Der Bedarf an Muttermilch ist größer als das Angebot. Vor allem an den hoch spezialisierten Frühgeborenenzentren entstehen gerade Frauenmilchbanken. Besonders für frühgeborene Kinder soll Muttermilch nämlich laut Studien positive Auswirkungen haben.
Nach Angaben der European Milk Bank Association (Emba) gibt es in Deutschland aktuell 15 solcher Frauenmilchbanken, 13 davon in den östlichen Bundesländern. Auch in Westdeutschland, wo alle Milchbanken bis 1972 schlossen, sind inzwischen wieder zwei aktiv, in München und in Dortmund. Trotz des Positivtrends liegt Deutschland damit noch im Mittelfeld, hinter Frankreich, Italien, Schweden oder Finnland.
Eigentlich gibt es Frauenmilchbanken schon lange. Im Jahr 1909 wurde die erste Frauenmilchstelle in Wien eingerichtet. Obwohl die künstliche Säuglingsnahrung schon damals vermehrt genutzt wurde, waren viele Kinderärzte davon überzeugt, dass Muttermilch die beste Ernährung gerade für kranke Säuglinge und Frühgeborene sei, sagt die Neubrandenburger Still- und Laktationsberaterin Vera Risy, die zur Geschichte der Frauenmilchsammelstellen recherchierte.
Im Jahr 1925 entwarf die Künstlerin Käthe Kollwitz das Plakat "Mütter, gebt von euerm Überfluss", um für Frauenmilchsammelstellen zu werben. Im Jahr 1959 gab es in Deutschland 86 Frauenmilchbanken, davon 62 in der DDR. Mit dem Aufstieg der künstlichen Säuglingsnahrung ab den 1970er Jahren sanken die Stillraten, und Frauenmilchbanken gerieten ins Abseits. Daraufhin schlossen in den 1970er bis 1990er Jahren viele von ihnen.
Gesünder als das Pulver aus dem Regal
Mehrere aktuelle Studien – zuletzt von 2015 – belegen die Vorteile von Muttermilch im Vergleich zu künstlicher, auf Kuhmilchbasis produzierter Säuglingsmilch. So ist laut einer Studie des Deutschen Frühgeborenen-Netzwerks (GNN) das Risiko für eine nekrotisierende Enterokolitis (Nec), eine gefährliche Darmentzündung bei Frühchen, die künstliche Säuglingsnahrung erhalten, um das 12,6-Fache erhöht. Bei der bronchopulmonalen Dysplasie (BPD), einer Lungenentzündung, liegt das Risiko bei künstlicher Milch um das 2,6-Fache höher, bei der Retinopathie (Rop) – einer ausschließlich bei Frühgeborenen auftretenden Augenerkrankung – um das 1,8-Fache. In die Untersuchung gingen die Daten von 1.433 Frühchen ein.
Aktuelle amerikanische Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Demnach mindert Frauenmilch nicht nur das Risiko für Darmentzündung und Sepsis (Blutvergiftung), sondern wirkt auch stimulierend auf die Entwicklung des unreifen Darms und die geistige Entwicklung der Frühchen.
Pasteurisierte Frauenmilch
"Natürlich ist es das Beste, wenn Mütter ihre Kinder selbst stillen. Doch nicht immer ist das möglich", sagt der Leiter der Neonatologie und Pädiatrischen Intensivmedizin am Universitätsklinikum Greifswald, Matthias Heckmann.
Dort wurde 2014 die Frauenmilchbank neu eröffnet. Wie in Leipzig setzt man auf die Gabe von roher, also nicht pasteurisierter Frauenmilch. Es sei erwiesen, dass durch die Pasteurisierung, also das Erhitzen der Milch auf 62,5 Grad Celsius, nicht nur potenziell infektiöse Bakterien und Viren abgetötet werden, sondern auch jene Immun- und Abwehrstoffe und biologisch aktive Substanzen wie Laktoferrin, die sich förderlich auf das Gedeihen der Frühchen auswirken, erklärt Heckmann.
Die Gabe roher Frauenmilch stellt allerdings besonders hohe Qualitätsanforderungen. So hat das Universitätsklinikum eine Leitlinie erarbeitet, die strenge Maßstäbe unter anderem für die Aufbereitung und Lagerung von roher Frauenmilch festlegt.
