Seit in Produkten mehrerer deutscher Supermarktketten Pferdefleisch gefunden wurde, ist die Empörung der Verbraucherschützer groß: Die "kriminellen Betrüger" hätten "eine ganze Branche in Verruf gebracht", sagt Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner. Man müsse ihnen das "Handwerk legen", wettert der EU-Verbraucherkommissar Tonio Borg. Die "Machenschaften" gehörten "mit aller Energie verfolgt und bestraft", stimmt auch die hessische Umweltministerin Lucia Puttrich ein und plädiert dafür, die Übeltäter an den "Pranger" zu stellen.
Die Wut der Politiker ist berechtigt. Natürlich ist es Betrug, billiges Pferdefleisch als Rindfleisch zu verkaufen. Härtere Strafen, schärfere Kontrollen und eine strengere Überwachung der Lieferwege können das Problem vorübergehend aus der Welt schaffen. Allerdings stützen sich diese Maßnahmen auf die Annahme, die Schuld an dem Debakel treffe allein die profitgierigen Händler. Uns Verbraucher dagegen spricht man mit Begriffen wie "Betrug" oder "Verbrechen" von aller Verantwortung frei. So nehmen wir eine Opferrolle ein, die uns eigentlich nicht zusteht.
Denn wie auch schon der Dioxinskandal im vergangenen Frühjahr zeigt das Pferdefleisch-Debakel abermals, dass mit unserem Kaufverhalten etwas nicht stimmt: Wir konnten zwar nicht ahnen, woher das Fleisch in der Tiefkühllasagne stammte. Wir hätten auch nicht wissen müssen, dass Etiketten gelogen haben. Doch uns hätte zumindest erstaunen müssen, dass es Lebensmittelherstellern gelingt, Fleischkost für weniger als zwei Euro zu produzieren. Dass es allein rund 1.200 Euro kostet, ein Rind zu mästen, zu schlachten und zu Hack zu verarbeiten, muss der Käufer nicht einschätzen. Dass mit den Dumpingpreisen der Supermärkte etwas nicht stimmt, ist aber offensichtlich – dazu muss man sie nur mit den Fleischpreisen regionaler Metzger vergleichen.
Vermutlich treibt uns also nicht die Unwissenheit dazu, Billigfleisch zu kaufen. Wir weigern uns schlicht, Fleisch als das anzuerkennen, was es ist: ein Luxusgut. Wenn wir Discount-Bratwürste für 70 Cent, Billig-Bolognesesoße für 99 Cent oder Räucherlachs für 2,50 Euro kaufen, sagen wir damit auch: Sie sind nicht mehr wert. Täglich billiges und leckeres Fleisch zu konsumieren, scheinen wir als Grundrecht zu betrachten. Um nicht darauf verzichten zu müssen, kaufen wir lieber täglich Billigfleisch als einmal pro Woche gutes. So ist es kein Wunder, dass der Druck auf die Hersteller steigt, noch mehr Tiere für noch weniger Geld auf noch weniger Platz zu halten. Oder das Fleisch zur Not mit dem rund viermal billigeren Pferdefleisch zu strecken.
Schuld am Pferdefleisch-Betrug sind also zweifellos die Hersteller. Doch auch der Verbraucher sollte sich bewusst machen, dass er beim Kauf eine Verantwortung trägt und den Machenschaften der Lebensmittelindustrie nicht hilflos ausgeliefert ist. Er muss hinterfragen, wo sein Essen herkommt und sein Bewusstsein für den Wert von Fleisch und Tierprodukten schärfen. Vor allem aber muss er sich klarmachen, dass Billigpreise selten ein glücklicher Zufall sind, sondern meistens ein Zeichen dafür, dass in der Handelskette jemand zu kurz gekommen ist – entweder die Zwischenhändler, die Tiere oder die Fleischqualität.
Kommentare
Das Eine ergibt das Andere
Wenn man endlich dafür sorgt, dass es sich nicht lohnt, Fleisch das nicht für den Verzehr bestimmt ist, in den Umlauf zu bringen, werden Qualität und Preis steigen.
