Burnout, Depression, Angstattacken – selten hat man in Deutschland so offen über seelische Leiden gesprochen wie seit ein paar Jahren. Überlastung erkennen, Stress abbauen, sich Auszeiten nehmen, zum Psychologen gehen – all das ist heute gesellschaftsfähiger denn je.
Gleichzeitig entsteht der Eindruck, immer mehr Menschen seien psychisch krank, vom gesellschaftlichen Leistungsdruck überfordert, aufgerieben zwischen Familie und Beruf, rastlos und gestresst bis zum seelischen Kollaps. Der Fall Gustl Mollath hat zudem die Debatte darüber neu entfacht, wann ein Mensch per Definition und per Gesetz krank ist – und inwieweit Gutachter und Ärzte durch ihre Diagnosen über das Schicksal eines einzelnen entscheiden dürfen.
Was es heißt "psychisch krank" zu sein, wissen trotz Aufklärung und öffentlicher Debatte noch immer wenige. Deshalb widmet ZEIT ONLINE in den kommenden Wochen diesem Thema eine Serie.
Alarmierende Zahlen
Studien belegen, dass seit Jahren die Zahl derer steigt, die sich wegen psychischer Störungen krankschreiben lassen oder in Frührente gehen. Jede achte Krankschreibung hat mittlerweile diesen Hintergrund, meldet die Krankenkasse DAK – ein Anstieg von 74 Prozent seit 2006. Mehr als vier von zehn Menschen, die in Frührente gehen, geben als Grund psychische Leiden an, wie Berichte der Deutschen Rentenversicherung belegen.
Auch die Krankheitskosten für psychische und Verhaltensstörungen steigen stetig an. Mehr als 28 Milliarden Euro pro Jahr machen sie in Deutschland aus – gut zehn Prozent der jährlichen Gesundheitskosten. Damit stehen sie an dritter Stelle, direkt hinter den Herz-Kreislauf- und Magen-Darm-Erkrankungen. Auch Arbeitsausfälle und Berufsunfähigkeiten aufgrund psychischer Krankheiten nehmen zu.
Eine Untersuchung des Robert Koch-Instituts (RKI) ergab sogar, dass im Jahr 2011 jeder dritte Bundesbürger unter mindestens einer psychischen Störung litt. Das hieße: Jeder Deutsche wäre im Leben mindestens einmal direkt oder indirekt über Verwandte und Freunde mit einer seelischen Erkrankung konfrontiert.
Glaubt man den Studienergebnissen, sind vor allem junge Menschen anfällig – allen voran die 18- bis 35-Jährigen. Mehr Druck in der Schule und während der Ausbildung, eine Verdichtung der Arbeit tragen dazu womöglich bei, meint Leonore Julius, Geschäftsführerin des Bundesverbandes der Angehörigen psychisch Kranker (BApK).
Der Leiter der RKI-Studie, Hans-Ulrich Wittchen, sieht neben diesen äußeren Einflussfaktoren auch Unterschiede in der Gehirnstruktur als Ursache: "Das 'reifende Gehirn' des jungen Menschen ist anfälliger, denn Kinder und Jugendliche haben oft noch keine Schutzmechanismen ausgebildet, um Entwicklungs-, Reifungs- und psychosoziale Krisen erfolgreich zu bewältigen."
Eine Frage der Definition
Wird die kranke Seele also zu Deutschlands beherrschender Volkskrankheit? Oder entsteht durch die intensivere und öffentliche Beschäftigung damit nur der subjektive Eindruck, das Problem nehme zu?
Diese Frage wissenschaftlich zu beantworten, ist extrem schwierig. Denn je nachdem, was als Krankheit definiert wird und was nicht, fallen Studien zur Häufigkeit psychischer Störungen sehr unterschiedlich aus – selbst dann, wenn Statistiker versuchen, diese Effekte herauszurechnen.
Die RKI-Forscher haben in ihrer Erhebung zum Beispiel Suchterkrankungen, Phobien und leichtere Formen der Depression – wie etwa die Dysthymie – erfasst. Man sollte ihre Zahlen also nicht so missverstehen, dass jeder dritte Deutsche etwa schwer psychotisch sei.
Kommentare
Das ist aber eine gewagte Theorie...
..."Sie hielten ihre Symptome für normal oder für einen Teil ihres Charakters "
Ich brauche also jemand anderen der mir sagt das etwas das ich für normal halte bzw. einen Teil von mir, eine Krankheit ist?
Ist das nicht viel zu viel Macht in den Händen von Menschen die entscheiden was denn "normal" ist?
Es gibt ohne Frage Momente in denen man eingreifen muss, vor allem wenn jemand anderen Leid antut, aber wo hört das auf?
Sokrates, Magnus, Bruno waren dann wohl psychisch krank, ebenso Diogenes, Bacon, Marcilius von Padua und so manch anderer großer Denker den seine Zeit belächelt, verfolgt, schlimmstenfalls ermordet hat.