Der Bedarf an Frauenmilch für Frühchen ist hoch. In Deutschland könne er momentan nicht gedeckt werden, sagen Experten. So werden etwa in Greifswald stillende Frühchenmütter aktiv angesprochen, wie die Neonatologin Anja Lange erklärt. Das geschieht natürlich nur, wenn sie genügend Milch haben, um auch andere Frühchen damit zu versorgen. Die Milch solcher Mütter ist besonders geeignet, denn ihre Zusammensetzung und der Bedarf der Frühchen an bestimmten Stoffen ändern sich im Laufe der Zeit.
Bevor eine Mutter zur Spenderin wird, wird sie umfassend auf Erkrankungen und die Milch auf Keime untersucht. Die rohe Milch ist dann tiefgekühlt bei minus 20 Grad bis zu sechs Monate haltbar. Vor der Weitergabe an Frühchen wird sie nochmals auf Keimbelastung untersucht.
Mehr Frauenmilchbanken benötigt
Der Deutsche Hebammenverband (DHV) hält den weiteren Ausbau von Frauenmilchbanken in Deutschland für dringend erforderlich. Zum einen könne so gewährleistet werden, dass vor allem Frühgeborene und kranke Babys die Milch erhalten, die sie benötigen. "Frauenmilch enthält wichtige Substanzen für die Entwicklung des Säuglings, die künstliche Nahrung nicht bieten kann", sagt die Beauftragte des DHV für Stillen und Ernährung, Aleyd von Gartzen. Frauenmilch versorge die Babys mit den richtigen Eiweißen, Fetten und Kohlehydraten und liefere Immunstoffe, Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente, die genau auf den menschlichen Organismus abgestimmt seien. Qualitätsstandards in den Frauenmilchbanken stellten sicher, dass die Milch hygienisch sauber sei.
Die WHO empfiehlt bei der Ernährung Neugeborener als erste Wahl die Gabe von Muttermilch. Als zweite Präferenz nennt die WHO Frauenmilch – vor künstlicher Säuglingsnahrung.
Kommentare
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Ein überaus wichtiges Thema das einen Platz an Stelle 1 verdient hätte heute. Auch wenn nicht groß geklickt und kommentiert, wäre es doch eine bedeutende Werbung für das Thema in der Hoffnung:
a) mehr Frauen von den Möglichkeiten und Notwendigkeiten in Kenntnis zu setzen (und wenn es der Freund/Mann ist, der ihr davon erzählt) und
b) mehr Spenderinnen zu akquirieren, wenn der Zweck noch mal vor Augen geführt wird.
Das ist eine ernstgemeinte Frage:
Wieso können soviele Mütter nicht selber stillen? Soweit ich weiß ist das "Abpumpen" von Muttermilch auch bei Früchenmüttern möglich. Wieso "pumpen" diese Mütter nicht selber ab?
Ich weiß, dass es Frauen mit eingeschränkter Milchproduktion gibt, aber sind das so viele? Oder gibt es so viele Mütter, die zwar Muttermilch verfüttern wollen aber nicht selber stillen wollen?
Ernstgemeinte Antwort: Es gibt genug Stillprobleme, angefangen bei ausbleibendem Milcheinschuss, Brustentzündungen, Unterproduktion, Rückgang der Milchmenge bei Stress, Zeitmangel (Pumpen "kostet" gerade in der Anfangszeit auch mal 4-6 Stunden am Tag - wenn man ohnehin schon zwischen Krankenhaus und eventuell der Versorgung eines Geschwisterkindes hin und her pendelt), ... Und gerade bei Frühchen, bei denen davon auszugehen ist, dass die Hormonumstellung nach "unterbrochener" Schwangerschaft nicht unbedingt ideal funktioniert, das Kind nicht selbst saugen kann (auch das wirkt sich auf die mütterlichen Hormone aus), und die Mütter unter nicht unerheblichem Stress stehen, sowie der erhöhten Wahrscheinlichkeit von Mehrlingen, bei denen es halt auch öfter mal nicht reicht, ist die Chance, dass es nicht klappt, leider durchaus vorhanden.
Nicht jede Mutter, die nicht stillt, will das so.
Ganz ehrlich ist der Artikel nicht. Das Stillen war vor allem in den 80ziger Jahren im Westen verpönt. Wegen Pestizidbelastungen wurde Müttern dringend davon abgeraten und kam dann auch "aus der Mode". Und auch im Punkt Milchsammelstellen in der DDR wäre manches zu ergänzen. Meines Wissens nach wurden die mit der Wiedervereinigung geschlossen, wie man hörte aus hygienischen Gründen und nicht weil die Mütter Milchpulver von Anfang an füttern wollten. Ich selbst bin jedenfalls so ein Kind, dass mit Milch von der Milchsammelstelle (gesund) groß wurde...