In einem langen Krieg unterwirft Karl der Große die Sachsen. Es ist in der Geschichte des Christentums das erste Mal, dass die Annexion eines Territoriums mit einer Zwangskonversion verbunden wird: In der Capitulatio de partibus Saxoniae von 782 droht Karl mit der Todesstrafe, wenn die Sachsen die Taufe verweigern. Historiker sehen in diesem Gesetz traditionell den Höhepunkt des fränkisch-sächsischen Konfliktes. Nach dem 11. September 2001, als islamistische Gewalt in den Medien eine starke Präsenz hatte, wurde zum ersten Mal eine alternative Erklärung vorgeschlagen: War Karls Krieg gegen die Sachsen vom islamischen Konzept des Dschihad inspiriert?
Was immer man von dieser These halten mag – ihre Diskussion vermittelt einen Einblick in die christlich-muslimische Geschichte und zeigt, wie die beiden Religionen sich in Europa und rund um das Mittelmeer ausgebreitet haben. Drei Fragen ergeben sich unmittelbar: Gab es zu Karls Zeit auf islamischer Seite schon ein Konzept des Dschihad im Sinne eines Heiligen Krieges? Wusste Karl genug über den Islam, um es übernehmen zu können? Und lässt sich der Krieg in Sachsen so deuten?
Das Konzept des Dschihad wurde im Laufe des 8. und 9. Jahrhunderts, also parallel zu den Sachsenkriegen, von nahöstlichen Gelehrten in rechtlich-theologischen Schriften ausformuliert. Der Koran selbst enthält allerdings schon die Grundidee des Glaubenskampfes. Der sogenannte Schwertvers lautet: "Sind die geschützten Monate aber verflossen, dann tötet die Polytheisten, wo immer ihr sie findet, und ergreift und belagert sie und lauert ihnen aus jedem Hinterhalt auf. Wenn sie jedoch in Reue umkehren und das Gebet verrichten und die muslimische Armensteuer zahlen, lasst sie ihres Weges ziehen."
Ignoriert man den Kontext des Verses, lässt sich aus ihm durchaus eine göttlich verstandene Anweisung lesen, all jene, die nicht Anhänger einer monotheistischen Religion sind, vor die Wahl zwischen Tod und Bekehrung zu stellen. Die muslimische Geschichtsschreibung zur Expansionszeit kennt auch bereits das Bild des Glaubenseiferers, der bereit ist, kämpfend ins Paradies einzugehen.
Es ist schwer nachzuweisen, in welchem Ausmaß der expandierende Islam Andersgläubige nun vor die Alternative Tod oder Konversion stellte. Nach der Unterwerfung der noch teilweise polytheistisch-animistisch geprägten Arabischen Halbinsel stießen die Muslime zunächst in Gebiete vor, die von monotheistischen "Schriftbesitzern" bewohnt waren, also von Juden und Christen.
Für diese galt eine andere Regelung: Sie sollten nicht zur Konversion gezwungen, sondern bekämpft werden, bis sie sich den Muslimen unterwarfen und eine Kopfsteuer zahlten. Hieraus entwickelte sich eine Hierarchie der Religionen, die Juden und Christen zu "Schutzbefohlenen" machte und im Osten auch auf Zoroastrier, Buddhisten und sogar Hinduisten übertragen wurde.
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Bei ihren Eroberungen im Westen trafen die Muslime kaum auf "echte" Polytheisten: In Ägypten, Nordafrika und auf der Iberischen Halbinsel lebten vor allem Christen und Juden. Zwar kam es hier durchaus zu Kämpfen, Versklavungen und Plünderungen, aber die islamische Herrschaft stützte sich auf Friedensschlüsse, die den Unterworfenen gegen Steuern Schutz, relativ ungehinderte Ausübung der Religion und interne Autonomie zugestanden.
Eine Ausnahme jedoch gab es: In den von Nubiern und Berbern bewohnten Gebieten in Nordafrika, vor allem im heutigen Süden Ägyptens, in Libyen, Algerien und Marokko, waren die Muslime Mitte des 7. Jahrhunderts mit Menschen konfrontiert, die eher Polytheisten als Schriftbesitzer waren. Mit ihnen gingen die Muslime anders um als mit der romanisierten christlichen Bevölkerung: Sie mussten Sklaven als Tribut stellen, im Falle der Berber sogar noch nach ihrer Islamisierung. Gleichzeitig wurden ganze Stammeseinheiten der Berber in das muslimische Heer integriert und an der weiteren Expansion beteiligt, so auch auf der Iberischen Halbinsel. In den 740er-Jahren kam es schließlich zu einer Berber-Revolte, in deren Folge sie in Nordafrika eigenständige Gemeinwesen gründeten.
Die Unterwerfung der Berber kommt der Vorstellung von einem gewaltsam expandierenden Islam sehr nahe – wenn es also einen Präzedenzfall für Karls Umgang mit den Sachsen gab, dann hier.
Kommentare
Das das Christentum früher nicht anders gehandelt hat als andere Religionen, ist klar. Ich denke nicht, das Karl sich irgendwelcher Parallelen bewusst war, denn man muss bedenken, das man damals nicht so war wie heute - etwa im Bereich Bildung, im Bereich Geschichtswissenschaft, beim kulturellen Austausch, Migration usw. Da lebte jeder mehr oder weniger in seiner eigenen Welt und man hat oftmals alles Fremde, egal ob jetzt Islam oder andere Religionen, Einstellungen & Ansichten usw. ausgeschlossen.
