Der berühmte "kleine Unterschied" zwischen Mann und Frau ist – auch im Krankheitsfall – gar nicht so klein. Die Berliner Charité ist die einzige medizinische Fakultät in Deutschland, die sich ein eigenes Institut für Geschlechterforschung in der Medizin (GiM) leistet.
Seit 2007 wird es als eigenständige Einrichtung geführt. Am nächsten Wochenende treffen sich dort Mediziner aus aller Welt zum 4. Kongress der Internationalen Gesellschaft für Gender-Medizin. Grund genug, der Herzspezialistin Vera Regitz-Zagrosek , die das Institut leitet, ein paar Fragen zu stellen.
Frage: Frau Regitz-Zagrosek, werden Frauen und Männer eigentlich verschieden krank?
Vera Regitz-Zagrosek: Ja, das werden sie. Und je besser das Medizinsystem ist, in dem wir leben, und je älter wir werden, umso mehr machen sich diese Unterschiede bemerkbar. Wo dagegen viele Menschen schon im mittleren Lebensalter sterben, zum Beispiel an Infektionskrankheiten, da werden die Unterschiede nicht so deutlich. In einer Gesellschaft wie unserer, deren Mitglieder gute Chancen haben, gesund ein hohes Alter zu erreichen, lohnt es sich, nach den unterschiedlichen Stoffwechselvorgängen und Stressfaktoren bei beiden Geschlechtern zu schauen. Das kann etwa die Folge haben, dass Medikamente für Männer und Frauen unterschiedlich dosiert werden.
Frage: Die englische Bezeichnung "Gender-Medicine" macht deutlich, dass Sie sich nicht nur mit biologischen, sondern auch mit sozialen Unterschieden zwischen den Geschlechterrollen befassen. Welchen Anteil hat die reine Biologie?
Regitz-Zagrosek: Grob geschätzt die Hälfte. Da sind einerseits die Chromosomen. Auf dem X-Chromosom liegen ungefähr 1500 Gene, die eine wichtige Funktion für Herz und Kreislauf, Hirnfunktion und Immunsystem haben. Dieses Chromosom haben Frauen doppelt, das zweite Exemplar dient wahrscheinlich als Reservepool. Männer haben das Y-Chromosom, auf dem aber nur 78 Gene liegen, die vor allem Aufgaben für die Sexualfunktion haben. Das gibt den Frauen einen biologischen Vorteil.
Der zweite wichtige biologische Faktor sind die Sexualhormone. Das weibliche Östrogen wirkt lange Jahre schützend auf das Herz, es ist andererseits aber auch an der Blutstillung beteiligt, was das Risiko erhöht, eine Thrombose zu bekommen. Wir haben die Rolle, die die Hormone spielen, zum größten Teil überhaupt noch nicht richtig verstanden. Mit zunehmendem Alter wird der hormonbedingte Unterschied übrigens kleiner, dafür scheint aber die Rolle der chromosomalen Unterschiede zuzunehmen.
Frauen ordnen ihre Beschwerden anders zu und sprechen anders darüber als Männer
Frage: Haben Sie Beispiele für Geschlechtsunterschiede aus Ihrem eigenen Fach, der Herzmedizin?
Regitz-Zagrosek: Wir sehen in letzter Zeit zum Beispiel eine bislang undefinierte Erscheinungsform einer Herzmuskelerkrankung, die Tako-Tsubo-Kardiomyopathie. Neun von zehn Betroffenen sind weiblich, Auslöser ist meist massiver psychischer Stress. Dieses seltene Krankheitsbild, das auch als Broken-Heart-Syndrom bekannt ist, wird erst jetzt wirklich untersucht.
Ein wesentlich häufigeres Beispiel ist die Herzschwäche. Im Alter leidet jeder Dritte darunter. Inzwischen wissen wir, dass Männer eher eine Störung der Pumpfunktion entwickeln, bei Frauen eher die Dehnbarkeit des Herzmuskels gestört ist. Beides führt zur Herzschwäche, aber beide Formen haben unterschiedliche Wurzeln und müssen unterschiedlich behandelt werden. Noch haben wir aber keine fachlichen Leitlinien dafür, wie die Dehnbarkeitsstörung behandelt werden muss.
Frage: Stimmt es noch, dass der Herzinfarkt einer alten Dame mit größerer Wahrscheinlichkeit übersehen wird als der eines Mannes?
Regitz-Zagrosek: Ja, das hat auch damit zu tun, dass die Infarkte bei Männern in einem jüngeren Alter auftreten. In Gesellschaften, in der Menschen nur sichtbar waren, bis sie 65 Jahre alt wurden, ist es also kein Wunder, wenn der männliche Infarkt mehr Beachtung gefunden hat. Das ändert sich nun. Noch gefährlicher ist es aber bei jungen Frauen. Hier erwartet keiner einen Infarkt.
