Seine Leidenschaft galt der Wissenschaft. Kalif Abu Dscha’far Abdullah al-Ma’mun, Sohn des märchenhaften Harun ar-Raschid und Herrscher des islamischen Reiches von 813 bis 833, war getrieben von dem Wunsch, alle wissenschaftlichen Schriften der Welt unter einem Dach zu versammeln. Genauer: im bait al-hikma, dem "Haus der Weisheit", um sie dort ins Arabische übersetzen zu lassen. Untergebracht in den Palastbauten Al-Ma’muns, war das "Haus der Weisheit" Bibliothek und Akademie zugleich: ein Thinktank, in dem die Gelehrten des islamischen Reiches zusammenkamen, um ihr Wissen zu mehren.
Mit der Gründung des Hauses im Jahr 825 begann das Goldene Zeitalter der Wissenschaft im Islam. Kalif Al-Ma’mun holte die klügsten Köpfe nach Bagdad. Die Hauptstadt war nicht nur Verwaltungszentrum der islamischen Welt, sondern auch Mittelpunkt von Handel, Kunst und Kultur – und der Wissenschaft. Ende des 9. Jahrhunderts soll es hier mehr als 100 öffentliche Bibliotheken gegeben haben; manche davon angeblich so groß wie sämtliche Bestände des Abendlandes zusammen.
Nicht nur muslimische Araber forschten in Bagdad, auch Perser, Juden und Christen. Arabisch war jedoch die Lingua franca der Wissenschaft. Und während sich Europa in einem geistigen Dämmerschlaf befand, das Wissen der Griechen in Vergessenheit geraten war, erfuhren die alten Geistesgrößen von Ptolemäus über Euklid bis Aristoteles in Bagdad eine Auferstehung. Eine gewaltige Übersetzungsbewegung kam in Gang: Nicht nur das Wissen der Griechen, auch das der Perser und Inder wurde ins Arabische übertragen. Die Gelehrten beschäftigten etliche Übersetzer und Schreiber, alle großzügig finanziert von den Kalifen und der herrschenden Abbasiden-Elite. Zwar gab es weitere "Wissenschaftszentren", darunter Kufa, Basra, Córdoba und später auch Kairo. Aber Bagdad war der Motorraum des Zeitalters der Gelehrsamkeit. Man müsse "die Wahrheit auch bei fernen Nationen suchen, die nicht unsere Sprache sprechen", schrieb Al-Kindi, der erste große Philosoph der Araber (813–873).
Ende des 10. Jahrhunderts lagen alle großen Werke des Altertums auf Arabisch vor. Jetzt wurde darauf aufgebaut. Die Araber waren nicht nur die Fackelträger antiken Wissens, beließen es nicht beim Übersetzen, sondern systematisierten, kommentierten und interpretierten das Erbe der Alten. Die Synthese ihrer Kenntnisse ging weit über die Summe des bisherigen Wissens hinaus.
Der irakisch-britische Wissenschaftshistoriker Jim al-Khalili bezeichnet in seinem Buch Im Haus der Weisheit die arabischen Gelehrten als Empiriker, als die eigentlichen Schöpfer der naturwissenschaftlichen Methode: des Sammelns von Daten durch Beobachtung und Messung, des Formulierens und Überprüfens von Hypothesen, mit denen man die Daten erklären will – lange bevor Francis Bacon und René Descartes im 17. Jahrhundert auftraten, denen üblicherweise dieses Verdienst zugeschrieben wird.
Unter der Schirmherrschaft Al-Ma’muns herrschten beste Arbeitsbedingungen: Der Kalif gab unter anderem den Bau einer Sternwarte in Auftrag; ein Team aus Mathematikern, Geografen und Astronomen sollte das Weltbild und die Erkenntnisse von Ptolemäus überprüfen. Es war vermutlich das erste staatlich finanzierte Großforschungsprojekt der Geschichte.
Die Liste der bedeutenden Wissenschaftler aus der Blütezeit der islamischen Welt füllt Bände. Zu den Gelehrten im bait al-hikma gehörte auch Al-Chwarismi, Mathematiker, Astronom und Geograf. Ohne ihn wäre die heutige Mathematik nicht denkbar. Sein Buch Al-Gabr begründete die Algebra. Die Karten des Geografen Al-Idrisi blieben für Jahrhunderte das Maß der Dinge. Kolumbus segelte mit einem arabischen Kompass nach Westen, der dänische Astronom Tycho Brahe arbeitete im 16. Jahrhundert mit Techniken, welche die Araber Generationen zuvor entwickelt hatten. Die Kopernikanische Wende, schreibt Al-Khalili, wäre ohne die Vorarbeit der arabischen Wissenschaften nicht möglich gewesen. Das gilt auch für andere Gebiete. Das Buch der Optik des Physikers Al-Haytham, ein Lehrbuch mit Beschreibungen von Experimenten, soll Jahrhunderte später Roger Bacon zur Erfindung der Brille verholfen haben.