Dafür kann nur der Verbraucher sorgen!
Der Artikel hat es genau richtig erkannt! 100% agree.
"Fleisch muss wieder Luxusgut werden"
Fleisch ist Luxusgut, genau deswegen gibt es ja diese ganzen Skandälchen - wenn es wertlos wäre, würde sich niemand die Mühe für so etwas machen.
Es ist schon immer Luxusgut, es fehlt nur am Bewusstsein dafür, wieviel dieses Luxusguts man für ein paar Euro bekommt - bzw. was man da wirklich bekommt, wenn es nur derart wenig kostet.
Ich persönlich habe kein Problem damit derartiges zu essen, bin mir aber auch bewusst, dass es dem entsprechend einfach nichts tolles sein kann...
Was ich nicht verstehe
Ein Pferd ist weniger wert als eine Kuh? Gibt es einen "Pferdeüberschuss" in Europa oder wieso verwendet man ausgerechnet Pferdefleisch als "Streckmittel"?
Rind und Schwein, das lass sein.
"Wir müssen bereit sein, wieder mehr Geld für Fleisch auszugeben"
Solche Kampagne gibt es schon, nennt sich "Bio" und dafür gibt es diverse Sigel die das Fleisch um ca. 40% teurer werden lässt.
"Vermutlich treibt uns also nicht die Unwissenheit dazu, Billigfleisch zu kaufen."
Nein, vermutlich treibt es viele Leute dazu weil sie sich nunmal kein Luxus-Bio-Import Fleisch leisten können, bspl. Hartz IV, was soll man essen?
Da kann man auch auf die Packung schreiben "Diese Kuh hieß Ilse und lebte unter schrecklichen Bedingungen", keiner hungert aus Mitleid.
"Er muss hinterfragen, wo sein Essen herkommt und sein Bewusstsein für den Wert von Fleisch und Tierprodukten schärfen."
Ich als Verbraucher muss nichts hinterfragen, denn dafür haben wir diverse Ministerien und Ämter, das Verbraucherschutzamt und Landwirtschaftsministerium muss dafür sorge tragen das ich - der Verbraucher - keine Cholera o.ä. bekomme.
Zum anderen kommt jährlich ein Lebensmittelskandal, letztes Jahr waren es verseuchte Sojasprossen, und auch der armen Gurke wollte man die Schuld geben. Fleisch ist also nicht per sé immer ein Skandal.
Auf der anderen Seite gibt es wundervolle EU-Gesetze die ebenfalls alles regeln, so das in einer Kalbsleberwurst, nichtmal Kalbsleber drinne sein muss, wieso muss also im Rindfleisch Rind drinne sein?
Wo also die Profitgier der Hersteller beginnt, hört die Logik des Gesetzgebers auf.
Zum Glück
muss bei uns auch keiner aus Mitleid hungern. Es gibt schließlich auch noch andere Lebensmittel als Fleisch.
Ein Grundrecht auf 3x täglich Fleisch gibt es allerdings nicht, auch wenn der Gesetzgeber mit immensen Subventionen und kaum der Rede werten Tierschutzbestimmungen sein möglichstes tut, es so darzustellen.
Dümmliche Gleichung
Als wenn es so einfach wäre: teurer gleich besser und keine Lebensmittelskandale mehr.
Recherchieren Sie lieber mal, wie Preise entstehen: da werden Sie leicht feststellen, dass gerade die Supermarktketten Fleisch als Lockvogelangebot unter Einkaufspreis anbieten um die Kunden in die Läden zu locken.
Geld wird dann mit anderen Mitnahmeprodukten verdient.
Und "teuer" schützt nich automatisch vor Skandalen!!
Das stimmt so nicht ganz
Es gibt ein Verbot zum Dauerhaften Verkauf unter Einstandspreis.
http://de.wikipedia.org/w...
Das wird nur in Ausnahmefällen genehmigt und wenn 3 x im Jahr schon als Bruch der Ausnahmeregel gilt, rechnet sich das einfach nicht.