Ich denke eher, Karls hartes Durchgreifen gegen die paganen Religionen hatte damit zu tun, das diese äusserst hartnäckig Widerstand gegen seine Pläne geleistet haben. Darum auch das Blutgericht damals und das Fällen des heiligen Baumes. Das soll jetzt keine Rechtfertigung sein, sondern nur ein Gedanke.
Was ich immer ein wenig komisch finde ist jeweils, wie man im Westen stets die Kreuzzüge der Katholischen Kirche verdammt, aber dabei oft die Vorgeschichte der Islamischen Eroberungen weglässt, manchmal sogar komplett weglässt. Das eine macht das andere nicht besser, aber man kann das nicht ohne Zusammenhang sehen.
Übrigens: Man darf die Karolingische Renaissance nicht vergessen, die eine Wiederbelebung der Kultur, Philosophie, Kunst usw. darstellte und vieles wieder hervorbrachte, das seit dem Fall des Weströmischen Reiches 476 n.Chr. verloren gegangen war. Man muss daher Historische Persönlichkeiten wie Karl der Grosse stets differenziert betrachten.
"Ich denke eher, Karls hartes Durchgreifen gegen die paganen Religionen hatte damit zu tun, das diese äusserst hartnäckig Widerstand gegen seine Pläne geleistet haben."
Und, die Tatsache, dass Religion und Staat nicht getrennt waren. Religion hatte eine elementare Stützfunktion des damaligen Personenverbandstaates und so eine tatsächlich relevante als Verwaltung, aber auch um Identität zu stiften. Eine Identität, die länger anhält als einen Herrscher. Wer sich als gleichgesinnt identifiziert, der bricht nicht mehr so schnell auseinander. Die von Ihnen angesprochene Karolingische Renaissance (in der Forschung ein umstrittener Begriff), ist auch maßgeblich nicht von Karl getragen worden, sondern von seinen Geistigen bzw. Beratern und später von denen Ludwig des Frommen. Man sollte den Personenkult um Karl generell ein wenig zurückfahren und die Forschungsmeinung, dass die Merowinger ein "dunkles Zeitalter" waren, die ist auch überholt.
Liest sich sehr weither geholt - nicht ganz unmöglich.
Karl der Grosse hat sich in Spanien eine blutige Nase geholt - und Muslime sicherlich als Feinde betrachtet, das war eine Familiengeschichte mit Pippin und Martell.
Würde er seine Feinde kopieren?
Die Sachsen hat er mehrfach erobert und fühlte sich speziell durch Wiedekind betrogen, mehrfach - der auch nur um die Freiheit seiner Religion uns seines Volkes kämpfte mit allen Mitteln. Karl hat nach mehrfachen Versuchen eine radikale Lösung zu Abschreckung gewählt - eher auch in der Tradition der Römer und der römischen Geschichte, nach derem Vorbild er seinen Staat aufgebaut hat.
Caesar hat in ähnlichen Fällen radikale Lösungen gehabt - nach einer Schlacht hat er allen Männern die rechte Hand abgehackt - tausenden, in anderen Fällen alle Krieger getötet und Frauen und Kinder in die Sklaverei verkauft.
Hat Karl der Grosse den Djihad kopiert?
Eher nein - er stand eher in der Tradition des römischen Imperiums.
"Caesar hat in ähnlichen Fällen radikale Lösungen gehabt - nach einer Schlacht hat er ...."
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Während und nach einer Schlacht gelten andere Maßstäbe. Karl hatte aber zunächst mal keinen Grund, Krieg gegen die Sachsen zu führen, außer dem missionarischen. Ich denke daß er zu der ZEit schon so mächtig war, daß ein Widerstand gegen seine Befehle für ihn ein Affront sondergleichen war. Sowas konnte er nicht wirklich durchgehen lassen. Die Frage ist ja eher, warum dieser missionarische Eifer so ausgeprägt war.
Moment, ich dachte Karl der Grosse ist nur eine Erfindung der katholischen Kirche, Phantomzeit und so. ;-)
... Musste ich auch grad denken
Guter alter Illig, lange nicht geschmoekert.
Ist denn inzwischen etwas Korrespondenz aufgetaucht, etwa zwischen Karl und irgend einem anderen Herrscher, evt dem Papst oder konnten zwar alle Herrscher vor und nach ihm schreiben, nur an Karls Hof keine Seele...
Anzumerken noch, dass die christianisierten Sachsen nicht mehr fürchten mussten, Opfer (christlicher) Sklavenjäger für den Handel mit Al-Andalus zu werden. (Hellhäutige Sklaven waren dort sehr gefragt.) Stattdessen begannen die Sachsen bald selbst mit dem Sklavenhandel. Ihre Opfer fanden sie in den Slawengebieten, organisiert wurde der Handel zwischen Sachsen und Moslems übrigens oftmals von jüdischen Kaufleuten.
Da kann man hinzufügen, dass das Sklave etymologisch von Slawe abstammt.
Man kann es auch hier nachlesen, bei der Huldigung der Reichsteile Sclavinia, Germania, Gallia und Roma an Kaiser Otto III. (wobei hier "Sclavinia" nicht als Sklavenland gemeint ist)
https://upload.wikimedia.org…
Siehe auch:
https://www.dwds.de/wb/Sklav…