Missverständnis
Hier geht es nicht um Eingriffsmöglichkeiten, sondern um Behandlungsmöglichkeiten, also das, was ein Arzt anbieten kann.
An dem, dass erst Eigen- oder Fremdgefährdung vorliegen muss, bevor man jemanden gegen seinen Willen behandeln kann, ändert das im Artikel Angesprochene rein gar nichts.
Das ist nicht wahr dass Betroffene
jahrelang auf einen Therapieplatz warten müssen. Im Rahmen einer flach wirkenden Psychotherapie, Medikamentierung und Gesprächstherapie und das alles noch von der Krankenkasse bezahlt mag es zutreffen.
Es gibt sehr tief wirkende, auch bei körperlichen Krankheiten, Therapieformen von denen der Betroffene noch heute abend seine Behandlung erfahren darf. Das setzt Eigeninitiative und auch private Geldmittel vorraus, da die Krankenkasse oft nichts oder nur einen Teil übernimmt. Aber auch steuerlich absetzbar.
Viele Betroffene möchten sich jedoch auch nicht mit ihrer Vergangenheit aussetzten und verdrängen lieber und medikamentieren sich durch. Der Artikel beschreibt sehr eine Opferhaltung
Sorry - doch die Wartezeitgen von mehreren Monaten .......
.......... für eine ambulante Psychotherapie stimmen sehr wohl. Und wozu bezahlen Menschen teils mehrere hundert € an Krankenversicherungsbeiträgen, wenn sie im Fall einer psychischen Erkrankung auch noch "private Geldmittel" einsetzen sollen?
Und "Eigeninitiative" im Zusammenhang mit einer mittleren bis schweren Depression dürfte von einem Betroffenen kaum zu erwarten sein, denn das ist - in aller Regel - ein Widerspruch in sich.
Mir ist durchaus bekannt, dass es Therapieformen gibt, die kurzfristig angewendet und hilfreich sein können - beispielsweise die Craniosakral-Therapie. Doch nicht alle Menschen sind in der Lage, "private Geldmittel" einsetzen zu können, um sich derartige Threapien überhaupt leisten zu können.
Für mich persönlich klingt Ihr Beitrag eher wie ein - sorry - "Werbebroschüre" für von betroffenen selbst zu zahlenden Therapien, da das "staatliche Gesundheitssystem" bei psychischen Krankheitsbildern häufig jämmerlich versagt.
Einsicht ist der erste Weg...
Einige Patienten mit einer psychischen Symptomatik, die zu der Einsicht kommen, dass medizinische, psychiatrische oder psychotherapeutische Hilfe notwendig ist, suchen händeringend monatelang, falls sie in ihrer Situation noch dazu in der Lage sind.
Der Hausarzt mag noch eine zutreffende Diagnose stellen und akute Fälle auch behandeln können, aber auf eine Gesprächstherapie, ja gar auf die Probatorik, wartet man viele Monate. Was das für bspw. depressive Patienten und ihre Angehörigen bedeutet, können nur sie selbst beschreiben. Langes Abwarten, das dann evtl. mit einem Jobverlust einhergeht, verschärft die Situation weiter.
Die Arbeitsverdichtung wurde schon als eine mögliche Ursache für den Anstieg der Erkrankungen identifiziert. Vielleicht erkennen die Leute zunehmend, dass man nicht zwingend pausenlos bis 67 arbeiten kann, und nehmen Therapien insbesondere dann in Anspruch, wenn die Notwendigkeit hierfür beruflich verursacht ist.
Ob es notwendig und sinnvoll ist, wenn die „Vereinigung der Psychiater“ nun ihren Krankheitskatalog erweitert und damit per Definition weiteren Abweichungen vom Bevölkerungsdurchschnitt einen Krankheitswert beimisst, sei dahingestellt. Wer glaubt, dass er gesund ist, wird keine Diagnose anfragen.
Umfälschung unumstößlicher Erkenntnisstände
Wodurch die Rate vor allem psychischer Erkrankungen qualitativ überaus steil in die Höhe schnellt, ist kein unerforschtes Gebiet. Es mangelt unter der Bevölkerung lediglich an der notwendigen Bereitschaft, die dort vorausgehend gewonnenen Erkenntnisse als nicht hinfällig zu erachten. Stattdessen verschärft besagte eigenmächtig vorgenommene Umfälschung von an sich längst unumstößlich existenten Wissensständen die Situation zum äußersten Nachteil der Allgemeinheit. Wenn man so will, lässt sich also sagen, dass eine zunehmende Morbidität in dieser Hinsicht auf ein massenhaftes Fehlverhalten zurückgeführt werden kann, welches sämtlichem Zivilrecht spottend zulasten des Einzelnen geht.
Es mag sein, dass es an mir liegt ..........
.......... doch ich habe kein einziges Wort Ihres Beitrages verstanden. Ginge es vielleicht auch etwas "konkreter" und dafür etwas weniger "philosophisch"?
Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, doch zumindest ich verstehe Ihren Beitrag wirklich nicht.