Groß waren auch die Fortschritte in der Medizin. Gegen Ende des 8. Jahrhunderts soll es in Bagdad bereits einige Hundert Krankenhäuser gegeben haben, mit hohem ethischem Standard. Erwartet wurde, dass Ärzte die Patienten gleich behandelten, unabhängig von Herkunft und Vermögen. Treibende Kraft war Al-Rasi, ein Perser. Er verfasste erste klinische Studien mit Kontrollgruppen, forschte über Pocken und Masern und leistete Pionierarbeit in der Kinderheilkunde und der Psychiatrie.
Natürlich darf einer in der Ruhmeshalle nicht fehlen: Ibn Sina – latinisiert Avicenna (980–1037). Kein anderer aus dem Morgenland hat das Abendland so geprägt wie er. Er verfasste mehr als 400 Schriften zu Physik, Medizin, Mathematik und Ethik. Sein Kanon der Medizin, der von 1150 bis 1187 ins Lateinische übersetzt wurde, war auch in Europa über sechs Jahrhunderte hinweg das Standardwerk der Mediziner.
All dieses Wissen fand über Andalusien seinen Weg nach Europa. Wieder begann eine Periode emsiger Übersetzungen, diesmal in Städten wie dem spanischen Toledo – diesmal vom Arabischen ins Lateinische.
Nicht lange danach endete die Erfolgsgeschichte der arabischen Wissenschaft – in Bagdad, wo alles begonnen hatte. 1258 verwüsteten die Mongolen das damalige Zentrum der Zivilisation. Glaubt man den Geschichtsschreibern, türmten sich die Schädelpyramiden haushoch, und das Wasser des Tigris färbte sich schwarz von der Tinte der Abertausend Bücher, welche die Eroberer in die Fluten geworfen hatten. Die Zerstörung Bagdads ist nur eine von vielen Ursachen für den Niedergang der Wissenschaft in der islamischen Welt. Aber sie markiert den Anfang vom Ende der Blütezeit des Islams.
Kommentare
Ganz recht. Sie haben die Fackel der Erkenntnis weitergetragen, als im Christlichen Europa alle Schriften, die nichts mit der Bibel zu tun hatten verbrannt worden waren.
Ein grosses Erbe haben wir übernommen, meist über Spanien.
Al Gebra, Al Chemie, Al Kohol, Al Gorithmus, Al kali, die meisten Sternnamen. Al Manach, Medizin jenseits von der 4 Säfte Kunde des Galen,
Admiral, El ixir, Havarie, Kadi, Karaffe, MAgazin, Matratze, Rabatt, Razzia, Safari, Sahara, Sofa, Sorbet, Tarif, Ziffer, Zucker. Um noch weitere Arabismen zu nennen.
Können Sie Ihre steile These belegen?
Oder spielen Sie auf die Geschichte der Verbrennung der Bibliothek von Alexandria auf Anordnung von Kalif Ormar an?
Richtit, der Orient war damals Europa in allen Belangen überlegen. Allerdings durchliefen wir die Rennaissance und irgendwann die Aufklärung, während der Orient noch der Religion nacheiferte und sich die Bevölkerung vom Feudalismus und Clanstrukturen nie befreit hat.
Die Resultate sieht man heute.
Die Sache mit dem europäischen Imperialismus haben Sie vergessen.
Vielen Dank für den Artikel, jedoch wird hier extrem die Fakten gebogen um ein Weltbild von "Der Islam ist eigentlich super fortschrittlich und kann da auch wieder hin kommen" zu bestätigen. Religion ist nie ein Katalysator gewesen und besonders fraglich ist da sogar der Islam sein soll - daher eher trotz als wegen.
Das erste Krankenhaus welches da erwähnt wird war weder das erste noch hat es irgendwelche höheren Standards (was auch immer das Attribut soll) aufzuweisen als das der Ägypter, Römer . Des weiteren (siehe engl Wiki) : Chistian physicians from Gondeshapur, have played a role in the function of the first hospital in Baghdad"
Einfach irgendwelche Erfindungen und Errungenschaften gab es in allen Hochphasen der Geschichte (Indien, Ägypten, Römer) - aber erst mit Karl Popper (Falsifizierung/Verifizierung - scientific method) und dem Europa ab dem 17. Jahrhhundert akkumulierte auf vorhandenes Wissen neues Wissen - der Rest war rumstochern im dunkeln ohne Plan. Der Islam spielt auch keine Rolle in diesem Prozess und zeigt seine Hemmende Wirkung bis heute.
Z.b. wird an einem Tag im Westen so viel wissenschaftlich publiziert wie in 1 Jahr in muslimischen Ländern. Noch größer wird die Distanz wenn wir allg. von Büchern/Informationen sprechen die pro Tag produziert werden. Nur 16 der 845 Nobelpreisträgern kommen sind Muslime, darunter sind 9 Stück für Literatur und "Friedensnobelpreis" - der wohl schwächsten Disziplin was Wissenschaft angeht.
Nice try.
