Nach der französischen Julirevolution von 1830, die den letzten Bruder Ludwigs XVI., Karl X., vom Thron fegt und auch nach Deutschland dringt, gibt es neue Gesetze "zur Herstellung und Erhaltung der Ruhe in Deutschland", und dem großen deutsch-französisch-polnischen Freiheitsfest auf dem Hambacher Schloss 1832 folgen weitere Beschlüsse "zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ordnung und Ruhe". Im Jahr darauf brechen in Frankfurt am Main Unruhen aus. Studenten erobern zwei Wachgebäude – eine dilettantische Aktion. Metternich kommt sie gerade recht, hat doch die Mainzer Zentraluntersuchungskommission 1828 zu seinem Bedauern ihre Arbeit eingestellt.
Nun wird am 30. Juni 1833 in Frankfurt die Bundeszentralbehörde eingerichtet. Damit nicht genug: Begierig auf noch mehr Daten, installiert Metternich parallel zu diesem Kraken ein "Informationsbüro" in Mainz, das deutschlandweit seine Spitzel aussendet. Es ist allein eine Einrichtung des Fürsten, streng geheim. Das Büro postiert an den strategischen Punkten je einen V-Mann, in Mainz, in Leipzig, in Frankfurt, außerdem in der Schweiz, in Straßburg und Paris. Am Ort schaffen sich die Zuträger ihr eigenes Netz und reisen viel herum.
Es sind Männer des Geistes darunter, Schriftsteller und Journalisten, konvertierte Liberale, zerrissene Charaktere wie Eduard Beurmann, der Frankfurter Agent. Er beschattet den jungdeutschen Schriftsteller Karl Gutzkow, mit dem er zugleich die Oberpostamtszeitung herausgibt. Oft mehrmals in der Woche senden die informellen Mitarbeiter ihre Berichte nach Mainz, von wo sie nach Wien weitergereicht werden. Da schreibt etwa Beurmann über Gutzkows verbotenen Skandalroman Wally, die Zweiflerin am 9. Dezember 1835 aus Frankfurt am Main, das Buch sei vergriffen, "denn es waren die Buchhändler nicht imstande, die im Geheimen von Privaten begehrten Exemplare für den zwei- und dreifachen Preis zu liefern. Leihweise geht dieser Roman von Hand zu Hand und selbst achtzigjährige Greise sind lüstern geworden." Mit Datum vom 14. Februar 1846 erfährt man beispielsweise vom Pariser Mitarbeiter: "Drei kommunistische Chefs, Deutsche, unter welchen sich der bekannte Marx befindet, arbeiten an der Herausgabe von acht Bänden: Über den Kommunismus, seinen Ursprung, seine Doktrinen, seine Verbindungen." Metternich ist der bestinformierte Mann seiner Zeit. Die Berichte werden sorgfältig ausgewertet. Es folgen Zensur, Verbote, Verhaftungen, Kerkerstrafen. Der Kreis der Verdächtigen wird immer größer.
Gelten zunächst vor allem die Universitäten als Brutstätten der Verschwörung, geraten rasch auch Künstler, Unternehmer, Ärzte, Pfarrer, Handwerker unter Verdacht, liberale Bürger ebenso wie demokratisch gesinnte Adelige. Metternich spürt wohl, dass die Zeit stärker ist als er. Überall gibt es Wandel, junge National- und Freiheitsbewegungen. Griechenland und Belgien erkämpfen sich die Unabhängigkeit, Polen kommt nicht zur Ruhe. In England und Frankreich sind jetzt liberale Regierungen am Ruder, und der britische Außenminister Lord Palmerston höhnt 1832, Metternich möge ein guter Minister für den Kaiser von China sein, für Europa tauge er nicht. Der Fürst aber steht wie ein Fels. Wer seine Schriften liest, erschrickt über die ewig gleichen Warnungen vor Anarchie und Revolution, vor "Communismus" und der "liberalen Parthey". Anders als später Bismarck gelingt es ihm nicht, die eigenen Handlungsmaximen den Zeitläuften anzupassen. Er weiß, dass der Nationalismus insbesondere den Vielvölkerstaat Österreich existenziell bedroht, den nur die Kaiserkrone zusammenhält. Aber eine Idee, wie man die neuen Kräfte bändigen und in ruhige Bahnen lenken könnte, hat er nicht.
1845 klopft sogar der preußische König bei ihm an. Selbst Friedrich Wilhelm IV. spürt, dass die Zeiten nach Neuem verlangen. Der Deutsche Bund solle populärer werden, solle ein wenig mehr deutsche Einheit stiften. Ob er, Metternich, nicht eine Idee habe? Des Fürsten Antwort ist so zynisch wie bezeichnend: Man könne doch die Bundeszentralbehörde neu ausbauen. Heinrich Heine spottet: "Die geistige Einheit gibt uns die Zensur."