Ich glaube, dass weniger das Erscheinungsbild der Krankheit selbst als die Wahrnehmung sich unterscheidet: Frauen ordnen ihre Beschwerden anders zu und sprechen anders darüber als Männer. Dadurch verschleppt sich der Therapiebeginn. Ein anderes Problem ist, dass Medikamentenstudien meist mit männlichen Mäusen beginnen und dass auch bei klinischen Studien die meisten Teilnehmer Männer sind. Deshalb fehlen uns Kenntnisse über die richtige Dosierung bei Frauen und auch Kenntnisse über Substanzen, die besonders gut bei Frauen wirken.
Frage: Wenn Männer im Schnitt zehn Jahre früher einen Herzinfarkt bekommen: Müssten sie dann nicht die Ersten sein, die sich von der Medizin mehr Achtsamkeit für die Geschlechterunterschiede wünschen?
Regitz-Zagrosek: Die Gender-Medizin interessiert sich ja nicht nur für Frauen. Wir haben auch die Aufgabe, zu untersuchen, wo und wann Männer besonders gefährdet sind: warum Männer zum Beispiel bei Durchblutungsstörungen des Herzens besonders häufig am plötzlichen Herztod sterben. Oder warum der plötzliche Herztod junger Sportler fast ausschließlich Männer trifft.
Frage: Aber gibt es nicht auch Krankheiten, die als typische "Frauenleiden" wahrgenommen werden – so dass Männer Nachteile haben, wenn sie sie bekommen?
Regitz-Zagrosek: Durchaus. Männer mit Osteoporose klagen zum Beispiel, dass sie vernachlässigt werden, weil brüchige Knochen als typische Frauenerkrankung angesehen werden. Zudem fehlt bisher eine wirklich gute Idee für hormonorientierte Behandlungen bei Männern mit Osteoporose. Möglicherweise werden auch Depressionen bei Männern schwerer erkannt und schlechter behandelt. Sie gelten immer noch als "unmännlich". Und es ist schwer, Männer zur Vorbeugung zu überreden. Aber wir kümmern uns ja um beide Geschlechter!
Kommentare
Omas Weisheiten pseudowissenschaftlich verpackt. Dass Männer und Frauen sich auch in Krankheiten unterscheiden, kann mir jeder x-Beliebige von der Straße sagen, dazu brauch ich keinen Wissenschaftler. Und das Broken-Heart-Syndrom ist auch schon volljährig, es ist bereits seit 18(!) Jahren bekannt.
unfundierte Polemik
Es ist ja schön, dass Ihre Oma Sie mit einer solch umfassenden Bildung ausgestattet hat.
Dann kann uns Ihre Oma ja auch sicher beantworten:
- Warum Frauen und Männer von bestimmte Krankheiten in unterschiedlichem Maße betroffen sind
- Warum Frauen und Männer bei gleichen Krankheiten andere Symptome zeigen
- Warum bestimmte Therapien bei Frauen und Männern anders wirken
Kann Sie nicht? Mensch, dann muss ja doch "pseudowissenschaftlich" weitergeforscht werden.
Und die Moral....
Hallo
..von der Geschicht.
Frauen wieder mal besonders betroffen.
Sorry, aber für solchen Gender Käse habe ich nur noch Spott übrig.
Das die Lebenserwartung der Frauen im Durchschnitt 6 Jahre über der der Männer liegt, ist ein sehr deutlicher Hinweis darauf das Frauen sehr wohl medizinisch gut versorgt werden.
Btw.
Da wo Gender draufsteht, ist nur Frau drin.
Gruss
Rene
Die wirkliche Moral...
... von der Geschichte ist, dass man ein Interview zu Ende lesen sollte, bevor man es kommentiert.
Dann hätten Sie vielleicht verstanden, dass es darum geht, geschlechtspezifische Medizin zu machen, und nicht feministische Medizin. Die letzten Antworten des Interviews verdeutlichen dies.
Es ist z.B. ein seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten bekanntes, wenn auch immer noch häufig nicht beachtetes Faktum, dass Frauen bei einem Herzinfarkt sehr wenige bis gar keine der "bekannten" (woher?) Symptome zeigen, sondern sehr häufig (nur) unspezifische Symptome wie Bauchschmerzen haben. Aber da ja die Lebenserwartung von Frauen statistisch eh höher ist als von Männern, sollte darauf natürlich keine Rücksicht genommen werden, und weiterhin Menschen, in diesem Fall weibliche, aufgrund von Unterversorgung sterben, auf dass der Abstand ja nicht größer werde! Ganz schön zynisch, lieber Rene!
Ob man den Begriff Gender nun mag oder nicht, sollte das nicht darüber hinwegtäuschen, dass es darum geht, dass einem Arzt heutzutage bewusst sein sollte, dass es viele Krankheiten quasi doppelt gibt, in unterschiedlicher Ausprägung mit unterschiedlich wirksamen Therapien.