Sie denken zu sehr an die Neuzeit. Selbständig kann der Islam wieder zum Fortschritt finden, genauso kann sich das Abendland zurückentwickeln.
Lachhaft und ermüdend diese endlose Islam-Propganada.
Wir sollen wohl das Gefühl entwickeln dass deutsch sein schon immer irgendwie auch muslimisch war.
Stimmt wie wir alle wissen würde ja in Deutschland alles erfunden.
Vom Rad ü er die Astronomie bis zum Fürst Pückler Eisbecher beim Discounter für 1,99€
Dann nennen Sie mal ein paar Erfindungen der letzten hundert Jahre, die in muslimisch geprägten Ländern erfunden oder erstpatentiert wurden!
In dem Artikel geht es um die große Zeit der Islamischen Gelehrten und der Wissensschmieden im Mittelalter. Ich wage zu behaupten das nichts von damals sich heute zur Patentanmeldungen eignet.
Historische Tasache ist es dennoch, der Orient war dem Okzident zur damaligen Zeit wissenschaftlich, philosophisch und in der Staatsverwaltung weit voraus war.
Um das aus dem Artikel so konkret heraus zu lesen, muss man schon ganz weit rechts stehen oder islamophob sein.
Ich lese nur eine historische Betrachtung der Wissenschaft im Mittelalter, bei der damals die arabische Welt unserer weit voraus war. Und dass diese Arbeit dort auch unsere Gesellschaft und Wissenschaft geprägt hat, genauso wie es heute umgekehrt ist, weil die islamische Welt den Anschluss in der Forschung / Wissenschaft verloren hat.
Ich interpretiere in diesen Artikel nicht so viel rein, nur weil es einer eigenen Ideologie zupass kommt.
Das ist auch wirklich nicht verwunderlich.
Europa war nie ein kulturelles oder wissenschaftliches Zentrum in der Antike. Das lag nicht an der dortigen Bevölkerung, sondern hat seine Ursachen in der geringen Bevölkerungsdichte, und den relativ harschen klimatischen Bedingungen. Wer Holz hacken und Heu machen muss, hat keine Zeit für Mathematik.
Das wenige, was in Europa existierte, wurde in den römischen Bürgerkriegen und dem Chaos der Völkerwanderung zerstört.
Das östliche Reich hatte zwar auch stark unter dem Konflikt der beiden Großmächte, Rom und das Sassanidenreich, zu leiden (der Konflikt schwächte auch diese Giganten, ermöglichte letztlich erst den Eroberungszug des Islam), aber dort blieb mehr erhalten.
„Europa war nie ein kulturelles oder wissenschaftliches Zentrum in der Antike“
Zentrum sicherlich nicht da waren die Völker ums Mittelmeer herum wesentlich besser aufgestellt. Nicht nur an der geringen Bevölkerungsdichte, der Austausch fehlte durch den schwachen „internationalen“ Handel auch noch.
Dennoch so „barbarisch“ wie die Römer es überlieferten waren die Mittel- Nord und Osteuropäer dann doch nicht.
Letztlich kann man nur spekulieren wie weit wir wären wenn der radikale wissensfeindliche Monotheismus des Christentums und des Islams des Mittelalters an uns vorbei gegangen wäre.
Die große Zeit der islamischen Gelehrten war die Zeit der Blütezeit Bagdads im 9. Jahrhundert. Danach war Schluss mit Blüte der Wissenschaft und Kultur und man versank in innerislamischen Machtkämpfen. Man sieht, das ist gute alte Tradition, was aktuell zwischen Schiiten und Sunniten wieder am Eskalieren ist.
"Europa war nie ein kulturelles oder wissenschaftliches Zentrum in der Antike."
Sie sollten mal eine Landkarte zu Rate ziehen. Griechenland gehörte und gehört immer noch zu Europa. Und, wie hier immer wieder davon gesprochen wird, der Orient war dem Okzident weit voraus, ist das wohl stark übertrieben. Die islamische Blütezeit war um das 9. Jahrhundert herum. Das ist die Zeit, in der in Europa Karl der Große schon längst einen Staatsapparat aufgebaut hatte. Während auf der arabischen Halbinsel arabisch Stämme mit Kamelen durch die Wüste zogen.
"Griechenland gehörte und gehört immer noch zu Europa."
Eben nicht! Die antike Welt mit dem heutigen Europa in Verbindung zu bringen, ist arg anachronistisch; griechische Denker wie Platon haben nach Ägypten und Indien geschaut (lesen Sie den Timaios!), auch mit den Persern hat man sich nicht nur bekriegt. Dasselbe gilt für Rom, das sich weit nach Afrika und in den Orietn erstreckt hat (gerade Nordafrika war in der Spätantike ein wichtiges kulturelles Zentrum). Die griechisch-römische Antike ist nicht "europäisch", sondern war ein Anknüpfungspunkt für Kulturen im Osten udn im Westen - auch für Europa, das als politisch-kulturelle Entität eben erst mit den Karolingern Gestalt angenommen hat.