Und doch sind die Erosionserscheinungen mittlerweile unübersehbar. Die Zentralbehörde stellt 1842 ihre Arbeit ein, und auch Metternichs eigener Spitzelapparat, das Mainzer Informationsbüro, verliert an Einschüchterungskraft. In Berlin wird heiße Ware fast schon legal gehandelt, wie der Dichter Adolf Friedrich von Schack berichtet. Als er einmal nach verbotenen Büchern fragt, drückt der im Buchladen zufällig anwesende Polizeipräsident von Berlin höchstpersönlich beide Augen zu, "und eilends befriedigte der Buchhändler nun alle meine Wünsche". Kontrolle und Zensur werden allmählich zur Farce. 1848 kracht Metternichs Gebäude dann binnen Wochen zusammen. Die gefürchtete Revolution ist da. In Sizilien brennt es schon im Januar, dann in Mailand, Padua, Paris, Mannheim, München, Berlin. Der Fürst ist am Ende. Wenige Stunden nachdem die Revolution Wien erreicht hat, gibt er auf. Am 13. März verlässt er die Stadt und flüchtet nach London, Deutschland jubelt.
Schon im 19. Jahrhundert hat die Geschichtsschreibung Metternich kritisch gesehen. Die preußisch-kleindeutsche Historiografie warf ihm mangelnden Nationalgeist vor, die liberale seinen Überwachungsfuror. Mancher indes hat ihn später, nach all den Kriegen und nationalistischen Exzessen des 20. Jahrhunderts, verteidigen wollen, als einen Europäer, als Friedensstifter und -bewahrer – erinnert sei nur an die Interpretation des amerikanischen Historikers und Außenministers Henry Kissinger. Doch so erfolgreich Metternichs Politik kurzfristig war, à la longue blieb sie fatal und bereitete just jenen Gewaltausbruch mit vor, den das 20. Jahrhundert erleben musste. Denn er begriff nicht, dass seine Epoche, mit Hölderlin zu sprechen, die Zeit der Könige nicht mehr war.
Als modern erwies er sich allein in seinen Techniken der Überwachung. In den Berichten seiner Spitzel liest man bereits denselben Mischmasch aus eigenen Beobachtungen und zugetragenen Denunziationen, aus verdächtigen Bemerkungen und Bewegungen, wie wir ihn aus den Archiven der Stasi kennen. So lächerlich diese Berichte heute erscheinen, wie vielen wurden sie zum Verhängnis! Wie viele Existenzen haben sie vernichtet, wie viele Bürger aus dem Land getrieben, und, nicht zuletzt, wie viele große Autoren jener Zeit lebten und starben im Exil – von Heinrich Heine und Ludwig Börne bis Georg Herwegh und Georg Büchner!
Gewiss war Metternich kein Diktator im modernen Sinne des Wortes. Er blieb Diener seines Herrn, des Kaisers, Aristokrat im Politischen wie im Privaten. Schon 1851, die Reaktion hat erneut triumphiert, kehrt Metternich aus London nach Wien zurück. Er darf sogar ein bisschen die Regierung beraten. Acht Jahre sind ihm noch vergönnt. Seine dritte Ehefrau stirbt 1854, auch die meisten Geliebten und Gefährten und sechs seiner zwölf ehelichen Kinder sind nicht mehr. Ein Fels der Ordnung sei er gewesen, sagt er ein paar Wochen vor seinem Tod am 11. Juni 1859 mit leiser Stimme von sich selbst.
RALF ZERBACK, Jahrgang 1961, ist Historiker und Journalist. Er lebt in Frankfurt am Main. Eine ausführlichere Fassung dieses Textes ist auf den Geschichtsseiten der ZEIT erschienen (Ausgabe 25/09)
Kommentare
Metternichs Illusion vom Ende der Geschichte (1)
>>Denn er begriff nicht, dass seine Epoche, mit Hölderlin zu sprechen, die Zeit der Könige nicht mehr war.<< Zitatende
Informativer Artikel. Metternichs System verkörperte die bedingungslose Feindschaft gegenüber dem Konstitutionalismus. Um seine Ziele zu erreichen, war dem österreichischen Staatskanzler jedes Mittel recht. Er stilisierte das Wartburg-Treffen der Burschenschaften und den Mord an Kotzebue, zwei Ereignisse von drittrangiger Bedeutung, zu einem Fundamentalkonflikt, um mit den Karlsbader Beschlüssen ein System der Repression und Überwachung durchzusetzen.
Metternich stand der Widerstreit der beiden Rechtfertigungsprinzipien - Fürstenherrschaft von Gottes Gnaden einerseits, der zur Volkssouveränität tendierenden Verfassungsstaaten andererseits - klar vor Augen, wie eng auch immer das wahlberechtigte „Volk“ zunächst definiert war. Seine Lebensaufgabe sah er darin, den vornehmlich süddeutschen Verfassungsstaaten die Luft zum Atmen zu nehmen.
Die rückwärtsgewandte Utopie verfolgte das Ziel der ewigen Fürstenherrschaft. Um es in heutigen Worten zu sagen: Metternich postulierte ein Ende der Geschichte. Dieses Unterfangen musste an der Dynamik der beschleunigten Modernisierungsprozesse scheitern. Man nehme nur die rasante Industrialisierung Preußens nach 1830 in dessen westlichen Gebieten. Eine Ironie der Geschichte: Diese Gebiete waren Preußen durch den Wiener Kongress zugefallen, der eigentlich eine Restaurationsepoche einläuten sollte.
ff.
