ADHS-Tests untersuchen nur das Verhalten
Die Tests sind zwar wissenschaftlich anerkannt und entsprechen den Empfehlungen des Diagnostischen und Statistischen Handbuches Psychischer Störungen (DSM), das die Amerikanische Psychiatrische Vereinigung herausgibt. Dennoch haben Testverfahren auch einen Schwachpunkt: Sie untersuchen nur das Verhalten der Kinder. Die biologischen Ursachen an denen man eine ADHS dingfest machen könnte, erkennen sie nicht. "Dafür gibt es zwar bereits bildgebende Verfahren. Allerdings sind diese sehr teuer und nicht ganz verlässlich", sagt Herberhold. Daher besteht trotz der sorgfältigen Diagnose ein Restrisiko, eine ADHS mit anderen Erkrankungen wie etwa Depressionen oder posttraumatischen Belastungsstörung zu verwechseln.
Medikamente gegen ADHS beeinflussen das Gehirn direkt. Der Wirkstoff Methylphenidat wirkt wie ein Aufputschmittel, indem er verhindert, dass die Nervenzellen im Vorderlappen das Dopamin nach der Abgabe wieder schlucken. Der Botenstoff Dopamin kann dann wieder von Zelle zu Zelle wanden. Die gehemmte Reizweiterleitung kommt wieder in Gang, die biologische Ursache einer ADHS wird ausgeglichen.
Umstritten ist Ritalin, weil befürchtet wird, dass es die kindliche Entwicklung hemmt, die Persönlichkeit verändert oder süchtig mache. Laut der Bundesärztekammer ist als Nebenwirkung aber lediglich belegt, dass Ritalin in den ersten Wochen den Appetit mindert und zu Schlafstörungen, leichtem Kopfweh und Bauchweh führt. Dennoch empfehlen Leitlinien, Ritalin nur bei ausgeprägten Symptomen und erst ab dem Alter von sechs Jahren einzusetzen. Manche Kinder berichten, dass sie sich durch das Medikament "wie mit Scheuklappen" gefühlt hätten und in ihren Gedanken eingeschränkt. Bei Kindern, deren Lebensalltag und Schulleistungen kaum durch die Krankheit beeinträchtigt ist, kann eine Kombination psychologischer Verhaltenstherapien ausreichen, heißt es in einer Informationsbroschüre der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung.
ADHS ist kein Erziehungsproblem!
Auch Herberhold hat gute Erfahrungen mit Elterntrainings und Psychotherapien gemacht. Allerdings meist als Ergänzung zu Ritalin. "Die Kernsymptome verschwinden ohne Medikamente selten, aber man sollte sie niemals ohne Psychotherapie einsetzen", sagt er. Viele Eltern neigten dazu, dem Verhalten der Kinder mit strengeren Erziehungsmethoden entgegenwirken. Dabei sei Schimpfen und Streit gerade kontraproduktiv. "ADHS-Kinder saugen die aggressiven Äußerungen der Eltern auf und werden selbst noch unruhiger. Besser ist es, Ruhe in die Familie zu bringen", sagt er. Er hält richtig diagnostizierte ADHS keineswegs für Erziehungsprobleme. "So zu denken, ist ein Rückfall in die Struwwelpeter-Logik aus dem 19. Jahrhundert und bedenklich", sagt er.
Nicht minder bedenklich erscheinen jedoch die rasant steigenden Zahlen der Ritalin-Verordnungen: Laut dem Arzneiverordnungsreport wurden in Deutschland 2011 insgesamt 56 Millionen Tagesdosen Methylphenidat verschrieben, 2002 waren es noch 17 Millionen. Dass so viel mehr Kinder psychisch krank sind als früher, ist wenig plausibel. Wahrscheinlicher ist, dass zu häufig als ADHS abgestempelt wird, was in Wahrheit andere Ursachen hat – und anders gelöst werden muss, als mit Medikamenten.
Kommentare
Entfernt. Bitte verzichten Sie auf unangemessene Vergleiche, die lediglich der Provokation dienen. Danke, die Redaktion/jk
Ironisch gemeint?!?
Oder denken Sie wirklich, das dies zweckdienlich, und vor allem pädagogisch wertvoll war?!?
Die Gesellschaft
Psychopharmaka, deren Langzeitwirkung noch überhaupt nicht bekannt ist, Kindern die sich in der Entwicklung befinden zu verabreichen ist schon fast kriminell. Wer weiß denn, ob Ritalin nicht verhindert, dass Synapsen sich richtig verbinden/entwickeln können und nicht im Erwachsenenalter ernorme Schäden dadurch entstehen können? Wie teuer wird das dann für die Krankenkassen (wenn diese schon sagen, dass Therapie teuerer ist als Verabreichung von Medikamenten)?
Meiner Meinung nach sollte es erstmal mindestens 10 Familientherapiestunden geben, bevor überhaupt Psychopharmaka an Kinder gegeben wird! Evtl. liegt es ja am Umgang in der Familie, dass das Kind "verhaltensauffällig" ist. Was ist schon verhaltensauffällig? Ein Kind, das sich austoben möchte? Was generell bei Jungen ja eher auftaucht als bei Mädchen (darum bekommen es ja mehr Jungs als Mädchen).
Antwort also: Die Gesellschaft ist krank.
Sie haben so Recht!
Mich machen diese verantwortungslosen Ärzte, Lehrer, Eltern etc. einfach nur wütend.