Bei der Kritik des "Gender Käse" haben Sie auch nicht viel mehr als gequirlten Quark zustande gekriegt. Aber unqualifiziert Dampf abzulassen, gell, das macht manchmal einfach auch Spass, nicht?
@diabolos
naja, ist kein Geheimnis das Frauen besonders gefördert werden.
Frauen werden z.b. nicht älter weil sie eine besondere Biologie haben, sondern weil sie weniger Stress, weniger gefährliche Arbeit und auch so mehr geschont werden.
Das sieht man z.b. auch bei Vorsorgeuntersuchungen. Frauen bekommen bereits in jüngeren Jahren eine kostenlose Untersuchung als Männern.
Ja..man kann sagen, sie werden in Gesundheitsfragen gepusht.
Btw. das mit dem X-Chromosom ist Käse in dieser Frage.
Ein Mann hat auch ein X-Chromosom und das 2. X-Chromosom ist fraglich ob das genutzt wird, zumal das Y-Chromosom viele Gene mehrfach vorhanden hat.
Soviel wieder zum Genderkäse wie Frauen sind über weil sie 2 X-Chromosomen haben.
Ich kanns ehrlich gesagt auch nicht mehr hören.
autsch...
Ich werde auf Zahlen verzichten, um Sie nicht zu verwirren.
Das Brustdrüsengewebe und die Schleimhaut der Gebärmutter können beide sehr früh, also auch bei Frauen zwischen 20 und 40 (bei der Gebärmutter sogar bevorzugt bei jungen Frauen), und ziemlich häufig Krebs entwickeln. Beide sind nur in den Vorstufen sehr gut behandelbar. Aus diesem Grund bekommen Frauen für diese beiden Krebserkrankungen auch unter 45 Jahren Früherkennungsuntersuchungen (der Begriff "Vorsorge"-untersuchung ist ja eigentlich Quatsch).
Der einzige männerspezifische Krebs, der in jungen Jahren, also unter 45, gehäuft auftritt, ist der Hodenkrebs (Hodencarcinom). Dieser ist jedoch an sich sehr selten und zudem gut behandelbar. Es sterben pro Jahr ca. genausoviele Männer aller Altersgruppen an Hodenkrebs wie an Brustkrebs! (Ja, auch Männer haben ein wenig Brustdrüsengewebe, das sehr selten Krebs entwickeln kann...). Aus diesem Grund wird die Früherkennung für die weiblichen Geschlechtsorgane den Frauen früher angeboten. Für alle anderen Krebsarten wie z.B. Darmkrebs sind die Altersgrenzen für die Früherkennungsuntersuchungen gleich.
Wo hier Frauen "gepusht" werden, ist mir unklar. Hier werden Frauenleben gerettet.
Aber erklären Sie einfach alle 319 697 in Deutschland tätigen Ärzte, von denen im Übrigen "nur" 42% Prozent Frauen sind, für bescheuert.
Ich habe das Gefühl, seit dem relaunch werden die Kommentare hier immer unterirdischer...
Lebenserwartung in "Reinstgruppen"
Liebe Leute,
in konservativen Klöstern (Nichtraucher, Nichttrinker), also in zwei Gruppen in denen Männer und Frauen jeweils unter sehr sehr ähnlichen Bedingungen leben, werden Frauen 82,4 und Männer 82,2 Jahre alt. Genetisch ist da wohl nichts zu begründen...
Herzlichst Fablen
Das mag durchaus sein.
Allerdings wirken sich Herzerkrankungen in ihren Symptomen geschlechtsspezifisch aus.
Es ist wichtig, jedem eine angemessene Behandlung zu ermöglichen.
Wichtig finde ich außerdem, dass auch Krankheiten in ihrer Behandlung und deren Wirkung bezüglich unterschiedlicher ethnischer Gruppen erforscht werden.
So bekam mein Vater beispielsweise einen Blutdrucksenker, welcher bei Schwarzen (Ojeh, darf man das Wort überhaupt sagen?) genau das Gegenteil bewirkt:
Er erhöht den Blutdruck.
Und noch mal zu einigen Kommentaren, welche Gender-Medicine als feministischen Quark hinstellen:
Psychische Erkrankungen, bei denen bis jetzt bei Forschung und Therapie vom weiblichen Patienten ausgegangen wurde, werden nun auch vemehrt bei Männern erforscht.
Behandlungen, welche bei den vermehrt weiblichen Betroffenen Wirkung zeigten, müssen bei Männern längst nicht so gut anschlagen.
Daher halte ich Gender-Medicine für sinnvoll.
Und das ist nur ein Beispiel.
Aber gut, wenn man seine Meinung hat, Scheuklappen aufsetzt, einen auf bockig macht und andere partout nicht zulässt, dann ist das eben so.
Es geht nicht nur um Frauen, es geht um Frauen und Männer.