schließlich zu einem einzigen Schwarzen Loch. In der letzten Phase, kürzer als eine Sekunde, strahlten sie Gravitationswellen ab, stark genug, dass die Ligo-Detektoren sie entdecken konnten.
Die irdischen Messgeräte mussten extrem genau arbeiten, um die winzigen Vibrationen zu erfassen, die das an den Spiegeln im Laserinterferometer auslöste. Die Spiegelposition schwankte dabei um den hundertstel Durchmesser eines Wasserstoff-Atomkerns. Das ist so, als würde man die Strecke zwischen unserer Erde und dem nächsten Stern auf eine Haaresbreite genau bestimmen.
Es hat "Chirp" gemacht!
Nicht nur messen, auch hören könne man die Wellen aus dem All. Zumindest wenn man die Frequenz in hörbare Frequenzen umwandelt, wie die Astronomen es gemacht haben. "Wir werden dem Universum ab jetzt zuhören", sagte Gonzàlez.
Gefeiert wird die Entdeckung im Netz jetzt schon. Unter dem Hashtag #chirpforLIGO sieht man gestandene Astrophysiker, die das Geräusch imitieren und den Kollegen so gratulieren. Hier eine offizielle Hörprobe des Chirp-Sounds: ein anschwellender und abrupt endender Grillensound.
So sieht eine #Gravitationswelle aus Sicht des Detektors aus. 0,2 Sekunden, das war's https://t.co/v002vInrTj pic.twitter.com/dL7U9pDqzC
— Max Rauner (@maxrauner) February 11, 2016
Die Neuigkeit kam mit Ansage. Schon vorher gingen Gerüchte um, eine geleakte E-Mail ließ Großes vermuten. Trotz aller Euphorie ein paar Einschränkungen: Ist die Entdeckung hundertprozentig sicher? Nein. Kann sich das, was die Detektoren in Washington und Louisiana als winzige Verschiebung registriert haben, noch als Messfehler herausstellen? Theoretisch schon.
X-mal schon wurde der Beweis von Einsteins Vorhersage angekündigt, doch immer endete das enttäuschend. So sicher wie diesmal waren sich die Gravitationswellen-Jäger noch nie. Ihren Messdaten verliehen sie die Note 5,1 auf der Sigma-Skala. Das heißt: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Detektoren durch statistisches Rauschen und nicht durch eine echte Gravitationswelle verursacht wurden, liegt bei unter 1 zu 3,5 Millionen. In der Physik gelten neue Phänomene oder Elementarteilchen ab diesem Wert als echt. Es ist also extrem unwahrscheinlich, dass das, was die Detektoren der Forschungskooperation Ligo
in den USA erfasst haben, durch etwas anderes zustande kam als durch Gravitationswellen.
Was hatte Einstein vorhergesagt?
Als Albert Einstein 1915 seine Allgemeine Relativitätstheorie vorstellte, zeichnete er ein komplett neues Bild der Gravitation. Bis dahin hatte gegolten, dass die Anziehungskraft ohne jeglichen Zeitverzug zwischen zwei Massen wirkt – egal, wie weit diese voneinander entfernt sind. Einstein glaubte hingegen, Schwerkraft entstehe, weil Masse den Raum und die Zeit krümme. Das Entscheidende: Die Raumzeit lasse sich nicht unendlich schnell verbiegen, sondern nur mit Lichtgeschwindigkeit.
Geraten irgendwo im Weltall mächtige Massen in Wallung sollte das regelrechte Dellen in
die Raumzeit schlagen, die lichtschnell durch den Kosmos rasen und
dabei die Bahn der Erde kreuzen könnten. Dass sie das wirklich tun, steht seit heute fest.
Wie wurden sie nachgewiesen?
Grob vereinfacht funktionieren die
Detektoren so: Sie haben
zwei "Arme", deren Länge exakt bekannt ist und die kontinuierlich
mithilfe eines Laserstrahls vermessen wird. Geht eine Gravitationswelle
durch den Apparat, werden die Arme unterschiedlich gestaucht oder
gestreckt, die resultierende Längenänderung wird gemessen.
Das Video erklärt das Prinzip der Detektoren:
Warum war der Beweis so schwierig?
Vor allem, weil es so viele andere Erschütterungen gibt, auf die die sensiblen Detektoren anspringen. Seit 1960 bauen Physiker solche Messanlagen.
Die große Herausforderung ist es, die Gravitationswellen aus dem Grundrauschen herauszufiltern und
sicherzustellen, dass die Auffälligkeiten nicht von umhertrampelnden
Doktoranden, der Meeresbrandung oder einem Erdbeben stammen. Zu Testzwecken wurde auch immer mal Fehlalarm ausgelöst – nur wenige führende Forscher waren eingeweiht, der Rest des Teams jubelte, bis die Chefs für Ernüchterung sorgten: "Sorry, nur ein Testlauf."