Metternichs Illusion vom Ende der Geschichte (2)
Es ist anzunehmen, dass Metternich die Unmöglichkeit, eine ewige Fürstenherrschaft zu etablieren, insgeheim bewusst war. Eine Ahnung von den Unwägbarkeiten hatte jedenfalls Bayernkönig Ludwig I., Philhellene, Romantiker und eifriger Schmied von Hexametern. In dem Gedicht „Die Dampfwagen“ äußert er die Ahnung, dass mit der neuen Leittechnologie der Industrialisierung, der Eisenbahn, Metternichs reaktionäre Fürstenwelt auf den Kopf gestellt werden könnte:
>>Aufgeh’n wird die Erde in Rauch’, so steht es geschrieben, Was
begonnen bereits; überall rauchet es schon.
Jetzo lösen in Dampf sich auf die Verhältnisse alle. Und die
Sterblichen treibt jetzo des Dampfes Gewalt, Allgemeiner
Gleichheit rastloser Berförd’rer. Vernichtet Wird die Liebe
des Volk’s nun zu dem Land der Geburt. Überall und nirgends
daheim, streift über die Erde, unstät so wie der
Dampf, unstät das Menschengeschlecht.
Seinen Lauf, den umwälzenden, hat der Rennwagen begonnen
Jetzo erst, das Ziel lieget dem Blicke verhüllt.<<
Der bayerische Monarch bewies im Gegensatz zu Metternich - abseits der komischen Implikationen des Gedichts - ein Gespür für die revolutionierende Wirkung dieses Ungetüms, welches das an Metaphern nicht arme Bürgertum des 19.Jahrhundert den „entfesselten Prometheus“ nannte.
Ein anderer Grund der Ablehnung: In den gehobenen Kreisen war der Unmut darüber groß, dass mit diesen neumodischen Rennwagen der Knecht so schnell fahre wie sein Herr.
Geschichten statt Geschichte
Historiker und Journalisten können es nicht lassen, Geschichte zu personalisieren und damit die eigentlich wirksamen Faktoren zu unterschlagen. Metternich ist ein gutes Beispiel für diesen verqueren Blick. Er gab aber nur den Namen; die Akteure waren andere. Metternich verkörperte die Herrschaft der Alten gegen die Jungen, die sich mit dem Ende Napoleons erneut für einige Zeit durchsetzte. Es waren aber gerade die Napoleonischen Kriege, die verhinderten, dass sich die Revolution auch im übrigen Europa ausbreiten konnte. Etwa sechs Millionen Menschen, zum größten Teil junge Männer, starben durch Kriegshandlungen und deren Folgen. Dieser Aderlass reduzierte das Aggressionspotenzial in Europa nachhaltig und ermöglichte es den Monarchien Deutschlands und Österreichs, die repressiven Strukturen zu stärken und ihre Macht für ein weiteres Jahrhundert zu sichern. In Deutschland reichte es vorerst nur noch für hilflose Demonstrationen jugendlicher Expressivität wie das Hambacher Fest von 1832.
Die repressiven Strukturen Napoleons
wurden durch die die repressiven Strukturen der wiederhergestellten deutschen Adelhäuser ersetzt. So kann man es ausdrücken.
Man soll die Unterdrückung durch Napoleon und seinen Besatzungstruppen nicht schönreden. .
"bis zum" ...
"... bis zum Stasi-Paradies der DDR"
Ist die Geschichte der Überwachung in Deutschland demnach mit der DDR zu Ende gegangen? Derart einseitige Abwertungen der Stasi sind immer weniger haltbar. Wenn dann noch das "Paradies" als Attribut hinzukommt, wird das ganze naiv. Während die Stasi sich noch auf Dachböden verstecken und aufwändig Abhöranlagen installieren musste, Personen auf andere ansetzen musste, damit diese regelmäßig mal klingeln und nach Salz fragen, um zu sehen, wer zu Besuch ist, muss man heute weit weniger leisten, um Gleiches zu erreichen. Wieso bitte war dann die DDR ein Paradies in Sachen Überwachung und nicht die Zeit von Google, Facebook, dem Internet, und der massiven Verfügbarkeit angreifbarer Smartphones mit GPS-Sensor, Microfon und Kamera in den Händen nahezu jeden Staatsbürgers?
Jetzt stellen Sie sich mal
vor, daß es die DDR heute noch gäbe. Hätte man in Eberswalde, Magdeburg oder Erfurt Internet? Wenn ja, wie würde es denn kontrolliert? Ich weiß, mittlerweile ist eine solche Diskussion müßig, aber ich KENNE meine Akten. Und die wurden ganz einfach über knapp 12 Jahre über den besten Überwachungsapparat der Welt zusammengetragen.
Menschliches Auge+Ohr- Modell Eins.
Das wird man...
... auch mal über den kriminellen Volksverräter und ihre erbärmliche Regierungsgang schreiben. Ich hoffe schon nächsten Woche, aber vermutlich doch erst später...