Wer am Wochenende in Berlin, Hamburg, London oder Barcelona ausgeht, verlässt die Wohnung vielleicht allein, kommt aber sicher auch mal in Gesellschaft heim. Im
Nachtleben sind manche Menschen offen für einen One-Night-Stand, die
aufregende Begegnung, den Sex ohne Verpflichtungen. Und zum Glück muss man
ja auch keine Angst mehr vor Geschlechtskrankheiten haben. HIV:
behandelbar. Syphilis: schon länger nicht gehört. Tripper: Gibt es das überhaupt noch?
Leider alles falsch. Gerade der Anteil heterosexueller Menschen, die eine HIV-Diagnose bekommen, nimmt in Deutschland seit Jahren zu, und noch immer wissen zu viele Infizierte nicht, dass sie das Virus in sich tragen (Epidemiologisches Bulletin, 2017, pdf). Die Zahl der Syphilis-Fälle in Deutschland hat sich zwischen 2009 und 2014 fast verdreifacht (Epidemiologisches Bulletin, 2016; pdf). Und dann ist da eben die Geschlechtskrankheit, die Ärzten momentan vielleicht am meisten Sorgen macht: Tripper. Unbehandelt kann die Erkrankung chronische Entzündungen auslösen, schlimmstenfalls kann sie unfruchtbar machen. Frauen leiden etwas stärker unter den Folgen.
Seit Jahren stecken sich mehr und mehr Männer und Frauen an – europaweit. Das belegen Daten des europäischen Zentrums für Krankheitsprävention und -kontrolle (ECDC, 2015). Und nicht nur das: Gonokokken, die Bakterien, die den Tripper verursachen, sind stetig schwieriger zu behandeln. Bald, fürchten Medizinerinnen, könnte es keine Antibiotika mehr geben, die die Infektion in Schach halten. Das ist kein Horrorszenario mehr. "Gonokokken sind zu einem ernst zu nehmenden Problem für die öffentliche Gesundheit geworden", sagt Klaus Jansen, der als Epidemiologe am Robert Koch-Institut für sexuell übertragbare Krankheiten zuständig ist.
In England zum Beispiel hat sich die Zahl der Ansteckungen zwischen 2008 und 2017 fast verdreifacht. In Deutschland liegen derartige Daten nicht vor, weil Tripper, anders als Syphilis oder HIV, keine Infektion ist, die Ärzte oder Labore laut Infektionsschutzgesetz melden müssen. Etwas, das Experten wie Klaus Jansen vom Robert Koch-Institut gern anders hätten. Aber auch hierzulande gibt es Anhaltspunkte dafür, dass Tripper häufiger wird. Einer davon kommt aus Sachsen, dem einzigen Bundesland, das eine Labormeldepflicht hat. Hier stiegen zwischen 2003 und 2011 die Infektionen von durchschnittlich 6,8 pro 100.000 Einwohnern auf fast 14 (Epidemiologisches Bulletin, 2013; pdf). Ein anderer Anhaltspunkt ist, dass die Zahl anderer Geschlechtskrankheiten, Syphilis zum Beispiel, stark zugenommen hat. Da wäre es nur logisch, wenn auch Gonorrhö wieder häufiger aufträte.
Das Risikoverhalten beim Sex nimmt wieder zu
Es gibt vermutlich mehrere Gründe für die Anstiege, sagt Victoria Miari, Gonokokken-Expertin an der renommierten London School of Hygiene and Tropical Medicine: "Zuerst einmal sehen wir, dass sich das Sexualverhalten in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat." Oralsex zum Beispiel sei häufiger geworden, und damit auch die Zahl der Patienten, die eine Gonokokken-Infektion im Rachenraum haben. Diese verläuft asymptomatisch, also zunächst ohne Beschwerden. Das ist besonders gefährlich. Denn so wird die Infektion ohne Wissen des Infizierten weitergegeben. Racheninfektionen seien auch deshalb problematisch, weil viele der gängigen Antibiotika dort, anders als im Genitalbereich nicht so gut ins Gewebe eindringen würden. Ein weiterer Punkt ist, dass es "wieder mehr riskantes Verhalten beim Sex gibt", sagt Miari. Vor allem Männer, die auch Sex mit Männern haben, sind häufiger mit Tripper infiziert. Und sie würden wieder öfter auf Kondome verzichten. Möglicherweise hängt das mit einer sinkenden Angst vor dem HI-Virus und der unheilbaren Immunschwäche Aids zusammen. Miari: "Die Therapien funktionieren so gut, dass bei vielen die Viruslast im Blut niedrig ist und damit die Übertragungswahrscheinlichkeit gleich null." Auch nutzen mehr Menschen die Präexpositionsprophylaxe (PrEP). Sie schlucken Medikamente, um sich vor der Ansteckung mit HIV zu schützen (Clinical Infectious Diseases: Traeger et al., 2018).
Dramatischer als die Zahl der Neuinfektionen sind aber häufiger werdende Antibiotikaresistenzen. Lange war die Gonorrhö gut behandelbar – mit Penicillin, dem ersten Antibiotikum der Medizingeschichte. Als die Bakterien gegen Penicillin resistent wurden, fanden sich schnell Ausweichmittel, die die Erkrankung ausheilten. Gonokokken aber sind dafür bekannt, sich besonders schnell Resistenzmechanismen anzueignen, schneller als viele andere Bakterien. Trotzdem hielten sich die Entwicklung neuer Antibiotika und die Resistenzen des Bakteriums lange Zeit die Waage. In den vergangenen Jahrzehnten aber hat sich das verändert. Denn je mehr Antibiotika verschrieben und genommen werden, desto rascher verlieren die Medikamente ihre Wirkung. Inzwischen behandeln Medizinerinnen und Ärzte Gonokokken mit einer Kombination aus den beiden Antibiotika Ceftriaxon und Azithromycin. Eine Studie im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation aber zeigt, dass zwischen 2009 und 2014 in bis zu 80 Prozent aller teilnehmenden Länder Gonokokken gefunden wurden, die auch gegen diese Therapie resistent waren (PLoS One: Wi et al., 2017). In England zum Beispiel hat die Zahl der mehrfachresistenten Gonokokken zwischen 2004 und 2015 von sieben auf mehr als 17 Prozent zugenommen (Journal of Antimicrobial Chemotherapy: Clifton et al., 2018)
Kommentare
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Na, das paßt doch zu dem Artikel neulich im Zeitmagazin "Dreier gesucht" oder so.
Je ausführlicher das Sexualleben, desto mehr Infektion.
Wer Lotto spielt, muß mit Gewinn rechnen.
@Bourbaki86
Na, das paßt doch zu dem Artikel neulich im Zeitmagazin "Dreier gesucht" oder so.
Je ausführlicher das Sexualleben, desto mehr Infektion.
Von Kondomen und Safer Sex haben Sie aber schon gehört
https://www.aidshilfe.de/...
https://de.wikipedia.org/...
Antibiotikaresistenzen das wird uns noch schwer zu schaffen machen und unser "Hygieneproblem" in unseren Krankenhäuser macht es nicht besser
Wenn jeder neu entwickelte Wirkstoff gleich tonnenweise in der Landwirtschaft verheizt wird, wundert es doch recht wenig.
Entfernt. Bitte bleiben Sie beim Thema. Danke, die Redaktion/mf
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