Seit
September 2015 steht ein Observatorium zur Verfügung, das
leistungsfähiger und weniger fehleranfällig ist als alle bisherigen: die frisch aufgerüstete aLigo-Anlage. An den beiden Detektoren in den US-Bundesstaaten Louisiana und
Washington sind auch Deutschland und Großbritannien beteiligt. Unter
anderem kommt Laser-Know-how vom Gravitationswellen-Experiment Geo600 in Hannover.
Ist der Nobelpreis sicher?
Ob die Entdeckung schon in diesem
Jahr mit dem Nobelpreis belohnt wird, ist ungewiss. Das Komitee wird weitere Messungen abwarten wollen. Von den drei
möglichen Quellen für Gravitationswellen, die man im Prinzip messen kann
– kollidierende Schwarze Löcher, zusammenstoßende Neutronensterne und
Sternexplosionen – ist die erste Möglichkeit nach Ansicht einiger Forscher die undankbarste. Denn
dieses Ereignis könne nur schwer durch unabhängige Beobachtungen von
Astronomen überprüft werden.
Außerdem werden mit dem Nobelpreis maximal drei Einzelpersonen ausgezeichnet, was die Auswahl schwierig macht, wenn eine Teamarbeit wie diese geehrt werden soll. An der Entdeckung der Gravitationswellen waren nämlich mehr als 1.000 Forscher beteiligt. Gefeiert wird trotzdem, denn das empfangene Signal entspricht den Erwartungen der Theoretiker.
Und wozu brauchen wir die Wellen?
Zugegeben, der Allgemeinheit wird die heutige Entdeckung zunächst wenig Praktisches bringen. Physiker können dagegen endlich grundsätzliche Fragen erforschen; welche das sind, hat spektrum.de zusammengefasst. Nicht nur belegen die Wellen endgültig die Existenz Schwarzer Löcher. Sie erlauben es auch, weitere Teile der Allgemeinen Relativitätstheorie zu überprüfen: Bewegen sich Gravitationswellen wirklich mit Lichtgeschwindigkeit durchs All, wie Einstein glaubte? Besteht die Raumzeit aus kosmischen Strings? Wie sehen Neutronensterne aus, warum explodieren Sterne und wie schnell expandiert unser Universum?
Alles große Fragen, deren Beantwortung jetzt beginnen kann. Und das nur, weil hier auf der Erde ein unvorstellbar schwaches Signal aus dem All ein paar Spiegel minimal hat vibrieren lassen.
Kommentare
"Ob die Entdeckung schon in diesem Jahr mit dem Nobelpreis belohnt wird, ist ungewiss."
Sorry, aber das sollte nun wirklich NICHT sofort passieren. Es gibt schon Gründe, warum man mit so was einige Jahre wartet. Vielleicht findet einer später heraus, dass ein Irrtum oder eine Fälschung vorlag?
Es ist ja inzwischen normal, dass der Friedensnobelpreis schon mal im voraus vergeben wird, aber bei Wissenschaft sollten sie doch besser mal abwarten.
Den vergeben ja auch die Norweger, nicht die Schweden ;)
Gravitationswellen sind doch schon oft nachgewiesen worden (allerdings etwas indirekter), zuerst in den 70ern. Es gab 1993 sogar einen Nobelpreis für den Nachweis. Einfach durch Beobachtung von Doppelpulsaren bzw. schwarzen Doppel-Löchern, die auf eine ansonsten schwer zu erklärende Art Energie verlieren. Siehe z.B.
https://de.wikipedia.org/...
Die Neuigkeit hier ist eher der Triumph der Messtechnik, nicht so sehr die Bestätigung der Existenz der Wellen. Aber es schadet natürlich nicht, einen weiteren und vielleicht direkteren Nachweis zu haben.
Das ist richtig. Interessanter finde ich zudem, ob es eine Antwort auf die Frage gibt, wie schnell sich Gravitationswellen fortbewegen.
Wenn Spock das noch hätte erleben könne...
Wenn Bildung sich aus Fernsehserien rekrutiert dann gute Nacht Deutschland. Worüber wundere ich mich eigentlich?
Übrigens ist kein Jahrhunderträtsel gelöst worden wie es in der Artikelüberschrift steht, sondern eine Theorie, die genau diese Wellen vorhergesagt hat, wurde mal wieder glänzend bestätigt.
Und was bewirken diese Wellen?
ganz besonders stark sind sie morgens beim Aufstehen zu spüren.