"Meiner Meinung nach sollte es erstmal mindestens 10 Familientherapiestunden geben, bevor überhaupt Psychopharmaka an Kinder gegeben wird!"
Das finde ich eine hervorragende Idee!
Früher
hat man Jungs kastriert, damit sie eine schöne Singstimme behielten, heute gibt man ihnen Ritalin, damit sie sich genauso verhalten wie das ideale Mädchen, von dem Frau Lehrerin träumt.
Das Fatale ist, dass gesellschaftlich "richtiges" Verhalten heute ohne jede Diskussion darüber von der Schule normiert wird, obwohl jeder Blick über die Schule hinaus zeigt, dass schulkompatibles Verhalten außerhalb der Schule nur bedingt erfolgreich ist: Wer immer brav mitarbeitet und nie die laufende Routine durchbricht, ist bestens geeignet für das B.A.-Studium und den anschließenden unbezahlten Praktikumsplatz im Call-Center.
Die größten Leistunen gehen nicht selten von solchen Menschen aus, die ihren Bildungsweg abgebrochen haben - nicht, weil sie nichts lernen wolle, sondern WEIL sie lernen und etwas schaffen wollen.
Man stelle sich vor, Bill Gates hätte Ritalin genommen und sein Studium beendet, statt sich seiner Garagenfirma zu widmen...
Es ist das Grundproblem des Bildungssystems, solchen Begabungen weder gewachsen zu sein noch ihnen wirklich helfen zu können.
An sich ist das nicht schlimm. Dann trennen sich halt die Wege. Aber Ritalin ist vernichtend - wer Ritalin bekommt, geht nicht mehr, um was Besseres zu tun, der bleibt und gehorcht und funktioniert.
AUSSERDEM bin ich dafür, "Gymnasium" wieder so zu betreiben, wie einst die Griechen: Sport, Wettbewerb und Gespräch als Rahmen eines gemeinsamen FORSCHENS und SICH ENTWICKELNS. KEIN STILLSITZEN und geistiges Faulen!
Wer Krankheiten macht ..
steht in einem interessanten Artikel im Spiegel ..
http://www.spiegel.de/ges...
es ehrt die zeit,
dass nach dem artikel zu angesprochenem bericht der barmer ein differenzierterer artikel hier erscheint.
allerdings wirft auch der wieder fragen für mich auf:
für mich ist z.b. unbestritten, dass verhaltensauffälligkeiten sich im hirnstoffwechsel niederschlagen. denn ALLES was wir tun hat am ende eine organische - hormonelle auswirkung.
sicher kann es auch genetische dispositionen geben.
nur, und das fehlt: was nun ist die ursache für das verhalten?
kann es (siehe epigenetik) nicht eher auch so sein, dass sich "störungen" in der umwelt auf das verhalten und damit auf den hirnstoffwechsel auswirken? und das dann je mehr, desto eher eine dispostion dazu besteht?
zäumt man nun damit, dass man in den stoffwechsel eingreift anstatt eben zu testen, ob sich ursachen beheben lassen, nicht das pferd von hinten auf?
apropos pferd: ein kommentator zum anderen artikel wies auf "artgerechte halteung" hin - "ad(h)s"-ähnliches verhalten lässt sich ja auch bei vielen hochleistungspferden beobachten, die ihre tage zwischen reithalle/rennbahn und box verbringen - und auch da wirken natürlich genetische dispostionen mit. immerhin will mans pferd temperamentvoll und "nervig" und züchtet entsprechend.
aber genauso ist zu beobachten, dass wenn jene pferde artgerechteren zugang zur umgebung haben, ihr verhalten ausgeglichener wird (siehe dazu, als anregung, nicht als vergleich:http://videos.arte.tv/de/...) warum soll das bei menschen ungewöhnlich anders sein?
Gene, Gehirn und Gesellschaft
ZITAT: "kann es...nicht eher auch so sein, dass sich "störungen" in der umwelt auf das verhalten und damit auf den hirnstoffwechsel auswirken? und das dann je mehr, desto eher eine dispostion dazu besteht?"
Das kann nicht nur sein, das ist auch so. Bekannt ist:
1. dass verschiedene Transmitter wie Vasopression, Serotonin, Oxytocin und eben auch Dopamin im Gehirn als Neuromodulatoren arbeiten und die Motivation (Gerichtetheit und Ausdauer) von Verhalten (Sensorik, Kognition, Motorik) beeinflussen.
2. dass es genetische Unterschiede in der Arbeitsweise ("Stärke") dieser Systeme gibt.
3. dass diese Systeme auf ganz spezifische Umweltreize oder Umweltbedingungen ansprechen.
4. dass der Grundaktivitätslevel dieser Systeme sich durch Einflüsse der Umwelt in den ersten ca. drei Lebensjahren einstellt und dann ein Leben lang recht konstant bleibt (ist aber nicht unveränderlich).
Das alles weiß man inzwischen mit Sicherheit. Daraus wird klar, dass es prädisponierte Menschen gibt, aber die Umwelt (besonders die frühe) einen prägenden Charakter hat. Es ist also insbesondere zu fragen, welche Dinge sich in der Umwelt der unter dreijährigen aus gesellschaftlichen Gründen geändert haben. Dabei spielen insbesondere nonverbale Verhaltensweisen der erziehenden Umwelt eine große Rolle.